Kapitel 10 | Every

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„Versuch erst deine eigenen Feinde zu resolvieren. Dann komm noch mal auf mich zu, kleine Prinzessin."

Welche Feinde? Hatte meine Familie mehr Menschen umgeben, als sie schienen vorzugeben? Viele Monate überdachte ich, wer meine eigenen Feinde sind. Mit Übermut und verdächtiger Angst, war ich mir sicher, dass mein einziger Feind er war.

Ashton Remid.

Und jetzt sitze ich hier. Mit seinem Sohn, der offensichtlich auch nicht der größte Fan seines eigenen Vaters ist.

Aber warum?

Lügt er mich auch an?

Auf die Fragen gibt es bestimmt eine einfache Antwort, doch um diese herauszufinden muss ich meine Brücke überfahren. Jeder Faser meines Körpers lässt sich in jeglichem Moment beiseitelegen. Die behaglichen Kopfschmerzen werden durch die unvollkommene Situation immer brennender und schmerzvoller. Alles fängt an zu drücken, doch ich bin stark genug es ihm nicht voll zu zeigen. Noch mehr Schwäche gegen über ihm, kann ich nicht ertragen. Doch anders als meine Kopfschmerzen fühle ich etwas anderes. Etwas Starkes. Ein starkes Gefühl, dass ich sehr vermisst habe. Stärke. Und Mut. Aber warum fühle ich mich ihm so hingezogen, wenn seine Familie an mir jahrelang physische Folter ausübt und innerlich zerstört?

„Warum wolltest du mit mir unbedingt reden?", stelle ich ihm klar an. Sein Gesicht zeigt keinesfalls an Reaktion.

Ich möchte ihm so viele Fragen stellen. Ich möchte ihn anschreien, für das, was sein Vater mir angetan hat. Ich möchte ihn schlagen, für die Rache seines Vaters. Aber irgendetwas in meinem Inneren, sagt, dass er genauso wie ich leiden musste. All diese Jahre, den selben Leid und Schmerz tragen, wie ich. Seine Augen zeigen auf fürchterlichen Schmerz. Die lange Narbe an seinem Hals bestätigt meine Vermutung.

Ich möchte ihm Böse sein. Wirklich. Ich habe so viel Schmerz in mir. Doch seine Wirkung auf mich, ist so viel anders als die von seinem Vater. Mit einem lauten Seufzen drehe ich mich zu ihm. Eine Klarstellung muss ich hierbei haben. „Du bleibst hier. Wenn du willst, werden deine Sachen hier her transferiert. Oder du bekommst neue." Und Bam. Die Klatsche ins Gesicht.

Das wars. Ich wollte ihm verzeihen, doch die Hinstellung von ihm übergrenzt das Ganze. „Wie bitte?", schreie ich ohne es eigentlich zu wollen. Er steht auf und läuft zur Terrasse. Ich laufe ihm orientierungslos hinterher und als er still steht, laufe ich direkt auf ihn zu. Ich versuche ihm den Weg zu versperren. „Was meinst du mit: Du bleibst hier? Ich bleibe definitiv nicht hier. Du hast definitiv keine Bestimmung über mein Leben."

„Ich habe aber Verantwortung dafür", schießt es ihm direkt raus und die Wörter hallen in meinen Ohren. Mein Verstand wird mit jedem Wort unterdrückt. Er sieht mir die Unsicherheit in meinem Gesicht. Seine harte Miene entwickelt sich zum wärmeren. Er schaut weg und nimmt tief Luft ein. Während ich ihm immer noch tief in die Augen schaue, mehrere Informationen herauszufinden. Seine blauen Augen schimmern in der Sonne und die wunderschöne Farbe, ist so sehr ziemlich fragewürdig. Er möchte etwas sagen, doch er lässt es. Er nimmt meine Hände in seine, die noch gerade eben seinen Hemd gehalten haben, und drückt mich weg von sich. Er schiebt mich mit einem Arm zur Seite und öffnet gelassen die Terassentür. Draußen läuft er zu seinem Tisch und nimmt sich seine Zigarettenschachtel in die Hand. „Rauchst du?", fragte er und schaut immer noch zu seiner Schachtel. Mit einem nervenden Ton streite ich ab und gehe auf die Couch. Ich setzte mich auf die Couch und lehne mich nach hinten, bis ich an der Rückwand ankomme. Da die weiße creme Couch ziemlich lang und breit geschnitten ist, entscheide ich mich hinzulegen. Meine Beine ziehe ich zu mir und drücke meine Tränen zurück. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. „Ahh", drücke ich raus und merke, wie sich mein Bauch zusammenzieht. Mein Kopf fängt an zu hauen und mein Bauch an zu delegieren. Ich weiß nicht, wie ich mich unter diesen Schmerzen noch mehr zusammenreißen soll. Vielleicht muss ich heulen. Vielleicht auch schreien. Den ganzen Schmerz der letzten Tage erstechen mich. Viele Nägel brennen sich in meine Gedanken und auch in mein Herz. Meine Luft bleibt mir aus. Ich bin in einem fremden Haus und werde auch nicht mehr rausgelassen. Mein Leben hat sich um einhundertachtzig Grad gewendet. Der negative Teil ist, ich bekomme mein altes Ich nie wieder zurück. Was jetzt auf mich zukommt, wird für immer meins bleiben. Denn ich weiß, dass ich keinen Halt mehr bekomme. Weder von ihm noch von meinem eigenen Körper selbst.

Mit jeder Sekunde fühle ich wie die Schmerzen intensiver werden. Um etwas mildern zu können, versuche ich auszustehen und rufe nach ihm. Doch er steht immer noch mit seinem Rücken zu mir. Wieder fangen meine Beine an zu zittern. Ich halte mein Bauch fest und versuche somit meine Schmerzen zu reduzieren. Doch in jeglichem Moment scheitert alles. Ich versuche mit schnellen Schritten zur Terrassentür zu laufen, doch ich schwanke. Ich beginne meine Beine nicht mehr zu fühlen. Ich falle. Bevor ich mich auch umsehen kann, sehe ich wie Maldon die Tür rein stürmt. Er positioniert sich über mich und nimmt mein Gesicht in seine warmen und geschmeidigen Hände.

Ich kenne ihn doch gar nicht so gut. Ich vertraue ihm ni.... Aber ich möchte ihm dennoch so vieles sagen.

„Every", murmelt er zwischen seinen Zähnen und ich rieche den Zigarrengeschmack. Viel Druck übt sich in meinen Augen aus. Ich schließe sie und zum ersten Mal, seit langem, fühle ich mich in der schwarzen Hölle wohl. Ich fühle mich in seiner Nähe geborgen. Er fasst an meine Hüften und hebt mich hoch. Sofort legt er mich auf die Couch und nimmt erneut seine Hände an mein Gesicht. Er streichelt an meinen Wangen und ich nehme die Berührungen in mir mit viel Kunft auf. So viel Sorgen in seinen Berührungen. Ich realisiere erst jetzt, wie sehr ich mich nach den Berührungen sehne. „Öffne die Augen", versucht er mit einem ruhigen Ton zu befehlen. Aber ich kann nicht. Die volle Stärke hat mein Körper in allen Richtungen ausgesaugt. Ohne Worte lässt er von mir ab und ich spüre ihn nicht mehr an meiner Seite. Sofort sehne ich mich nach seinem Duft. Nach seinen Berührungen.

Leicht öffne ich die Augen. Meine Augen schauen auf die Decke und ein kleines Lächeln schmeichelt sich ein. Ich fange an zu lachen. Meine Gedanken spielen blank. Alles in meinem Körper fühlt sich falsch an. Die Gedanken fühlen sich falsch an. Die ganze Situation, in der ich mich befinde, fühlt sich falsch und zugleich surreal an. Min Lachen wird lauter und meine Emotionen spielen im Kreis, während ich mich äußerlich bemitleide. Doch mein Lachen schwindet schnell und wandet sich zum Heulen. Ich nehme meine Hand und lege sie auf meine Stirn. In dem Moment höre ich gleich auch Maldon reinlaufen. Mit geschlossenen Augen fühle ich wie sich eine warme Decke um mich hüllt. Auch wenn meine Augen geschlossen sind, fühle ich, dass er neben mir ist. Er bereitet die Decke um mich und läuft dann im Nachhinein weg.

Dann bin ich allein.

Umgeben in der Stille. Und dann schlafe ich ein. Mit viel Geborgenheit und Stärke, die sich in diesem sterilisierten Raum umgibt.

Endlich.


Maldon Remid - Boundless love of liesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt