Am Tag vor der Hochzeit habe ich bis abends meine Ruhe. Kein Unterricht steht an und ich bleibe größtenteils in meinen Gemächern. Im ganzen Schloss herrscht reges Treiben. Alles wird dekoriert und aufgebaut für den morgigen Tag. Ich lese ein ganzes Buch durch und versuche, mich so gut es geht abzulenken. Mir geht Malek nicht aus dem Kopf. Zudem werde ich immer nervöser wegen der Hochzeit. Ich wünschte, es würde irgendetwas passieren, damit sie nicht stattfindet. Aber darauf kann ich lange warten. Es gibt kein Zurück mehr. Selbst Malek kann mir nicht helfen, obwohl er Herzog ist. Was die Königin bestimmt, ist Gesetz.
Gegen Sonnenuntergang werde ich von Julian zu einem Spaziergang abgeholt, für den wir uns verabredet haben. Wir wollten nochmal für uns sein, bevor morgen der Trubel losgeht.
Der Sonnenuntergang taucht den Himmel in wunderschöne Farben und die warme Abendluft beruhigt meine Nerven. Meine Nervosität hat nichts mit einer aufgeregten Braut zu tun, sondern vielmehr mit dem Gefühl, als würde ich in mein Verderben laufen. Ich wünschte, Rhena würde kommen und mich retten. Aber vermutlich heißt sie diese Vermählung gut.
»Ich wollte dir nochmal sagen, dass ich dir verspreche ein guter Ehemann zu sein. Ich verspreche, dass ich dich nie zu etwas zwingen werde, dich stets respektvoll behandeln und immer für dich da sein werde. Egal, was ist, du kannst immer zu mir kommen«, sagt Julian, während wir an einem Lavendelbeet vorbei spazieren. Mein Herz schlägt schneller und ich frage mich, ob er eine Anspielung auf die Hochzeitsnacht macht. Ich hoffe, das gilt auch dafür, denn gerne würde ich darauf verzichten. Oder es zumindest verschieben.
»Du bist ein guter Mann, Julian. Du bist sehr verständnisvoll, das weiß ich wirklich zu schätzen. Ich denke, wir werden gut miteinander klarkommen, auch wenn ich es vorziehen würde, nicht zu heiraten. Wir müssen das Beste daraus machen.«
»Das werden wir ...« Julian spricht weiter, aber ich werde von Malek ablenkt. Er sitzt auf einer Bank im Rosengarten, durch den wir gerade gehen und beobachtet uns. In seiner Hand hält er ein Buch, das nun in Vergessenheit geraten ist. Julian bemerkt ihn auch, ignoriert ihn aber mit Absicht. Stattdessen ändert er seine Route, sodass wir nun den Rosengarten hinter uns lassen. Im Schlossgarten begegnen wir immer wieder Leuten des Hofstaates, die uns bewundern und viel Glück für morgen wünschen. Ich zwinge mir jedes Mal ein Lächeln aufs Gesicht, so wie Valeria es wünscht. Sie verlangt von mir, dass ich die glückliche Braut spiele. Vor allem vorm Volk.
Nachts kann ich nicht schlafen und schlendere ziellos durch das düstere Schloss. Nur wenige Lichter erhellen den langen Flur. Ich hoffe, dass ich nicht der Königin begegne, denn ich laufe nicht wie von ihr gefordert herum. Meine langen Haare hängen in Wellen an mir herab und ich habe eine weiße Spitzenrobe über mein bodenlanges, weißes Nachtkleid angezogen. Mein Geist ist aufgewühlt und alles in mir drängt mich dazu, fortzulaufen. Doch wohin sollte ich gehen? In der Stadt würde sie mich sofort finden. Und sonst kenne ich nichts, wohin ich könnte. Ich war nie außerhalb von Solera gewesen.
Beinahe freue ich mich sogar auf die Reise nach Velsen, auch wenn ich dort sehr gläubigen Menschen begegnen werde.
Ich schreite gerade durch das Erdgeschoss, als ich ein Klavier höre. Eine schöne Melodie wird gespielt. Neugierig gehe ich zur Tür, die einen Spalt weit offen steht und spitze hinein. Verwundert stelle ich fest, dass es Malek ist, der am schwarzen Flügel sitzt. Ich hatte ganz vergessen, dass er Klavier spielen kann.
»Na Sonnenschein?«, fragt er ohne aufzusehen.
»Woher weißt du, dass ich es bin?«
Einer seiner Mundwinkel wandert nach oben. »Ich hatte es im Gefühl.«
Nun trete ich ein und gehe zu ihm. Er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Ich spüre, dass er sich freut mich zu sehen, aber er ist auch traurig.
»Warum spielst du so spät auf dem Klavier?«, möchte ich wissen und bleibe neben ihm stehen.
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Die Göttliche
FantasyEmilia wurde von der Sonnengöttin Rhena zur Göttlichen auserkoren. Eigentlich will sie dies geheim halten, aber als das Menschenreich von Hexen angegriffen wird, muss sie ihre Macht offenbaren. Fortan muss sie nicht nur die Menschen vor den verheere...