Am nächsten Morgen klopfte Amelie an Wincents Hotelzimmertüre. Gut, dass sie den zweiten Zimmerschlüssel hatte, um kurze Zeit später einzutreten und Wincent zu wecken. Sie kannte Wincent nun lange genug, hatte genügend Konzerttouren mit ihm erlebt und viele Weckdienste im Tourbus übernommen. Sie wusste, wie sie Wincent wach bekam oder zumindest welche Geschütze sie im Zweifel aufzufahren hatte. Sie zog die Vorhänge auf, sodass es im Zimmer taghell wurde. Wincent brummte und rieb seine Augen. „Guten Morgen", trällerte Amelie. „Moin", gab Wincent von sich. Schon klopfte es wieder an der Türe und Amelie nahm das Frühstück vom Zimmerservice in Empfang. „Du bist die beste", strahlte Wincent beim Anblick des reichlichen Frühstücks. Gestärkt ging es nochmals eine kurze Runde ins Gym und dann auf direktem Weg nach Osterode. Wincent warf Amelie die Schlüssel entgegen und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Er wollte ein wenig am Handy arbeiten, Konzertvideos vom Vortag reposten und damit einige Fans glücklich machen, sowie sie an seinem Tag teilhaben zu lassen und auf das Konzert abends einzustimmen. Oder eher sich selbst einzustimmen. Ein wenig mulmig war ihm zumute, denn die Erinnerungen vom Vortag waren präsent. Die Posts und Reposts waren schnell erledigt. Wincents Gedanken wanderten nicht zum ersten Mal an diesem Tag zu den Kindern. So wie er Anna kennengelernt hatte, wollte sie sicherlich kein Mitleid oder eine besondere Behandlung. Er wollte nachdem er offen über seine depressive Phase gesprochen hatte ja auch ganz normal behandelt werden. Kein Bedauern, kein Mitleid, einfach so, als wüsste der Gegenüber die Information nicht.
Sollte er ihr schreiben? Aber was? Sie meinte doch, Videos und Bilder für die Kinder wären ihr eine Hilfe. Gedanken versunken blickte er in den immer dunkler werdenden Himmel. Plötzlich fuhren sie durch einen Wolkenbruch. „Was ist hier los?", riss er entsetzt die Augen auf. „Hola", kam es von Amelie, die die Geschwindigkeit reduzierte. Wincent filmte ein wenig und schickte es an Anna: „Hoffe, ihr habt im Süden noch so tolles Wetter wie gestern!?" Es dauerte nicht lange und er bekam Antwort: „Bei uns ist es zumindest trocken. Noah übt fleißig mit dem Skateboard. Kann ihm da leider nicht viele Tipps geben. Wird er schon rausfinden 🤷‍♀️", schrieb Anna und sendete ein Video von Noah, der überraschend gut auf dem Skateboard stand und Vivi, die mit einem Roller im Hintergrund fuhr. Annas Herz schlug ehrlicherweise einen Schlag schneller, als sie Wincents Nachricht bekam. Sie war erleichtert von ihm zu hören. Sie hatte entschlossen, ihm immer zu antworten, ihn aber nie anzuschreiben. Da Noah ihr im Ohr lag, sie sollte bitte Wincent ein Foto oder Video von ihm auf dem Skateboard senden, bot sich nun die Gelegenheit, ihr Vorhaben einzuhalten und Noahs Bitte nachzukommen. Sie hatte nicht gedacht, dass Wincent sich so schnell melden würde. Dass er sich überhaupt nochmals melden würde. So sehr sie zugeben musste, dass sie den Vorabend in seinen Armen genossen hatte während sie sich komplett öffnen konnte, musste sie Distanz schaffen. Er war nunmal vergeben. Es hatte ihr wirklich gut getan, jemandem ganz Neutralen ein wenig von ihrem bisherigen Jahr zu erzählen. Wincent war definitiv ein toller Zuhörer. So gehört und verstanden fühlte sie sich schon lange nicht mehr. Und gerade deswegen wollte sie nicht zu viel Kontakt mit einer vergebenen Person haben.
Ihr Handy gab den Nachrichtenton von sich. Sie las: „Wow, das sieht ja schon super aus. Noah hat einen echt guten Stand auf dem Board. Da wird er schnell rausfinden, wie es geht. Wenn ich mal wieder im Süden bin, zeig ich es ihm auch gerne." Und das meinte Wincent ernst. Er würde Noah so gern auf der Stelle beim Skateboard lernen zu schauen und ihm ein paar Tipps geben. Um sich nicht weiter mit den Gedanken zu verkopfen, forderte er, an der Location angekommen, Mats im Tischtennis heraus. Schnell sammelten sich andere Crew Mitglieder und sie zockten einige Runden. Mit Mats, Nico und Beat spielte er noch einige Zeit, bis ihnen lustige Ideen für Tiktoks einfielen. Wincent hatte mächtig Spaß mit den Jungs. Er hatte einfach eine wunderbare Crew. So tolle coole Menschen, mit denen er Spaß hatte und auf die er sich verlassen konnte. So rockte er den Auftritt in Osterode und wurde beflügelt von der bumbsvollen Hütte und den vielen Fanaktionen.

Ey, was für ein JahrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt