Charles blieb noch eine Weile und ließ Erik noch nicht allein. Wahrscheinlich würde er erst am Ende der Besuchszeit gehen. Doch damit ihm nicht langweilig wurde, wollte er sich ein Buch aus einem der Aufenthaltsräume holen. Er wurde erst in einer anderen Station fündig und konnte nur ein englischsprachiges Buch finden. Es war The Great Gatsby aus den 1920er-Jahren von F. Scott Fitzgerald. Ein wirklicher Klassiker, dachte Charles.
Als er das abgenutzte Buch in den Händen hielt, kommentierte eine andere Besucherin, die wie üblich mit Charles Französisch sprach: "Den alten Schinken hat hier bestimmt jemand absichtlich liegen lassen."
"Nun, ich habe keine große Auswahl."
"Sie könnten ein französisches Buch probieren."
"Ich bin noch nicht so geübt im Französischen."
"Dann werden Sie besser."
"Was würden Sie mir denn empfehlen?"
"Sie scheinen ein Freund der Klassiker zu sein, oui?", die Frau ließ ihren Zeigefinger über die Rücken der spärlichen Sammlung wild zusammen gestellter Bücher schweifen.
"Nun zumeist.", antwortete Charles und sah zu, wie sie ein Buch aus der Aneinanderreihung hervorholte.
"Versuchen Sie es mal damit. L'Étranger von Albert Camus. Er hat es 1942 geschrieben."
"Der Fremde.", übersetzte Charles.
"Genau."
"Worum geht es?"
"Es geht um einen Mann, der die Welt als grausam und von Gott verlassen empfindet. Er lebt in Algerien, damals noch französische Kolonie, und wird des Mordes angeklagt. Ihm droht die Todesstrafe und er reflektiert, wie es nur so weit kommen konnte."
"Und weiter?", fragte Charles ehrlich interessiert.
Dann fing die Frau herzlich an zu lachen: "Keine Ahnung, ich habe es nie gelesen und nur den Klappentext frei zusammengefasst."
Auch Charles musste kurz lachen: "Dann muss ich es wohl selbst herausfinden. Mein ähm... Mein... Freund, den ich hier besuche, wird mir zwar ab und an beim Übersetzen helfen müssen, aber das wird schon."
"Berichten Sie mir gerne, worum es in dem Buch geht, wenn Sie so weit sind. Ich bin noch eine Weile hier. Meinem Vater geht es nicht gut. Ich denke, er schafft es nicht mehr hier raus.", erklärte die Frau.
"Das tut mir leid."
"Danke... Aber er ist mittlerweile 91. Er hat seinen Frieden mit der Welt geschlossen."
"Das ist immerhin beruhigend, oder?"
"Ja. Ja, das ist es. Danke, dass Sie mich eben beim Bluffen ertappt und zum Lachen gebracht haben."
"Wie meinen Sie das?"
"Ich habe keine Ahnung von Literatur und sie haben es mir abgekauft, ich würde den Inhalt des Buches kennen und schätzen." Nur um Ihnen sympathisch zu sein, dachte die Frau, das wusste Charles.
"Nun, sie haben gut geblufft. Ich bin darauf reingefallen.", erwiderte er.
"Ich bin übrigens Emilie.", sagte sie.
"Charles."
"Dann nehmen Sie Ihr Buch und berichten mir vom Inhalt, Charles. Vorausgesetzt Sie verstehen es."
"Das werden wir sehen.", Charles schmunzelte und verließ die Dame wieder.
Zurück auf der richtigen Station, das Buch im Schoß, sah Charles Dr. Gordinier aus Eriks Zimmer kommen.
DU LIEST GERADE
You are not alone: Even in your dreams
Fanfiction☀️ Es ist Sommer 1994 auf dem veränderten Zeitstrahl. Charles Xavier und Erik Lehnsherr haben sich ihre Liebe zueinandergestanden und leben in einer gemütlichen Wohnung in Paris. Doch Erik ist in letzter Zeit von Albträumen geplagt, die auch Charles...