39 - Düsseldorf 1938 - 9. und 10. November

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Erik musste nicht auf dem Sofa schlafen.

Er hatte sich zusammengerissen und nicht darüber gelacht, dass die freundliche Vermieterin Charles zum Rummikub-Abend mit ihren Freundinnen einlud und keine Ehemänner erlaubte. Vielleicht würde Charles tatsächlich hingehen. Er wusste es noch nicht. Auch wenn Erik strenggenommen gar nicht in diese Kategorie gehörte. Sie waren ja nicht verheiratet. Charles entschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Denn es wurde Zeit zum Schlafen gehen, sie hatten einen langen Flug hinter sich.

Am nächsten Morgen dachte Charles beim Frühstück darüber nach, dass Erik ihm noch zwei Geschichten schuldig war. Erstens hatte er nicht von Nina erzählt, und zweitens hatte er nicht davon erzählt, warum er glaubte zu wissen, woher das Museum die Gegenstände aus dem Haus seiner Eltern hatte.

"Erik? Findest du nicht, dass du mir noch zwei Geschichten erzählen solltest?", fragte Charles, während Erik den Tisch abräumte.

"Wie meinst du das?", antwortete Erik und begann, das Geschirr abzuräumen.

"Ich meine... Ich habe dich darum gebeten, mir von Nina zu erzählen, und stattdessen erzählst du von Magda. Und gestern wolltest du nicht davon erzählen, warum du glaubst zu wissen, warum die Gegenstände im Museum sind. Warum wiegelst du das ab?"

Charles hatte eine Vermutung, warum er dies tat. Erik bestätigte sie sogleich. Erik warf grob das Geschirr ins Abwaschwasser. Charles kam herüber, um ihm zu helfen.

Erik antwortete nach einer Zeit des Schweigens: "Nun... Das sind Erinnerungen, die ich nicht so gerne noch einmal durchleben möchte. Darum tue ich es nicht. Obwohl es zumindest im Fall von Nina nur schmerzt, weil es so schön war und jetzt vorbei ist. Nichts weiter." Er wischte sich mit dem Handrücken über eines seiner geschlossenen Augen.

"Weinst du?", fragte Charles und nahm einen Teller zum Abtrocknen an.

"Nein. ", antworte Erik und spülte weiter. Seine Augen öffnete er wieder und nahm sich die Kaffeetassen vor.

"Hm.", Charles nickte: "Dann akzeptiere ich die Entscheidung, dass du nicht darüber sprechen willst."

Erik glaubte ihm nicht so ganz und schlussfolgerte: "Du bist aber immer noch neugierig. Stimmt's?"

"Schon. Aber ist in Ordnung."

"Na gut, aber sei gewahrt. Es ist nicht schön. Ich werde dir dann zuerst erzählen, was am 9. November 1938 passiert ist. Also, wieso meine Familie ihren ganzen Besitz verloren hat. Meine Schwester ist an dem Tag gerade sechs geworden. Ob du es glaubst oder nicht, aber das zu erzählen, fällt mir leichter, als über Nina zu sprechen.", er atmete aus und räumte das abgetrocknete Geschirr weg. Sie setzten sich danach ins Wohnzimmer.

"Ich denke, ich fange mündlich an. Wenn du immer noch live in meinen Erinnerungen rumrennen willst, was ich nicht empfehlen würde, dann geht das danach immer noch... Du weißt, was am 9. November gewesen ist?", fragte Erik.

Charles musste mit dem Kopf schütteln. Eriks Antwort wurde recht rabiat: "Das war der Tag, an dem sich mein Leben für immer geändert hat. Die Nacht heißt Pogromnacht... In der Nacht und am Abend sind überall in Deutschland Synagogen angezündet und zerstört worden. Auch den meisten Jüdinnen und Juden sind tyrannisiert und ihres Besitzes beraubt worden. Einige nennen es auch 'Reichskristallnacht', weil in den Innenstädten die Scheiben jüdischer Geschäfte eingeschlagen wurden. Wenn ich ehrlich bin, war das glaube ich, das Erlebnis, weshalb es mir so schwerfällt, irgendwann Vertrauen in die Menschheit zu fassen. Bei den Aktionen haben nicht nur Soldaten mitgemacht, sondern auch ganz normale Leute oder sogar Kinder."

Charles nickte und erinnerte sich davon schon gehört zu haben.

"Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier gerade den richtigen Weg gehe... Wir können es auch lassen...", meinte Charles.

You are not alone: Even in your dreamsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt