Kapitel 05 - Alva

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Durch meinen Vater hatte ich keine Angst vor der Polizei, wie manch andere in meinem Alter, die gerne mal Scheiße bauten und Sachen trieben, die nicht wirklich legal waren. Vielleicht hatte ich auch keine Angst vor der Polizei, weil ich nie etwas getan hatte, um in einen Konflikt mit ihnen zu kommen. Ich war immer ein braves Mädchen gewesen, hatte nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, irgendwie auch nur ein Problem zu machen.
Und nun stand ich hier, mit der Spraydose in meiner rechten Hand, mein Smartphone in meiner linken, während mein Vater in seiner Polizeiuniform mich mit seiner Taschenlampe anleuchtete und deutlich der Schock in seinem Gesicht stand, als er seine einzige Tochter erkannte, die gerade noch die Wände eines Gebäudes voll gesprayt hatte, welches man nicht einmal betreten durfte. Ich war sowas von gefickt.

„Das ist ein Witz, oder?", fragte ich Silver, der noch immer mit diesem teuflischen Grinsen vor mir stand und nun eine Augenbraue hob.
„Welche Farbe möchtest du haben? Ich habe viele zur Auswahl."
„Silver, das ist Illegal.", versuchte ich ihm klar zu machen, aber er rollte mit den Augen und sah mich an, als wäre ich die Dumme von uns beiden.
„Das sagst du mir, während wir auf einem Grundstück stehen, dass wir nicht hätten betreten dürfen?", machte er sich über mich lustig und schlug sich die Hände gegen die Stirn. „Ich dachte, das wäre die Definition von Legal. Etwas betreten, auf dem ausdrücklich stand, dass man es nicht tun darf."
„Hey, hör auf dich lustig über mich zu machen!", schmollte ich und verschränkte meine Arme vor meiner Brust, wie ein zickiges kleines Kind.
„Alva, du machst dich gerade selbst zur Witzfigur. Vergiss mal diese ganze Scheisse und mach dir keine Gedanken, ob etwas legal oder illegal ist. Das macht dich langweilig.", seufzte er. Ich ignorierte dieses Stechen in meiner Brust, als er mich langweilig nannte. Ich war vielleicht eine Streberin, machte nie etwas anderes außer lernen, aber verdammt, ich war nicht langweilig. So etwas ließ ich nicht über mich sagen.
„Gib mir einfach irgendeine Farbe.", zischte ich und griff nach dem Inhalt des Koffers, worauf ich Rot erwischte. Ich kräuselte meine Nase. Rot war jetzt nicht unbedingt meine Lieblingsfarbe, aber ich kümmerte mich nicht länger darum und zog die Kappe von der Dose ab. „Arschloch."
„Das habe ich gehört, Mauerblümchen!", rief er mir zu, als ich mich von ihm entfernte, um einen freien Platz auf diesen Wänden zu finden. „Dafür sollte man dir den Hintern versohlen!"
Er lachte, als ich mich zu ihm wandte und mit der Kappe in meiner Hand nach ihm warf. Er wich geschickt aus.
Ich kaute auf meiner Wange herum, während ich die Dose in meiner Hand betrachtete und mir überlegte, ob und was ich sprayen sollte. Kurzerhand schüttelte ich die Dose, legte meinen Zeigefinger auf den kleinen Kopf und sprayte einfach das erste, was mir in den Kopf gekommen war, auf eine kleine freie Fläche der Wand.
Es sah nicht ordentlich aus oder professionell, aber was erwartete man von mir? Kunst war nun wirklich nicht meine Stärke.
„Ein Smiley? Wirklich? Etwas besseres ist dir nicht eingefallen?" Silver tauchte neben mir auf und schaute mich amüsiert an.
„Ich sagte doch, ich bin nicht kreativ." Und wieder einmal schmollte ich.
„Na ja. Für den Anfang ist das auch mal was anderes.", sprach er und schüttelte seine blaue Dose, worauf er dem Smiley noch eine Zunge hinzugab. „So, und jetzt musst du deine Unterschrift setzen."
„Unterschrift?"
„Du musst dein Kunstwerk unterschreiben, damit andere Künstler dich erkennen.", erklärte er, was mich nicken ließ. Eine Unterschrift? Mir fiel keine ein, denn mit meinem eigenen Namen konnte ich schlecht unterschreiben.
Und dann kam mir eine Idee. Vielleicht war sie kopiert, aber einmal konnte ich diese Unterschrift nutzen, denn ich glaubte nicht, dass ich jemals wieder irgendeine Wand ansprayen würde.
Mit einer kleinen Bewegung setzte ich unter meinen Namen das Symbol eines griechischen A. Ich lächelte zufrieden. Silver neben mir biss sich auf die Unterlippe und zog die Augenbrauen zusammen.
„Ein griechischer Buchstabe? Auch nicht schlecht."
„Mein neuer Lieblingskünstler hat mich dazu inspiriert." Anscheinend erinnerte sich Silver an unser Gespräch vor  ein paar Tagen an der Mauer, weswegen er nickte.
„Neuer Lieblingskünstler, also?"
„Ja.", sprach ich, nickte auch und sah wieder zu Silver, der nun seine Augen auf mich gerichtet hatte. Als ich den Ausdruck in seinen Augen erkannte, umschloss mich augenblicklich eine unglaubliche Wärme.
Ich unterdrückte mein Verlangen mir mein Pullover vom Leib zu reißen, so stark erhitzte mein Körper auf einen Schlag - nur durch einen Blick von ihm.
Als würde Silver merken, was er in mir auslöste, kam er einen weiteren Schritt auf mich zu. Seine Brust berührte beinahe meine, als sein Duft mich nun umhüllte und meine Sicht verschwamm. Er war der gefährliche junge Mann und ich das Mauerblümchen, welches niemand schaden könnte. Komplett verschiedene Welten, mitten in einem verdreckten Gebäude.
Ich konnte seinen Atem spüren. Seine Hand hob sich, nahm wieder eine Strähne meiner Haare zwischen seine Finger, während er mit ihr anfing zu spielen. Keine Sekunde ließ er mich aus den Augen, während ich wieder einmal versuchte irgendeine andere Empfindung als Gleichgültigkeit in seinen zu finden. Aber da war nichts. Einfach keinerlei Emotion.
„Wie fühlst du dich?", fragte er mich plötzlich und ließ mich damit ein paar Mal verwirrt zwinkern, ehe ich antworten konnte.
„Erhitzt.", stotterte ich. Ich schüttelte meinen Kopf und hätte mir am liebsten gegen die Stirn geschlagen. Erhitzt? Wirklich? Verdammt, war das peinlich. „Eh- ich meinte gut. Ich fühle mich gut."
„Du fühlst dich gut?" Ich nickte zustimmend. „Obwohl du jetzt kriminell bist?"
„Hör auf das so zu sagen. Ich bin nicht kriminell."
„Das sieht für mich anders aus.", grinste er und deutete auf die Dose in meiner Hand. Ich biss mir auf meine Unterlippe und genau dann, als ich widersprechen wollte, ertönten plötzlich laute Sirenen vor dem Gebäude.
„Oh, fuck!", rief ich aus, als ich erkannte, dass es Polizeisirenen waren.
Fuck, fuck, fuck.
„Silver!", sagte ich panisch, sah ihn mit großen Augen an, jedoch blickte er mich unbeeindruckt an und ließ die Strähne meiner Haare los.
„Verschwinde, Alva. Du bist niemals hier gewesen." Seine Stimme war ruhig, als würde ihn die ganze Situation kalt lassen. Ihm war doch bewusst, dass die Polizei gerade hier her anrückte, oder?
„Was?"
„Verschwinde, habe ich gesagt!", zischte er, schob mich von sich weg und wollte geradewegs auf den Ausgang des Gebäudes zulaufen, als ich ihn am Arm griff.
„Ich gehe nirgends hin. Du bist derjenige, der verschwindet!", rief ich aus und verstärkte meinen Griff um seinen Arm. Er war bereits polizeilich bekannt - ich nicht. Zudem war mein Vater einer von den Männern da draußen und ich glaube nicht, dass mein Vater mich in eine Zelle sperren würde. Ich würde nur riesigen Anschiss zuhause bekommen.
„Diese Arschlöcher können mir gar nichts, Alva." Als ich merkte, dass es nichts brachte, ihn umstimmen zu wollen, tat ich das einzige, was mir noch einfiel.
Mit all meiner Kraft schubste ich Silver zurück. Dieser taumelte ein paar Schritte nach hinten, da er nicht damit gerechnet hatte. So schnell konnte er nicht reagieren, da war ich bereits aus der Tür hinaus und stand im Scheinwerferlicht des Polizeiautos, welches vor dem Gebäude parkte.
Und nun war ich hier. Mit einer Spraydose in der einen Hand vor meinem Vater stehend, der mich ansah, als wollte er mir den Kopf abreißen.

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