6 - Paris 1994 - 10. Juni - Teil III

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Gegen 18 Uhr abends waren alle Gäste des Ateliers gegangen. Das Atelier leerte sich. Also beschlossen Erik und Charles wieder zu gehen. Letzterer traute sich gerade nicht in Eriks Gedanken und wusste auch, dass er es besser sein lassen sollte.

Draußen in der Pariser Innenstadtluft steckte Erik die Hände in die Hosentaschen und atmete durch. Die Augen für einen Moment geschlossen.

"Alles in Ordnung, Erik?", fragte Charles vorsichtig.

"Ja, es geht. Aber ich würde jetzt gerne, etwas Schönes machen. An was anderes denken."

"Was schwebt dir vor?"

"Weiß ich noch nicht."

"Hast du Hunger?"

"Am Verhungern bin ich nun nicht..."

"...aber Appetit habe ich.", ergänzte Charles Eriks Satz, den er schon häufiger auf diese Weise ausgesprochen hatte.

"Ja, kann man so sagen. Was schwebt dir vor?", Eriks Magen knurrte als Reaktion.

"Entscheide du. Du bist heute dran, ich schulde dir ein Entschuldigungsessen."

"Ich würde gerne zu Au père Verney wegen des Steak au poivre, allerdings ist es da immer so eng. Vom Paltz her meine ich und auf die Dachterrasse kommen wir sowieso nicht."

"Ich habe zwar gerade keine Ahnung, was das heißen soll, ich bin Amerikaner, aber Steak habe ich verstanden. Klingt gut."

"Das erste war der Name des Restaurants und das andere ist ein Gericht mit Steak und Pfeffersahnesoße. Aber eigentlich geht's mir eher um die Kartoffeln, die nur dieses Restaurant dazu macht.", Erik schmunzelte: "Wir können da aber nicht hin..."

"Wieso nicht?"

Erik nickte auf Charles Stuhl: "Ich habe eher an dich gedacht... Wir sollten den anderen Rollstuhl holen. Der elektronische ist zu breit... Ich denke, der... den ich schieben kann ist besser. Wegen dem Platz und so weiter."

Charles lachte: "Aaaach, daher weht der Wind... Der werte Herr, möchte sein Liebling lieber durch die Gegend fahren."

Erik presste die Lippen aufeinander, als fühlte er sich ertappt.

"Nein, sag nichts. Komm. Wir gehen noch einmal zur Wohnung. Wahrscheinlich hast du selbst mit dem Platz dort recht.", Charles drehte sich um und machte sich auf den Weg.

"Dass ich das französische Gericht wegen der Kartoffeln mag, stimmt aber!", erklärte Erik kleinlaut und hielt sich beim prompten hinterher laufen den Hut.

In der Wohnung angekommen, zog sich Charles so schnell es ging um. Doch er war nicht der langsamere von beiden, selbst wenn er seine Beine nicht bewegen konnte. Erik brauchte immer länger, um sich fertig zu machen.

Manchmal hatte Charles allerdings das Gefühl, dass Erik absichtlich so lange brauchte, um ihn zu ärgern oder damit er sich wegen seines Handicaps nicht schlecht fühlen musste. Oder es lag an beidem. Oder manchmal an dem einen und manchmal an dem anderen.

Aber am wahrscheinlichsten war, dass Charles in Eriks emotionale Achterbahnfahrt zu viel hineininterpretierte und er war einfach so. Und das war auch süß so.

Denn:

Eine dreiviertel Stunde später hatte Erik fünfmal das Outfit gewechselt, sechsmal überprüft, ob er wirklich alle Stoppeln am Kinn erwischt hatte und mindestens zehn ... zwanzigmal gefragt, ob er denn den grünkarierten oder blaukarierten Krawattenschal wählen sollte.
Dann machte Charles den Fehler zu sagen: "Es sieht beides gut aus.", welche Aussage er sofort bereute.

You are not alone: Even in your dreamsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt