Kapitel 11 - Alva

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Ruckartig setzte ich mich auf, mein Kopf schmerzte und Schwindel trübte meine Sicht, als ich mich orientierte. Wieso wunderte es mich nicht, dass ich wieder einmal bei Silver zuhause war?
Die warme Decke lag über meinen Beinen, sein Duft stieg mir angenehm in die Nase, während ich mich in dem riesigen Wohnzimmer umsah. Wie viel Uhr hatten wir?
Ich griff nach meiner Brille, die auf dem kleinen Tisch neben dem Sofa lag (anscheinend hatte Silver sie mir gestern dort hingelegt), und setzte sie auf. Welcher Mensch hatte bitte keine Uhr in seinem Wohnzimmer?
Seufzend blickte ich wieder auf den kleinen Tisch, nur um mein Smartphone zu sehen, welches am Ladegerät hing. Anscheinend hatte Silver auch an den Akku meines Telefons gedacht.
Leicht tippte ich mit meinem Finger gegen den Display und sofort stockte mir der Atem, als ich erkannte, dass es kurz nach neun Uhr morgens war.
„Scheiße!", rief ich aus, sprang von Sofa auf und raufte mir die Haare. Ich hätte vor einer Stunde im Copy-Shop sein sollen. „Scheiße, scheiße, scheiße!"
„Was schreist du denn hier so herum?" Eine raue verschlafene Stimme riss mich aus meiner Panik. Ich wirbelte  herum, mein Blick landete auf Silver, der gegen den Türrahmen gelehnt vor mir stand.
Ohne Shirt, nur in Jogginghose.
Ach, du heilige Scheiße.
Sofort wurde mein Mund staubtrocken.
„Ich-" Ich wusste, würde ich meinen Blick nicht abwenden, würde ich keinen anständigen Satz aus meinem Mund bekommen. Jedoch war dieser Anblick so verlockend, dass ich meine Augen nicht von ihm nehmen konnte. Man erkannte, dass Silver gerne mal Kraftsport machte.
Er fuhr sich durch seine Haare, die komplett durcheinander abstanden und stieß sich von der Türe ab, nur um ein paar Schritte auf mich zu zu kommen. Sofort taumelte ich ein paar Schritte zurück, spürte die Sofakante  an meinen Kniekehlen und verlor mein Gleichgewicht, weswegen ich mit meinem Hintern auf dem Sofa landete.
Silver stand mittlerweile vor mir, sah zu mir herunter, während ich mein Kopf in den Nacken legen musste, um auch nur einen Hauch seiner Schönheit zu erfassen. Ihm war mit Sicherheit bewusst, wie gut er aussah.
Mein Rücken drückte sich gegen die Rückenlehne, als Silver sich mit beiden Händen neben meinem Kopf abstützte und sich zu mir nach unten beugte. Sein Duft umhüllte mich. Ich verdrängte den Drang auf seine muskulösen Unterarme zu schauen, auf denen man deutlich die Adern erkennen konnte.
„Wieso schreist du hier so herum, Alva?", wiederholte er seine Frage, sein Atem streichelte meine Wange, als sein Gesicht meinem näher kam.
„Ich- ich muss in die Arbeit.", stotterte ich und schluckte einmal. Er schüttelte seinen Kopf.
„Du hast die restliche Woche frei. Dein Chef hat vorhin angerufen."
„Frei?" Ich konnte seine Worte nicht genau wahrnehmen, zu sehr brachte mich seine Nähe aus dem Konzept.
„Mike und seine Verlobte müssen Termine zur weiteren Planung der Hochzeit wahrnehmen. Er hat keine Möglichkeit den Laden zu öffnen."
„Keine Arbeit?" Verdammt, wieso machte mich dieser junge Mann mich nur so verrückt?
„Keine Arbeit.", bestätigte er mir und nahm seine rechte Hand von der Rückenlehne, um sanft über meine Wange zu streicheln. Seine Berührung brannte sich in meine Haut, die Stimmung änderte sich schlagartig, als ich meine Oberschenkel aneinander presste, um den Druck zwischen meinen Beinen zu verringern. Seine Finger waren so weich, so zärtlich, aber ich wusste genau, Silver konnte auch ganz anders.
Wie ein Film spielte es sich in meinen Kopf ab, als ich mir vorstellte, wie er meine Haare in seine große Hand nahm, sie packte, mein Kopf nach hinten zog und mich küsste, während er immer tiefer in mich stieß, mir die Luft zum Atmen nahm und mir eine andere dunkle Welt offenbarte.
Ich zwinkerte ein paar Mal, versuchte meine dreckigen Fantasien in die letzte Ecke meines Verstands zu schieben, als Silver seine Hand auf meine Wange legte und mit dem Daumen über meine Unterlippe strich. Sofort fing sie das Kribbeln an. Was machte er nur mit mir?
Noch nie hatte mich ein Mann so angefasst. Noch nie hatte ich solch eine Empfindung gespürt, die mich regelrecht um den Verstand brachte. Ich kannte diesen Druck zwischen meinen Beinen nicht.
Unruhig bewegte ich mich auf dem Sofa, meine Oberschenkel rieben aneinander und sofort konnte ich die Feuchtigkeit zwischen meinen Beine spüren. Oh, fuck.
„Wo bist du denn mit deinen Gedanken, Mauerblümchen?" Er erwischte mich im richtigen Moment, sein Grinsen bewies es mir nur um so mehr, während seine Hand zu meinen Hals wanderte, den er sanft umfasste und mich mit einem Ruck noch einen Stück näher an sich heranzog. Mein Herz hämmerte stark gegen meine Rippen, meine Atmung stoppte, als seine Lippen kaum merklich meine berührten. Es war kein Kuss, aber würde ich nur ein paar Millimeter überwinden, würde es einer werden.
Meine Lippen teilten sich, als er den Griff um meinen Hals verstärkte, mich mit seinen blauen Augen betrachtete, welche nun dunkler erschienen.
Ich war komplett verloren.
„Gefällt es dir, wenn ich dich so anfasse?", fragte Silver mich, aber ich war nicht in der Lage ihm zu antworten. Er war mir zu nah, als das ich nur einen klaren Gedanken nur fassen konnte. Ich biss mir auf meine Unterlippe, sein Blick landete sofort auf diese, und ich hätte schwören können, ein Knurren von ihm zu hören. „Mein Mauerblümchen - so unschuldig.", sprach er düster, ließ von einem Moment auf den anderen meinen Hals los und stellte sich wieder gerade hin.
Ich schnappte nach Luft. Verflucht, was war das denn gewesen?
Sofort vermisste ich seinen Griff. Mein Herz machte immer noch eine wilde Party in meinem Brustkorb, während Silver ohne ein weiteres Wort zu verlieren aus dem Wohnzimmer lief.
Ich saß mindestens fünf Minuten wie versteinert da, versuchte meine Empfindungen in den Griff zu bekommen, bevor ich mit zittrigen Beinen vom Sofa aufstand und mich mit einem kurzen Blick vergewisserte, dass man auf dem Sofa nichts meiner Lust erkennen konnte.
Unsicher ging ich aus dem Wohnzimmer heraus, wollte Silver folgen, als ich in hantieren hörte. Ich folgte dem Geräusch und fand mich keine halbe Minute später in seiner Küche wieder, während er vor dem geöffneten Kühlschrank stand - zu meinem Glück sowie Bedauern nun angezogen mit einem Shirt.
„Ich habe nichts anzubieten." Ohne mich gesehen zu haben, wusste er, ich war mit ihm in einem Raum. „Aber wenn du möchtest, kann ich Rühreier mit Speck und Toast machen.", sprach er so gelassen, als hätte er nicht gerade noch vor fünf Minuten meine ganze Welt auf den Kopf gestellt.
„Rührei klingt gut.", antwortete ich knapp und setzte mich auf einen der Stühle, die an der Kücheninsel aufgereiht waren. Auch die Küche war in ein dunkles Grau getaucht. Es war alles so schlicht gehalten, dass ich mir sicher war, Silver musste hier alleine leben. Wo waren seine Eltern?
„Du hast mir meine Frage letztens nicht beantwortet.", sprach ich und spielte mit dem Ärmel meines Hoodies, als Silver über seine Schulter hinweg zu mir sah.
„Du hast meine von vorhin auch nicht beantwortet." Röte schoss mir in die Wangen, als mir bewusst wurde, welche Frage er meinte.
Gefällt es dir, wenn ich dich so anfasse?
Ohne auf seine Aussage einzugehen, räusperte ich mich einmal.
„Wohnst du hier alleine?" Ich hatte es ihn bereits gefragt gehabt, als ich das erste Mal hier gewesen war, aber er hatte mich einfach ignoriert.
„Was denkst du denn?" Ich glaubte wirklich, es war sein neues Hobby mich mit seinen Gegenfragen auf die Palme zu bringen.
„Ich denke, dass du alleine lebst."
„Würde erklären, warum nie jemand hier ist, oder?", sprach er, als wäre ich ein kleines Kind und schwer von Begriff. Auf diese Frechheit würde ich gar nicht eingehen.
„Wieso lebst du alleine?" Er wandte sich an mich, mit der Rührschüssel in der Hand, während er die Eier schlug. Mit einem halben Grinsen kam er auf mich zu, doch zu meinem Glück war die Kücheninsel zwischen uns, weswegen es unmöglich war, dass er mich wieder aus dem Konzept brachte.
„Wer möchte schon mit dem Teufel zusammen wohnen?" Es klang nicht wirklich wie eine Frage, sondern eher wie eine Feststellung, als Silver die gerührten Eier in die erhitzte Pfanne gab und dadurch ein zischendes Geräusch entstand.
Wieso störte es mich, dass er von sich selbst als Teufel sprach? Silver hatte vielleicht eine komische Art und Weise seine Wut auszulassen und vielleicht hatte er mehr Blut an den Händen, als man wusste, aber zu mir war er nicht einmal irgendwie teuflisch gewesen.
„Was ist mit deinen Eltern? Wo sind sie?" Als meine Worte seine Ohren erreichten, spannte Silver sich augenblicklich an. Es schien, als würde der Raum sich verkleinern, während seine Wut die Luft erhitzte.
„Ich habe keine Eltern." Und damit schmiss er den Pfannenwender, welchen er eben noch in der Hand gehalten hatte, mit einem lauten Knall ins Spülbecken, was mich zusammenzucken ließ.
„Ich-", weiter kam ich nicht, da war Silver schon aus der Küche gestampft. Erschrocken biss ich mir auf die Innenseite meiner Wange. Woher hätte ich wissen sollen, dass seine Eltern ein heikles Thema waren? Musste er denn gleich so aggressiv werden?
Und dann wurde mir eines wieder klar: Silver war von Grund auf eine aggressive Person. Ich konnte mir nicht zusammenreimen, wieso es so war und ich glaubte auch nicht daran, jemals eine Antwort zu erhalten.
Seufzend stand ich vom Stuhl auf, ging um die Kücheninsel herum und beschloss, das Frühstuck fertig zu kochen.
Ich stocherte in den Eiern herum, trank einen Schluck von meinem Wasser, während ich mich fragte, was Silver gerade tat. Hoffentlich raffte er sich wieder und regte sich etwas ab, denn wenn er so war, machte es nun wirklich keinen Spaß in seiner Nähe zu sein.
Ich sah zu dem Teller mir gegenüber, den ich für Silver gemacht hatte, aber natürlich stand dieser unberührt da.
Es war eine ganze Stunde vergangen, seit Silver wutentbrannt aus der Küche gestampft war und nun saß ich wieder im Wohnzimmer auf dem Sofa, während ich durch mein Smartphone scrollte und Mikes Nachrichten beantwortete. Silver hatte Recht gehabt. Diese Woche würde es keine Arbeit mehr für mich geben. Ich wusste gar nicht, was ich mit dieser Freizeit nun anfangen sollte.
Ich fuhr mir mit meiner Hand durch meine Haare, merkte, dass mein Ansatz langsam fettig wurde und sogleich wurde mir zunehmend bewusst, dass meine Kleidung komplett dreckig von gestern Abend war. Ich brauchte dringend eine Dusche und neue Anziehsachen.
Da ich nicht damit rechnete, Silver nochmals anzutreffen, suchte ich schnell einen Stift in seinem Wohnzimmer, nahm den kleinen Zettel aus meiner Bauchtasche, auf der seine Nummer stand und riss ein Stück von dem Papier ab. Ich glaube nicht, dass er sein Smartphone wieder in Betrieb gesetzt hatte, weswegen ich mich über den kleinen Tisch beugte und eine kurze Nachricht an Silver verfasste.

,Danke für das einsame Frühstück. Wir sehen uns, wenn du dich wieder beruhigt hast. - Alva'

Ich packte mein Telefon ein, richtete meine Brille und zog meine Schuhe im Flur an, worauf ich aus seinem Haus ging. Die Sonne strahlte fröhlich vor sich hin, während ich versuchte, mir den Weg aus diesem Wald ins Gedächtnis zu rufen. Es war schwieriger als man dachte, da ich jedes Mal mit Silver auf seiner Todesmaschine hier durch gefahren war. Es würde auch kein fünfminütiger Spaziergang werden, das war mir bewusst.
Aber ich versuchte nicht weiter daran zu denken, sondern begann einfach zu laufen, mit der Hoffnung, hier irgendwie heraus zu finden. Silver lebte wirklich abgeschieden von seinen Mitmenschen. Lag es daran, weil er seine Ruhe haben wollte, oder daran, dass keiner ihn wirklich leiden konnte?
Mal wieder stellte ich mir Fragen auf die ich niemals eine Antwort bekommen würde.

SILVERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt