34 - New Orleans 1994 - 24. Juni - Teil I

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Am nächsten Morgen war Charles früh wach. Er weckte Erik ungewollt, als er sich in den Rollstuhl setzte. Er hatte wirklich versucht, leise zu sein. Aber das war nicht besonders einfach. Einerseits, da Erik einen leichten Schlaf hatte und beinahe bei jedem Geräusch wach wurde, und andererseits konnte Charles eben nicht auf Zehenspitzen davonschleichen.

"Brauchst du Hilfe...", murmelte Erik.

"Nein, alles gut. Brauchst du vielleicht Hilfe?", fragte Charles stattdessen, da Erik etwas umgab, dass Charles nur als dicke Gedankengewitterwolke beschreiben konnte. Vielleicht könnte er einige davon vielleicht davonwehen lassen.

"Finger weg von den Gedanken, das sind meine.", gab Erik von sich. Er wollte wohl zumindest nicht diese Art Hilfe. Charles schluckte. Erik hatte sehr wohl bemerkt, dass er nachgeschaut und über telepathische Eingriffe nachgedacht hatte.

"Entschuldigung. Ich wollte frühstücken gehen.", antwortete Charles.

Erik drehte sich noch einmal um und zog die Decke bis über den Kopf. Doch die schirmte Charles Telepathie nicht ab. "Hm... Tu das...", säuselte Erik.

"Willst du mitkommen?", fragte Charles und ahnte, dass er eher liegen bleiben wollte.

Ein schwer deutbares: "Hmhm...", kam zurück.

"Was meinst du damit? Mit dem kleinen Geräusch kann man je nach Betonung viel ausdrücken."

"Nein... Schlafen..."

"Willst du nachkommen?"

"Hmhm...", gab Erik als Antwort zurück. Seine Betonung gab keinen Aufschluss darüber, ob er nun ja oder nein meinte. Er schlief so gleich wieder ein. Charles beschloss, sich überraschen zu lassen und ihn nicht nochmal zu wecken, da er häufiger Phasen hatte, in denen er gar nicht schlafen konnte.

Im Speisesaal sah Charles sich nach Ororo und Remy um. Ororo winkte ihn zu sich.

"Guten Morgen, Charles.", begrüßte sie ihn lächelnd. Auch Remy begrüßte ihn. Dann sah er neugierig links und rechts an Charles vorbei: "Wo ist Erik?"

"Er schläft noch. Ich glaube, das war alles ziemlich aufregend und stressig.", erklärte Charles.

Remy nickte: "Ja, na gut. Ich brauche auch manchmal ein bisschen Zeit, um mich an neue Orte zu gewöhnen."

"Das ist ein guter Punkt.", bestätigte Charles: "Vielleicht ist es bei ihm auch so. Warum bist du eigentlich mit ihm mitgegangen?"

Remy tunkte sein Croissant in einen dicken Klecks Marmelade. Dabei erzählte er Charles: "Hmmm... Ich habe ihm irgendwie vertraut. Er hat mir erst nicht geglaubt, dass diese Julia Bühler meine Mutter ist, aber dennoch war er der erste, der mir überhaupt zugehört hat. Bevor ich bei Franky bei der Organisation gewohnt habe, habe ich noch bei meiner Mutter gelebt. Ich war allerdings ein anstrengendes Kind. Ich habe ständig in der Schule Ärger gehabt und konnte auch kein bisschen stillsitzen. Ein guter Schüler bin ich auch nicht. Das hat sie echt mitgenommen. Ihr schwebte ein etwas fleißigeres Kind vor. Sie musste sowieso viel arbeiten und war oft weg. Daher hatte ich immer wechselnde Nannys. Das hat mich als Kind noch mehr verunsichert. Ich wusste nicht, zu wem ich eine Bindung aufbauen soll. Dann bin ich oft weggelaufen und zu den Partnern gegangen, die meine Mutter hatte. Aber das nervte mich so langsam alles, und ich dachte, bei meinem richtigen Dad könnte es vielleicht ganz in Ordnung sein. Vielleicht."

"Wechselnde Nannys sagst du...", wiederholte Charles.

"Ja, das hat Erik auch geschlussfolgert. Dass meine Maman vielleicht gar keine Nannys engagiert hat, sondern sie die Nannys war. Ich habe sie dann nicht erkannt, weil sie so lange weg war. Sie hätte aber auch etwas sagen können. Wenn das denn überhaupt stimmt. Vielleicht hat sie mich auch einfach allein gelassen und Nannys geschickt. Muss doch echt hart sein, wenn selbst dein Kind dich nicht wieder erkennt, oder?", Remy trank seinen Kakao schlürfend aus: "Richtig blöde Mutation."

You are not alone: Even in your dreamsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt