41 - Paris 1994 - 28. Juni

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Nachdem beide etwas wacher geworden waren und sie Eriks Erinnerungsspeicher wieder verlassen hatten, herrschte eine Weile Stille. Erik schaute Charles so an, als müsste er jetzt etwas sagen. Doch er wusste nicht, was es zu sagen gäbe.

"Ich weiß nicht, was ich sagen soll...", teilte Charles ihm also mit.

Erik nickte. Er atmete nach einer Weile aus und sagte: "Nun ja... Jetzt kennst du sowohl Teile meiner Kindheit als auch mein... eigenes Kind..."

Charles musste sich noch einmal durch das Gesicht reiben, um mit diesen Erinnerungen zurecht zu kommen. Hatte er gerade gedacht, er wüsste alles über Erik, kam immer noch eine Schubkarrenladung dazu. Dabei hatte er ihm vermutlich immer noch nicht die schlimmsten gezeigt.

"Nina hat ihre Fähigkeiten also hervorgerufen, weil sie einen Fahrradunfall gehabt hat und diesen Abhang herunter gefallen ist...", kommentierte Charles.

"Das ist richtig. Sie hatte sich allerdings tatsächlich den Arm zumindest leicht gebrochen...", antwortete Erik.

"Wie kann man sich denn den Arm leicht brechen?"

"Ja, er war schon richtig gebrochen. War ein wenig meine Schuld, ich war vielleicht zu unvorsichtig mit ihr."

"Das hätte jedem passieren können, Erik.", versicherte Charles.

"Na, wenn du das sagst..."

"Nina sah Magda sehr ähnlich, aber hatte die Schlagfertigkeit von dir.", stellte Charles fest.

"Oh, wenn du das sagst. Allerdings sind die Erinnerungen bestimmt auch durch meine Erfahrungen gefärbt.", Erik lachte etwas auf.

"Gut möglich. Danke, dass ich sie kennenlernen durfte... Das bedeutet mir viel. Vor allem, nachdem Remy... Nicht mehr hier ist.", bedankte sich Charles und fügte hinzu: "Ich weiß, wie du dich fühlst." Doch er bereute seinen letzten Satz im nächsten Moment. Vielleicht war er taktlos gewesen. Remy war weder sein Sohn noch gestorben wie Nina.

Charles ging im selben Moment auf, dass seine Probleme eigentlich nichtig waren. Er hatte zwar nie ein eigenes Kind gehabt und wird wahrscheinlich auch nie eins haben, aber Erik hatte seines verloren. Das war nicht dasselbe.

Erik hatte leider tatsächlich auf den letzten Satz reagiert, räusperte sich und sah aus dem Fenster. "Was weißt du schon...", seufzte er.

Charles schluckte und wollte nach Eriks Hand greifen, doch er zog sie weg.

"Tut mir leid.", entschuldigte sich Charles stattdessen.

Erik sah weiter nach draußen aus dem Fenster. Er schien sich heute schon an zu viel erinnert zu haben. Vielleicht brauchte er Ablenkung. Oder irgendetwas anderes. Charles war sich da nicht so sicher. Er entschied sich dazu, erstmal auf Erik zu warten, was er tun oder sagen würde. Auch seine Gedanken ließ er in Ruhe.

Eine Weile blieb Erik still, bis er sich wohl etwas von der Seele reden musste: "Weißt du... Als meine Schwester Klara gestorben ist, hat meine Mutter gesagt, das Schlimmste auf der Welt ist, wenn das eigene Kind vor den Eltern stirbt. Ich habe das zwar irgendwie verstanden, ich sah ja, wie traurig sie war, aber als Kind habe ich es nicht auf ihre Weise verstanden. Doch als... meine eigene Tochter... gestorben ist, habe ich sie verstanden. Auch verstanden, wieso meine Mutter Gott regelrecht angefleht hat, ihr Leben gegen Klaras einzutauschen. Das habe ich dann auch verstanden. Aber Gott gönnt ihr und mir keine Pause. Das weiß ich jetzt. Und ich hoffe, dass du nicht auch noch wegen mir Schaden nimmst. Unterbewusst habe ich mich auch von dir ferngehalten, weil ich alles zerstöre oder von irgendwem zerstört wird, was ich anfange zu lieben. Darum dachte ich, wenn ich jemanden, den ich liebe, beschützten will, müsste ich ihn wegstoßen und von mir fernhalten."

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