Ich weiß nicht, woran das lag, aber ich hatte richtig viel Spaß beim Schreiben von diesem kleinen Oneshot. Ich hoffe, ihr habt genauso viel Spaß beim Lesen :)
Es spielt diesmal vor der Handlung der Bücher, also während der zwei Jahre, in denen Kaz und Inej sich kennenlernen und Vertrauen zueinander fassen.Übrigens bin ich seit Kurzem auch auf ao3 aktiv. Dort sind ein paar Oneshots von hier, aber auch einige neue. Ihr findet mich unter dem Namen papierchen ^^
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"Hallo Inej."
Sie erstarrte, als sie die Worte hörte.
Verdammt. Erst gestern hatte Jesper ihr eine wirklich anstößige Reihe von Flüchen beigebracht, und sie verspürte den Drang, sie jetzt zu benutzen. Doch sie blieb still.
Genauso still, wie sie die Wand erklommen hatte und durch das Fenster hineingeschlüpft war, so lautlos, wie sie sich im Schutz der Schatten näherte. Sie hatte alles angewandt, was sie in den letzten Monaten über den Verhau gelernt hatte. Jeder knarzenden Diele war sie ausgewichen, der Fensterflügel hatte nicht gequietscht, und ihr Atem war so leise, dass sie manchmal selbst glaubte, sie wäre nicht mehr hier.
All ihre Tricks waren vergebens. Wie hatte er es geschafft? Sie konnte es nicht begreifen.
Jedem anderen Mitglied der Dregs und unzähligen Stadtbewohnern hatte sie bereits aufgelauert, ohne dass jemand ihre Anwesenheit bemerkte. Jesper hatte sich fast zu Tode erschreckt, als sie ihm aus den Schatten etwas zuflüsterte, und Teekessel stieß das schrille Pfeifen aus, das ihm seinen Namen eingebracht hatte. Man konnte nie sicher sein, wo sie gerade in der Dunkelheit hockte oder wen sie belauschte, und sie alle hatten das Phantom fürchten gelernt.
Alle, bis auf einer.
Schleich dich niemals wieder an mich heran. Das hatte er gesagt, als er sie aus der Menagerie befreite. Inej war inzwischen daran gewöhnt, seinen Anweisungen zu folgen, doch diese eine beachtete sie nicht. Tatsächlich hatte sie es unzählige Male versucht. Ohne jeden Erfolg.
Das sollte sie nicht kümmern – wichtig war nur, dass sie ihre Arbeit machte und ihre Schulden abbezahlen konnte. Aber es kümmerte sie. Es machte sie verrückt.
Das Verschwinden war ihre Aufgabe, darin war sie besser als jeder andere im Barrel, und sie mochte den Gedanken nicht, dass es jemanden gab, bei dem sie nicht verschwinden konnte. Besonders, wenn dieser jemand Kaz Brekker war.
"Welche Informationen hast du für mich?", fragte er, während sie im Schatten verharrte. Die Lampe auf seinem Schreibtisch versprühte nur mattes Licht, und er saß mit dem Rücken zu ihr. Unmöglich, dass er sie gesehen hatte. Die Gesetze der Physik galten für ihn genauso wie für alle anderen – auch wenn er seinen Feinden weismachte, es wäre nicht so. Inej wusste es besser. Er war kein Dämon, wie sie über ihn flüsterten, seine Finger bestanden nicht aus Klauen. Er war nur ein Junge. Und wenn er sie nicht gesehen hatte, wie nahm er sie wahr?
Inej hatte keinen Geruch, der ihr zu eigen war; schon in ihrer Kindheit hatte man das über sie gesagt. Und sie war sich absolut sicher, dass sie kein Geräusch verursacht hatte, als sie durch das Fenster stieg. Wie also konnte er ihre Anwesenheit spüren?
Er hatte nach Informationen gefragt, doch sie schwieg trotzig. Es mochte kindisch sein, aber sie konnte einfach nicht anders. Sie würde erst sprechen, wenn er verriet, wie er es schaffte.
Eine Weile herrschte Schweigen, nur unterbrochen durch das Rascheln der Papiere auf seinem Schreibtisch. Ein seltsamer Gedanke schoss durch Inejs Kopf. Was, wenn er bluffte? Wenn er sie tatsächlich nicht spürte und nur so tat, ohne sicher zu sein, dass sie wirklich hier war? Es sah ihr nicht ähnlich, seine Fähigkeiten in Frage zu stellen, aber sie wusste auch, dass er im Grunde ein Zauberkünstler war. Konnte das hier einer seiner Tricks sein?
Sie wartete, entschlossen, es ihm nicht leicht zu machen. Ihr Blick ruhte auf seinem Hinterkopf, den zerzausten Haarsträhnen, die von Feuchtigkeit glänzten, weil es in Ketterdam ständig regnete.
Minuten verstrichen. Inej war froh, dass sie eine Haltung eingenommen hatte, in der sie länger verharren konnte. Sie würde nicht diejenige sein, die dieses Spiel zu Ende brachte.
Kaz griff nach einem Blatt Papier, und da machte seine Hand eine plötzliche Bewegung. Etwas flog auf sie zu, und bevor sie darüber nachdenken konnte, streckte Inej die Hand aus und fing es.
Einen Moment später verfluchte sie ihre Dummheit.
"Da wir das nun geklärt hätten", sagte Kaz, "Hast du neue Informationen gesammelt?"
Inejs Finger schlossen sich um den Gegenstand, den sie gefangen hatte. Es war ein Stift. Und nicht nur irgendeiner – die Hülle war aus Glas, das von goldenen Verzierungen gerahmt wurde. Inej erkannte es sofort. Eines der Stücke, die sie bei einem Einbruch hatten mitgehen lassen; eigentlich, um es zu verkaufen, doch hin und wieder behielt Kaz einen dieser Gegenstände. Das Glas war zerbrechlich. Wäre der Stift zu Boden gefallen, hätte man die Einzelteile von den Dielen kehren müssen.
Inej bemühte sich, nicht beleidigt zu sein. Er wusste also, dass sie hier war. Und er hatte auch gewusst, dass sie den Stift fangen würde.
Manchmal verspürte sie den Drang, ihn einfach aus dem Fenster zu stoßen.
Sie schnaubte und trat aus den Schatten.
Kaz hatte sich endlich zu ihr umgedreht, die Arme auf die Lehne seines Stuhls gestützt. Seine Miene wirkte neutral, doch Inej ließ sich nicht täuschen. Sie bemerkte das Zucken seiner Augenbraue und seinen Mundwinkel, der ein winziges Stück nach oben gezogen war.
Tatsächlich. Er hatte Spaß daran.
Ein Teil von ihr berechnete schon den Abstand zum Fenster, doch ein anderer bemerkte verblüfft, dass sie ihn noch nie hatte lachen sehen. Wenn er lächelte, war es mehr ein Grinsen, schief und verzerrt, das einen Funken Wahnsinn aus seinem Inneren durchblitzen ließ. Ein echtes Lächeln gab es nie.
Das hier zählte wohl kaum als Lachen, und doch verspürte sie einen leisen Triumph. Sie hatte Kaz Brekker ein Gefühl entlockt.
Vielleicht würde sie sich nie an ihn heranschleichen können, denn was auch immer seine Methode war, sie funktionierte perfekt. Aber sie konnte seine Fassade zum Einsturz bringen. Sie konnte ihn zum Lachen bringen. Irgendwann würde es ihr gelingen.
Also fixierte sie ihren Blick auf den Schwung seiner Braue, während sie die Informationen weitergab, die sie gesammelt hatte.
Als sie fertig war, verließ sie sein Zimmer. Den Stift behielt sie für sich.
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♡ Oneshots 2 ♡
Short Story"Am Ende sind wir alle Geschichten. Mach eine gute draus, ja? Denn das war sie. Sie war die beste." Nummer zwei der Oneshot-Sammlung über alles, was mit Fandoms zu tun hat, und darüber hinaus. Ein neues Zuhause für weitere, fantasievolle Kurzgeschic...