26 - Oxford 1988 - 1. Juli - Teil I

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Charles träumte meistens recht klar. Er hatte auch kaum Probleme damit, den Inhalt seiner Träume zu bestimmen. Manchmal führte es ihn auch zu einer Antwort auf seine Fragen. Heute befand er sich im englischen Oxford im Sommer 1988. In dem Jahr, in dem Erik mit Julia Bühler zu tun hatte. In den Sommermonaten lehrte er normalerweise an der Oxford University, wenn seine Schüler in den USA Ferien hatten.

"Und das ist der Grund, warum das X-Gen auf molekularer Ebene bisher nicht deaktiviert werden kann, wenn es denn einmal aktiviert wurde. Die neurologischen Signale, die vom Hirnstamm ausgehen, erlauben eine Deaktivierung auch für einen kurzen Zeitraum nicht. An dieser Stelle machen wir nächste Woche weiter. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.", beendete Charles gerade seine Vorlesung und erhielt Applaus vom Publikum.

Heute hatte er einen besonderen Gasthörer im Saal entdecken können. Er saß in der vorletzten Reihe mit einem Notizbuch in den Händen. Er schrieb fleißiger mit als so manch anderer im Saal. Seine Schiebermütze lag auf dem kleinen Klappschreibtisch vor ihm und seine braune Lederjacke auf dem Schoß. Es war Erik.

Als sich der Saal leerte, blieb er oben in den hohen Rängen sitzen. Er sah zu Charles hinunter. Er erwiderte Charles Lächeln kaum bis gar nicht. Ihm schien nicht nach Lächeln zumute. Als alle gegangen waren, stand er auf und kam die Treppe herunter.

"Hallo Erik! Wie schön, dass du hier bist. Was machst du hier?", begrüßte ihn Charles herzlich.

"Hallo.", erwiderte Erik eher kühl und legte seine Jacke über den Arm. Mütze, Stift und Buch verstaute er in seiner Tasche. Dabei kommentierte er irritiert: "Du trägst meinen Rollkragenpullover."

"Bitte?", Charles sah an sich herunter. Er trug tatsächlich Eriks schwarzen Pullover, den er einmal bei ihm zuhause vergessen hatte. Er war nicht zu warm, da der Sommer bisher noch auf sich warten ließ.

"Du trägst meinen Rollkragenpullover."

"Ach so. Ja... Du hast ihn bei mir zuhause in Westchester damals vergessen und nie abgeholt, also... Ich weiß, das ist über 20 Jahre her, aber...", stammelte Charles.

"Verstehe. Behalte ihn.", sagte Erik und nickte: "Steht dir."

Warum nur war ausgerechnet der Pullover das Erste, worüber er sprach? Charles hätte damals vor Peinlichkeit im Boden versinken können. Er hatte den Pullover seit den 60ern immer mal wieder hervorgeholt und wusste auch nicht so genau, warum. Manchmal fühlte er sich dann besser.

Dann schwiegen sie eine Weile. "Willst du in mein Büro kommen? Ich habe dort eine Kaffeemaschine...", versuchte Charles, das Gespräch weiterzuführen.

"Das klingt gut...", Erik folgte ihm und schloss anschließend die Tür des Büros. Charles machte die Kaffeemaschine an und stellte zwei Tassen bereit.

"Ein Schuss Milch, kein Zucker? Ist das so geblieben?", fragte er.

Erik nickte und hängte seine Jacke über die Rückenlehne des Stuhls. Anschließend krempelte er die Ärmel seines Hemdes hoch. Es lag eine Strategie darin, zumeist langärmelige Kleidungsstücke zu tragen. Er wollte unangenehme Gespräche über die Zahlen an seinem Arm vermeiden. Sie waren mittlerweile ein Stück mehr verblasst.

"Warum lässt du es nicht entfernen, wenn es dir unangenehm ist?", kommentierte Charles sein Treiben.

"Es entfernen? Spinnst du eigentlich?", Erik blinzelte vor Ungläubigkeit.

"Ich dachte, es ist dir unangenehm.", erwiderte Charles kleinlaut.

"Das würde sich anfühlen, als würde man einen Teil von mir entfernen."

Diese Erklärung ließ Charles unkommentiert so stehen. Die Kaffeemaschine brummte und er befüllte die Tassen.

"Hier bitte.", er reichte Erik die Tasse und setze sich ihm am Schreibtisch gegenüber.

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