Kapitel 04 - Alva

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Die nächsten Tage verliefen ohne jegliche Vorkommnisse. Ich arbeitete im Copy-Shop in jeder freien Minute die ich hatte. Meinen Vater sah ich nur selten, da er momentan sehr viel auf der Arbeit zu tun hatte. Ich fand es nicht schlecht, denn solange er arbeiten war, konnte er sich nicht komplett zur Bewusstlosigkeit betrinken und unser komplettes Geld verspielen.
Cara schickte mir unzählige Bilder von ihrer kleinen Reise, die sie unternahm. Sie hatte zwar zu mir gesagt, dass Smartphones auf dem Campingausflug nicht erlaubt waren, aber ich hatte bereits damit gerechnet, dass Cara sich nicht daran halten würde. Zu gerne zeigte sie jedem, was sie gerade erlebte. Unzählige Selfies und Bilder von Landschaften füllten meine Fotogalerie. Es freute mich, dass sie so viel Spaß hatte.
Sie hat mir oft geschrieben, dass sie mich gerne dabei gehabt hätte und es mir sicher gefallen hätte. Jedes Mal hatte ich ihr geantwortet, dass ich vielleicht beim nächsten Mal dabei sein würde, obwohl das nicht stimmte. Es war viel einfacher, über Text zu lügen.
Wenn man mich genug kannte, wusste man, dass ich Änderungen meines Tagesablaufes zutiefst hasste.
Und genau deswegen raufte ich mir gerade die Haare, als ich mich vom Copy-Shop losmachen wollte, um meine Pause am naheliegenden Park zu verbringen und genau in diesem Moment meine schwarze Tasche komplett auseinanderriss.
Das hatte ich im Moment nun wirklich nicht gebraucht. Nicht nur, weil es meinen Plan durcheinander brachte - schließlich musste ich mir nun eine neue kaufen, denn ohne Tasche war ich aufgeschmissen - sondern es kostete auch Geld, welches ich mit Sicherheit nicht hierfür ausgeben wollte.
Ich lebte minimalistisch, auch wenn ich überhaupt keine andere Wahl hatte. Jedoch hatte ich dadurch gelernt, nichts als selbstverständlich zu sehen. Ich ging gut mit meinen Sachen um, umso mehr schmerzte es, dass meine Tasche jetzt nach fünf Jahren gerissen und komplett kaputt war.
Der Inhalt meiner Tasche erstreckte sich über den ganzen Vorraum des Copy-Shops. Ich fluchte leise herum, während ich meine Sachen wieder zusammen suchte.
„So eine Scheiße.", zischte ich, als Mike gerade von der Toilette wiederkam und das Chaos betrachtete.
„Was ist denn hier passiert?", fragte er mich, bückte sich nun auch hinunter, um mir zu helfen, mein Zeug zusammen zu räumen.
„Meine Tasche ist gerissen.", seufzte ich und nickte zu meiner schwarzen Tasche, die neben mir auf dem Boden lag. „Anscheinend muss ich wohl heute in die Stadt und mir eine neue kaufen."
„Soll ich dir eine Stofftasche geben? Dann kannst du, bis du eine neue hast, deine Sachen darin verstauen.", bot er mir an und sofort, als er meinen dankbaren Blick bemerkte, nickte er und trat hinter den Tresen, um dort herumzuwühlen und zu suchen, bis er das Gesuchte in der Hand hielt. „Hier, bitte."
„Ich danke dir."; sagte ich ehrlich und stopfte mein Zeug in die kleine Stofftasche. Es passte gerade so alles hinein.
„Mach doch schon einmal Feierabend, Alva. Dann hast du genug Zeit für die Stadt." Mike schenkte mir ein mitfühlendes Lächeln, während ich den Kopf schüttelte.
„Nein, wir haben noch ein paar Aufträge und da lasse ich dich nicht alleine. Ich komme später schon irgendwie in die Stadt.", seufzte ich und stand nun aus meiner Hocke auf.
„Es sind Ferien. Da haben wir nicht so viele Aufträge. Also bitte, sieh es als Befehl deines Chefs - mach Feierabend." Ich seufzte nochmals, als ich nun zustimmend nickte.
„Na gut."
Genau dann, als ich mich fertig gemacht hatte, um aus dem Laden zu gehen, ertönte die kleine Klingel über der Tür, die deutete, dass jemand den Laden betrat.
Als ich mich an den geglaubten Kunden wandte, erstarrte ich, als mich blaue Augen ansahen.
Der Teufel selbst stand hier im Laden, mit einem schiefen Grinsen, als er mein Gesichtsausdruck bemerkte. Ohne ein Wort zu sagen, lief er an mir vorbei, direkt zu Mike, der ihn höflich anlächelte, jedoch konnte ich genau sehen, wie Mike versuchte, seine Augenbrauen nicht zusammen zu ziehen. Ich glaubte, er wusste, wer hier vor ihm stand. Silver war schließlich stadtbekannt. Kaum einer wusste nicht von seiner Existenz.
„Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?", begrüßte Mike den jungen Mann vor ihm, sichtlich verwirrt, was er hier tat. Unsere Hauptkunden waren eher Studenten, Geschäftsmänner oder ältere Menschen, die keinen Computer und Drucker besaßen. Schüler aus der Highschool waren selten hier.
Silver sah über seine Schulter hinweg zu mir. Noch immer stand ich wie erstarrt da. Ich wusste nicht, was zum Teufel er hier eigentlich zu suchen hatte. Wusste er etwa, dass ich hier arbeitete?
Genau als ich mich dies fragte, sagte Silver etwas zu Mike, was mir meine Antwort gab.
„Ich würde gerne von ihr bedient werden.", sprach der blauäugige junge Mann mit rauer Stimme und zeigte auf mich. Mein Hals wurde komplett trocken.
„Oh, das tut mir leid. Alva hat Feierabend. Aber ich kann Ihnen auch gerne weiterhelfen."
„Feierabend, also? Na, dann komm ich wann anders wieder." Und damit wandte sich Silver von Mike, ohne ihn auch nur einen Blickes zu würdigen, und genauso lief er auch an mir vorbei, direkten Weges aus dem Laden hinaus. Sobald die Tür hinter ihm zufiel, merkte ich, wie ich fast die ganze Zeit die Luft angehalten hatte und sofort schnappte ich verzweifelt nach Sauerstoff.
„Wow.", lachte Mike los, bekam somit meine Aufmerksamkeit. „Alva, was hast du denn mit Silver King zu tun?"
„Er geht auf meine Schule." Ich zuckte mit meinen Schultern, als wäre das Antwort genug. Mike hob seine Augenbrauen und sah mich an, als hätte ich komplett den Verstand verloren.
„Dir ist bewusst wer er ist, oder? Und wieso ihn jeder in dieser Stadt kennt?" In seiner Stimme schwang Sorge mit, als ich zustimmend nickte.
„Er wollte wahrscheinlich irgendwas Drucken lassen oder so. Er weiß, dass ich auf die gleiche Schule gehe, deswegen wollte er bestimmt von mir bedient werden.", versuchte ich eine Erklärung für Silvers Auftauchen zu erfinden, doch Mike kaufte es mir nicht ab.
„Pass ja auf dich auf, Alva. Ich denke nämlich nicht, dass er für ein paar gedruckte Blätter hier aufgetaucht ist. Er ist gefährlich und gewalttätig." Sofort, als Mike diese Wörter aussprach, stieg die Wut in mir.
Ja, natürlich, ich hatte vor nicht einmal einer Woche beobachtet, wie Silver einem Schüler fast den Kopf eingeschlagen und dem anderen das Bein gebrochen hatte, aber es bedeutete nicht, dass er all das war, was Leute über ihn behaupteten. Schließlich sollte man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Silver einfach nur Mason geholfen hatte - auch wenn seine Vorstellung von Hilfe nun wirklich nicht der Norm entsprach.
Silver strahlte pure Gefahr und Dunkelheit aus, dass war mir bewusst, aber genauso bewusst war mir auch, dass niemand ihn wirklich kannte. Auch ich nicht.
Mein Kopf begann zu schmerzen.
„Ist in Ordnung, Mike. Ich werde jetzt losgehen, sonst verpasse ich meinen Bus.", wechselte ich schnell das Thema. Ich wollte nicht weiter über Silver reden oder auch nur nachdenken. Es hatte kein Sinn.
„Bis morgen dann."
Ich trat aus dem Copy-Shop heraus, krempelte die Ärmel meines Pullovers nach oben, als ich eine Gestalt im Augenwinkel links von mir erkennen konnte.
„Ich wusste gar nicht, dass Silver King gerne Stalker spielt.", sprach ich, ohne ihn auch nur anzusehen. Ein raues Lachen ertönte neben mir.
„Es war nicht sonderlich schwer herauszufinden wo du arbeitest.", antwortete er mir, während er sich von seinem Motorrad abstieß und langsamen Schrittes auf mich zu lief.
Die Sonne schien, erwärmte die Erde, während Silver mir näher kam und eine unglaubliche Kälte mit sich zog.
„Ich habe auch nie ein Geheimnis darum gemacht. Du hättest auch einfach fragen können."
„Das hätte nicht so viel Spaß gemacht." Als ich mich traute ihn anzusehen, erkannte ich direkt sein amüsiertes Lächeln und wieder erzitterte ich, während die Wärme in meine Wangen schoss - sowie zwischen meine Beine. Wie schaffte er das nur? Noch nie hatte ein Mensch mich so zu einem kleinen Wrack meiner eigenen Gefühle gemacht und das nur mit seiner Existenz.
Augenblicklich trat ich einen Schritt von Silver weg.
„Interessant, was du unter Spaß verstehst." Seine Augen studierten mein Gesicht, während ich meine Worte aussprach. „Was willst du hier, Silver? Ich habe leider keine Zeit, um mich mit dir zu beschäftigen. Ich muss noch wohin."
Scheinbar erstaunt durch mein Gesagtes, hob er seine Augenbrauen und kam einen weiteren Schritt auf mich zu.
„Denkst du, es wäre schlau von dir, mich einfach so stehen zu lassen?", erwiderte er. Ich ermahnte mich keine Reaktion zu zeigen. Nun zuckte ich mit meinen Schultern und richtete meine Brille.
„Das kennst du wohl nicht, nehme ich an." Ich war unter Zeitdruck. Mein Bus würde jede Minute kommen und würde ich diesen verpassen, konnte ich mir dir Stadt abschminken für heute. Die Busverbindungen hier waren eine reine Katastrophe und wenn man kein Auto besaß, war man ziemlich aufgeschmissen - so wie ich.
„Du bist ziemlich frech heute, Mauerblümchen." Ich zuckte zusammen, als er seine Hand nach mir ausstreckte und eine Strähne meiner Haare zwischen Zeige- und Mittelfinger nahm. „Gefällt mir."
Diese verdammte Hitze zwischen meinen Beinen würde mich noch umbringen.
„Danke?" Unfähig irgendetwas zu machen, starrte ich ihn an, während er ein schiefes Lächeln auf seinen Lippen trug, welches jedoch nicht seine schönen blauen Augen erreichte.
Auch mit einem Lächeln in seinem Gesicht, konnte man nicht erahnen, was ihm durch den Kopf ging. Er war wie eine Statue, die keinerlei Emotion zeigte und es verunsicherte mich.
Im nächsten Moment hatte er seine Finger von meinen Haaren entnommen, schlenderte zurück zu seinem Motorrad und deutete mir mit einer kleinen Handbewegung ihm zu folgen.
Ich wog meine Optionen ab.
Sollte ich ihm folgen und herausfinden, wieso er hier war oder sollte ich einfach gehen, mit der Gefahr, dass ich das bereuen würde?
Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden lief ich ihm wie ein kleiner Welpe hinterher, denn meine Neugier siegte.
Silver war niemand, mit dem man Zeit verbringen sollte, jedoch war diese Dunkelheit, die ihn umgab, unglaublich anziehend und ich wollte wissen, was dahinter steckte.
Als ich bei ihm ankam, nahm er seinen Motorradhelm in die Hand und wandte sich an mich. Mit einer schnellen Bewegung hatte er mir meine Brille abgenommen und sie ihn seine Lederjacke gesteckt. Bevor ich jedoch was sagen oder maulen konnte umhüllte mich für einen Moment eine Dunkelheit, bis ich wieder Silvers Gesicht sehen konnte. Es dauerte nur eine Sekunde, da hatte er den Verschluss des Helmes geschlossen. Erst dann realisierte ich, dass er mir gerade seinen Helm ausgesetzt hatte.
„Was wird das?", fragte ich, als ich beobachtete, wie Silver sich auf sein Motorrad schwang und mich abwartend ansah. Er wollte doch nicht etwa-? „Oh, nein. Das kannst du vergessen! Ich steige doch nicht auf diese Todesmaschine, damit du mich entführen und irgendwo umbringen kannst!", wehrte ich mich augenblicklich und versuchte gleichzeitig den Verschluss des Helmes zu öffnen. Verdammt, warum bekam ich das nicht hin? Ein lautes Seufzen meinerseits war zu hören, als ich weiter mit dem Helm kämpfte.
„Todesmaschine? Pass lieber auf, was du sagst! Das ist eine Kawasaki Ninja H2!" Er zeigte auf die Maschine, auf der er saß. „Allein durch das Angebot mit dieser Schönheit mitzufahren solltest du schon feucht werden.", sprach er und wieder einmal wurde mein Mund staubtrocken.
„Vergiss es!"
„Du hast keine andere Wahl, Alva. Wohin du auch immer musst, dein Bus ist schon seit fünf Minuten weg."
Sofort kramte ich mein Smartphone aus meiner Hosentasche und musste feststellen, dass Silver recht hatte.
Also was sollte ich nun tun? Sollte ich meinen Ausflug in die Stadt auf einen anderen Tag verschieben oder sollte ich mein Leben in Silvers Händen legen, der sich mit Sicherheit nicht darum scherte?
„Fick dich.", zischte ich leise, aber ich konnte genau erkennen, dass Silver meine Nettigkeit gehört hatte.
Sofort schwang er sich wieder von seinem Motorrad - ich machte mich schon einmal auf meinen Tod bereit - als er mich einfach an meinen Hüften packte und mich auf die Maschine hob, als würde ich nichts wiegen. Keine Anstrengung war in seinem Gesicht zu sehen.
„Tu was ich dir sage, ansonsten zeige ich dir, was es bedeutet, von mir gefickt zu werden." Oh. „Also, wohin muss denn das Mauerblümchen?"
„Stadt.", war das einzige, was ich aus meinem Mund bekam, nachdem seine vorherigen Worte noch immer tief in meinen Knochen saßen.
Nun schwang er sich wieder auf sein Motorrad und startete augenblicklich den Motor. Er griff hinter sich nach meinen Händen und umschloss mit meinen Armen seinen Oberkörper.
„Festhalten, bis wir ankommen." Seine Stimme ließ kein Widerspruch zu. „Und entspann dich, sonst könnte das noch eine Höllenfahrt mit der Todesmaschine für dich werden." Und bevor ich hätte reagieren können, gab Silver bereits Gas. Sein Motorrad schnurrte vor sich hin, während ich ängstlich meine Augen zukniff und hoffte, dass ich diese Fahrt überleben würde.

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