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Linus

Trotz des Schlafes fühlte ich mich müde und ausgelaugt. Ich hatte höllische Kopfschmerzen und wollte meine Augen gar nicht öffnen. Die Sonne würde mich bestimmt blenden. Aber ich hatte Durst und brauchte unbedingt was zu trinken. Ich hoffe Zade war einkaufen, sonst blieb mir nur das widerliche Wasser aus dem Hahn.
Ich streckte mich und setzte mich aufrecht hin, bis ich merkte, dass ich gar nicht zuhause war. 
"Hey.", sagte eine Stimme neben mir, weswegen ich erschrak.
Marlon saß neben mir und ich hatte nicht in einem Bett geschlafen sondern auf seinem Schoß. Als ich mich genauer umschaute erkannte ich auch das Gebäude. Es war mein Zuhause. Mein altes und viel besseres Zuhause.
"Was machst du hier?", fragte ich. "Was mache ich hier?"
Marlon schaute mich besorgt an. "Kannst du dich nicht erinnern?"
Ich zuckte mit den Schultern und überlegte. Ich hatte einen freien Tag und bin am Morgen panisch aufgewacht aufgrund eines Albtraumes. Und dann hab ich in der Küche Koks gefunden, welches ich genommen hab.
Wie ich hierher gekommen bin und warum Marlon hier ist weiß ich nicht mehr.
"Du hast mich angerufen.", erklärte Marlon mir. "Du hast mich um Hilfe gebeten. Und als ich kam warst du total weggetreten. Du hast halluziniert."
Ja, jetzt erinnere ich mich. Ich hab Dad gesehen, der aber nicht aussah wie mein Dad.
Ein Knacken kam aus dem Flur, weswegen ich erschrak und automatisch zu Marlon rutschte.
"Was ist los?", fragte er besorgt und schlang einen Arm um mich.
"Ich glaube... ich hatte einen Horrortrip."
Schnell erzählte ich ihm von meinen Halluzinationen und wie real sich diese angefühlt haben. Ich habe ihm um Hilfe gebeten, weil ich Angst vor Dad hatte.
"Ist okay, jetzt ist es ja vorbei.", sagte er ruhig und strich mir über den Rücken. 
"Ich hab Hunger...", nuschelte ich, was Marlon kurz zum Lachen brachte.
"Ernsthaft? Du erzählst mir von deinem Horrortrip und bekommst Hunger? Wo sollen wir denn mitten in der Nacht noch was zu Essen finden?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Es gibt doch genug Fastfood Restaurants die aufhaben. Außerdem hab ich verdammt Durst."
"Okay. Wir werden schon was finden.", sagte Marlon, stand auf und half mir auf die Füße.
Erst jetzt merkte ich wie schwindelig mir eigentlich war und konnte mich fast nicht auf den Füßen halten, wenn Marlon mich nicht gestützt hätte.
Langsam liefen wir die Treppen hinunter in den Flur. Ich drehte mich um, um ein letztes Mal ins Haus schauen zu können und sah, dass wir nicht alleine waren.
"Mom?", fragte ich verwirrt.
Doch sie antwortete mir nicht. Aus dem Wohnzimmer kam auch Dad dazu.
"Linus.", sagte Marlon vorsichtig. "Komm mit."
"Warte. Ich will nur kurz zu Dad."
Langsam ging ich auf ihn zu, doch plötzlich konnte ich mich nicht mehr bewegen. Marlon hielt mich fest und zog mich zu ihm.
"Nein, warte.", sagte ich zu Marlon und versuchte mich zu befreien. "Ich will nur kurz-"
"Nein. Komm mit."
"Marlon! Lass mich!"
Doch Marlon zog mich mit aus dem Haus und schloss die Tür hinter sich.
"Ich will zu Dad!", schrie ich ihn an. "Ich hab ihn ewig nicht gesehen."
"Linus!", schrie er mich an. "Dein Dad ist da nicht!"
"Doch! Ich hab ihn gesehen!"
Marlon hielt mich an den Schultern fest und versperrte mir den Weg zur Haustür. Mit aller Kraft versuchte ich mich zu wehren und zu Dad zu gelangen.
"Dein Dad ist tot!"
Augenblicklich hörte ich auf mich zu wehren. Mein Herz sackte mir in die Hose.
Er hat Recht. Aber ich hab ihn doch gesehen. Er war doch da.
Marlon öffnete die Tür und zeigte mir den Flur.
"Siehst du? Hier ist keiner."
Stimmt. Da war keiner. Das war nur eine Einbildung. Tränen bildeten sich in meinen Augen, während ich weiter in den leeren Flur schaute.
"Aber..."
"Lass und was essen gehen.", sagte er sanft, nahm meine Hand und führte mich vom Haus weg.

(...)

Das Essen tat wirklich gut. Aber jetzt hatte ich Bauchschmerzen und fühlte mich noch müder als vorher. Marlon wollte, dass ich mit zu ihm komme, doch dagegen wehrte ich mich kontinuierlich. Ich werde da nicht hin zurückgehen. Also blieb ihm nichts anderes übrig als ohne mich zu gehen.
Doch dagegen wehrte er sich.
Stattdessen buchte er uns ein Hotelzimmer wo ich meinen Kater ausschlafen konnte, damit ich morgen zurück in die WG konnte.
Wir saßen auf dem Bett. Marlon tippte Nachrichten auf seinem Handy, während ich auch meine Nachrichten checkte.

Jay
Verfickte Scheiße, Linus. Such dir Hilfe!!!

Linus
???

Jay
Marlon hat es mir erzählt. Wirst du drogenabhängig verprügel ich dich. Komm wieder klar!

Linus
Mir geht es gut.

Jay
Tut es nicht du Idiot. Du prostituierst dich! Lass die Scheiße. Mach die Schule zu Ende.

Linus
Dass ich das mal von dir höre xD

Jay
Ich find das wirklich nicht lustig... Du bist mein bester Freund und ich will dich nicht verlieren. Bitte, rede mit mir. Oder mit Marlon. Ich hab mir echt Sorgen um dich gemacht.

Linus
War nur ein Horrortrip

Jay
So fängt es immer an...
Ich will dich nicht verlieren, Bro

Ich schniefte und wischte mir die Tränen aus den Augen.

Linus
Wirst du nicht

Jay
Wenn du so weiter machst schon...
Du brauchst Hilfe

"Hey, was ist los?", fragte Marlon.
"Glaubst du auch, dass ich Hilfe brauche?"
"Das hab ich dir schonmal gesagt."
Ich fing an zu weinen und schmiss mein Handy zur Seite. "Ich kann das nicht mehr..."
"Was?"
"Leben..."
Marlon nahm mich in den Arm und zog mich an seine Brust. "Sag das nicht."
"Doch. Ich fühle mich einfach mit allem überfordert."
"Was genau meinst du?"
"Ich hab das Gefühl ich kriege mein Leben einfach nicht unter Kontrolle. Ich werde die Schule nicht wegen meinen Noten schaffen. Mom hasst mich, weil ich abgehauen bin und nicht wollte, dass sie heiratet. Und ich komm einfach nicht über Dad hinweg."
"Ich glaube du siehst das ganz falsch. Deine Noten werden besser, dafür bin ich da um dir zu helfen. Deine Mom hasst dich nicht. Sie liebt dich und hofft jeden Tag, dass du zurück kommst. Sie versteht nicht wie sehr du deinen Dad vermisst."
"Es tut weh, wenn ich an ihn denke..."
"Erzähl mir was von ihm."
"Was denn?"
"Alles. Wie war er so? Was waren seine Hobbys? Welche blöden Dad Jokes hat er gebracht?"
Ich lachte und wischte mir die Tränen aus den Augen. "Er hat alle Dad Jokes gebracht die es gibt."
"Ach du Scheiße."
"Wir waren immer zusammen joggen. Und wir haben immer das Gleiche gedacht oder gesagt. Mom sagte immer, dass ich genau wie er bin. Dass ich eine genaue Kopie von ihm bin. Ich hab ihm mal Schnecken zum Geburtstag geschenkt. Und als ich dann Geburtstag hatte, hat er mir eine Kiste mit Schleim drin geschenkt. Ich hab keine Ahnung wo er das Ding her hatte, aber als ich die Kiste aufgemacht habe, ist mir der ganze Schleim im Gesicht explodiert. Mom war so sauer, aber Dad hat geweint vor Lachen. Er hat tausend Fotos davon gemacht und sagte, dass er mich zu meiner Hochzeit damit aufziehen wird. Er wollte diese Fotos meinen Enkelkindern zeigen."
Marlon hörte mir gespannt zu und lachte zwischendurch, als er hörte wie viel Mist wir zusammen angestellt haben.
"Irgendwann beklagte er Rückenschmerzen. Der Arzt sagte es sei nur eine Verspannung und er solle Schmerzmittel nehmen. Doch die Verspannung wurde nicht besser. Er versuchte es weiterhin mit dem Joggen, aber auch dadurch wurde es nicht besser. Irgendwann war es so schlimm, dass er ins Krankenhaus musste. Und da hat man festgestellt, dass es Metastasen im Rücken sind. Der Krebs saß in seiner Lunge und strahlte zum Knochenmark und in die Niere aus. Er musste sich mehreren Operationen unterziehen. Bekam Chemotherapie und Physiotherapie um wieder fit zu werden. Doch ich sah ihn von Tag zu Tag schwächer werden. Kurz bevor er... gegangen ist, sagten die Ärzte, dass es keine Chancen auf Heilung besteht. Das hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen."

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