14 - Radom 1944 - 11. November

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Charles beobachtete einen Zug, der in einen Bahnhof irgendwo in Polen einfuhr. Zumindest sagte Eriks Erinnerungsspeicher, er sei irgendwo in Polen. Scheinbar kannte er sich hier auch nicht aus. Radom hieß dieser Ort den Schildern am Bahnsteig nach zu urteilen. Der Zug hielt an. Die Bremsen quietschten und zischten ohrenbetäubend. Einige Funken sprühten, als er Zug zum Stehen kam. Diese Szene ließ schreckliches erahnen. Doch aus dieser Erinnerung konnte Charles sich gerade nicht befreien. Erik war zu fixiert.

Dann tauchte ein Mann neben ihm auf, den er bereits einmal gesehen hatte. Sebastian Shaw oder wie er damals noch hieß, Klaus Schmidt. Er trug eine halbrunde randlose Brille und einen schwarzen langen Regenmantel. Es war abstoßend mit anzusehen, aber er hatte einen Arm um den vor ihn stehenden Erik gelegt. Mit dem anderen zeigte er in Richtung des Zuges. Wie Angehörige, die sehnsüchtig auf ein Familienmitglied warteten, dass gleich aus diesem Zug steigen würde.

"Der Zug kommt aus Warschau, Erich.", begann Klaus Schmidt zu sprechen: "Du warst auch im Warschauer Ghetto, oder? Du bist auch mit so einem klapperigen Zug gefahren. Das tut mir leid, mein Sohn."

Charles hatte nie verstanden, was in diesem Gehirn vorging, Erik als seinen Sohn zu bezeichnen. Das hatte er schon einmal erwähnt, dass Schmidt ihn auf eine gar krankhafte Weise so betrachtet hatte.

Erik nickte kurz. Aber schwieg. Er versuchte, nicht zu genau auf den Zug zu achten.

Ein Mann in deutscher Wehrmachtsuniform sprang aus der Lock und salutierte in nationalsozialistischer Manier vor Schmidt.

"Gefreiter Sindermann Jürgen, mein Name. Also... Wir haben alle Männer eingesammelt, bei denen es sich vom Alter und von der Verhaltensweise, um den Gesuchten handeln könnte. Alle waren maßgeblich letztes Jahr am Aufstand im Warschauer Ghetto beteiligt. Sie sind im letzten Wagen.", erklärte der Soldat namens Jürgen Sindermann.

"Vielen Dank, Gefreiter Sindermann. Komm, Erich. Jetzt suchen wir deinen Onkel Paul.", Schmidt zog Erik mit sich und lief zum Ende des Zuges. Er wandte seinen Blick vom Zug ab.

Jürgen Sindermann öffnete den beiden das letzte Abteil des Zuges. Darin saßen acht junge Männer mit verbundenen Händen und geknebelten Mündern. Sie sahen allesamt elend aus.

Erik stand vor der offenen Wagentür und starrte auf die für ihn zu hohe Kante, die er nicht mit einem einfachen Schritt hätte überwinden können. Es war ein Güter- und kein Personenzug. Eine Trittstufe gab es nicht. Erik hätte vielleicht rückwärts hineingekonnt, indem er sich zunächst auf die Kante setzte und sich mit den Armen hochhievte. Schmidt dauerte dies zu lange. Er griff unter Eriks Arme.

"Und hopp...", sagte Schmidt, während er Erik in den Wagen hob: "Du bist leichter geworden... Geben sie dir nicht genug zu essen, Erich? Das muss sich ändern." Es war auf jeden Fall nicht normal, dass Schmidt einen Vierzehnjährigen mit einer derartigen Leichtigkeit hochheben konnte. Entweder war Schmidt sehr stark oder Erik nicht seines Alters entsprechend schwer. Schmidt und Sindermann stiegen mithilfe einer Räuberleiter in den Wagen.

Erik sah die acht Männer kaum an und senkte seinen Blick auf den Boden: "Mein Onkel ist nicht hier."

"Bist du dir da sicher?", Schmidt wies Sindermann an, Erik an den Armen festzuhalten.

"Dann macht es dir sicher nichts aus, wenn wir eine Übereinkunft treffen. Du zeigst mir, wer dein Onkel ist, und ich lasse die anderen hier und jetzt frei. Sagst du es mir nicht, töte ich alle von ihnen.", Schmidt lächelte schelmisch, während er genau eine Patrone in seine Pistole lud. Vermutlich dachte er, mehr bräuchte er nicht, um Erik zum Sprechen zu überreden.

Das Angebot, dass Schmidt die anderen frei lassen würde, hielt Charles für unwahrscheinlich und perfide. Alle bis auf Paul Lehnsherr sollten in diesem Zug bleiben. Wo auch immer er als nächstes hinfuhr. Charles wollte es nicht wissen, aber eigentlich war das Ziel klar.

You are not alone: Even in your dreamsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt