Dämon oder Racheengel

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26. März 1822
Atlantik, zwischen den Inselgruppen der Bahamas

„Rache ist Eingeständnis des Schmerzes."
~ Lucius Annaeus Seneca

"~ Lucius Annaeus Seneca

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Verfluchter Wind. Verdammte Fortuna. Wenn man beide einmal brauchte, dann ließen sie einen gnadenlos im Stich.
Es war nicht so, als wehte überhaupt keine Brise mehr, aber das, was Anne entgegenschlug, während sie an der Reling stand und die fernen Umrisse der Inselgruppe bedachte, ähnelte mehr einem lauen Lüftchen aus jemandes Hintern, als einer Böe.
Wütend über die ausbleibende Hilfe der Glücksgöttin, krallten sich ihre Fingernägel in das Holz. Sie brauchten zu lange. San Salvador lag nicht weit entfernt von Nassau und doch waren sie schon mehrere Tage unterwegs und würden mit Sicherheit noch einige weitere brauchen, bis sie ihr Ziel erreichten.

Anne wollte gar nicht darüber nachdenken, was das bedeutete. Dass die Marine Schweine bis dorthin wahrscheinlich wieder abgelegt und in Richtung des offenen Ozeans unterwegs sein würden. Mit Jack. Mit ihrem Herz.
Sie presste die Lippen fest aufeinander und schloss die Augen. Ein tiefer Atemzug. Noch ein zweiter. Und ein dritter. Gerade hatte sie sich etwas gefangen, da spürte sie eine seltsame Berührung an ihrem Bein. Erschrocken riss sie die Lider auf und senkte den Blick auf den alten, hässlichen Kater, der sich an ihren Unterschenkel schmiegte.
Anne verzog das Gesicht. Sie war schon immer mehr ein Hundefreund gewesen. Katzen waren undurchschaubare Wesen. In einem Moment schnurrten sie und verlangten nach Aufmerksamkeit und im nächsten, wenn man sich zu ihnen hinabbeugte, um ihnen tatsächlich den Rücken zu kraulen, dann fuhren sie die Krallen aus.
Bestimmt, aber nicht zu grob, wollte sie den Kater mit ihrem Stiefel von sich schieben. Aber das unliebsame Anhängsel der Kräuterfrau ließ sich nicht abschütteln.

„Findest du das nicht auch herzallerliebst?"

Erneut fuhr Anne vor Schreck zusammen. Felicité stand ihrem Haustier in nichts nach, wenn es darum ging, sich anzuschleichen. Vielleicht war Anne aber auch einfach zu unaufmerksam, weil ihre Gedanken an einem völlig anderen Ort festhingen. Sie war nicht wirklich auf der Searose, sondern immer nur bei Jack. Bei ihm in der dunklen, stinkenden Zelle, in der er sicherlich kauerte.

„Ja ... herzallerliebst", murmelte Anne. Seufzend gab sie es auf, den Kater auf Abstand zu halten. Wieder und wieder rieb er seinen Kopf mit dem fehlenden und dem entstellten Ohr an ihrem Bein.

Felicité kicherte hinter vorgehaltener Hand. „Du bist doch wirklich sonderbar, Anne Bonny. Wahrscheinlich mag der alte Pierre Jaques dich deswegen so. Katzen spüren es, wenn man sie nicht leiden kann, weißt du? Und dann kleben sie noch viel mehr an einem, als ohnehin bereits." Sie nahm den Kater auf ihre Arme und trat nah mit ihm an die Reling, doch anstatt sich vor Furcht in den Stoff ihres Hemdes zu krallen, blinzelte er interessiert hinaus auf die wogenden Wellen.
Eine feuchtwarme Brise wehte von den Inselgruppen her und brachte die teils verfilzten Strähnen der Kräuterfrau zum Tanzen. „Soll ich dir noch ein Geheimnis verraten?"

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