Oh wow, hatte sie das gerade wirklich gesagt?!? Sie beobachtete ihn unsicher. Er starrte weiterhin die Decke an und blieb stumm. Anna wurde nervöser und fing leise an zu reden: „Tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Es ist nicht einfach unterschiedliche Vorstellungen in einer Partnerschaft zu haben." Bevor sie weiterreden konnte, fing Wincent an: „Du hast recht, tief in mir bin ich dankbar. Dankbar für ihre Ehrlichkeit." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Und ich bin dankbar für den Zufall am Münchner Hauptbahnhof Vivi gefunden zu haben. Die Begegnung hatte mich so extrem bestätigt, dass ich Kinder möchte, dass mir rein rational die Trennung von Steffi leicht fiel." Beim Gedanken an die Situation schlich sich ein leichtes Lächeln in sein Gesicht. „Die Zeit heilt Wunden, sagen sie", versuchte Anna ihn mitleidend zu trösten und fügte hinzu: „Du wirst ein ganz toller Papa sein." Wincent löste seinen starren Blick von der Decke und schaute Anna fragend an, die ihn liebevoll anlächelte. „Meinst du?", fragte er unsicher. „Na klar! Natürlich ist es nochmal etwas anderes eigene Kinder zu haben, die du 24/7 um dich hast und dir auch mal tierisch auf die Nerven gehen können, aber deine Grundhaltung ist so liebevoll und offen gegenüber Kindern. Du begibst dich auf ihre Ebene und erwartest nicht mehr von ihnen als sie können und traust ihnen doch alles zu. Du feierst sie, wenn sie über sich selbst hinauswachsen. Du strahlst einfach Liebe aus. Schau dir Noah und Vivienne an. Sie lieben dich! Du ziehst sie mit deiner Art an und gehst wunderbar mit ihnen um." Wincent erfüllte ein warmes Kribbeln. Beim Gedanken an die beiden konnte er nicht anders als verliebt zu lächeln. Er liebte die Kids, so verrückt das auch klang. „Danke", kam es zart über seine Lippen. „Das ging runter wie Öl", lächelte er schüchtern. „Es ist die Wahrheit", zuckte Anna locker mit den Schultern.
„Danke, Anna. Danke, dass ich mitten in der Nacht noch vorbeikommen durfte und du ein offenes Ohr für mich hast", sagte er ernst. „Und danke, dass ihr den Nachmittag mit mir verbracht habt. Es war so unfassbar toll", strahlte er über beide Ohren. „Danke Dir! Die Kinder waren begeistert. Sie lieben es, mit dir Zeit zu verbringen." „Ich würde sagen win-win! Ich hoffe, für dich war es auch erträglich!?", verzog er lachend das Gesicht.
„Ja, also ich mach das nur den Kindern zu Liebe. Mit diesem Wincent Weiss will ich eigentlich nichts zu tun haben", antwortete sie ernst. Wincent hielt inne und schaute sie entsetzt an. Anna schlug ihm gegen den Oberarm und fing an zu lachen. „Dein Gesicht", prustete sie los, „keine Sorge, ganz so schlimm ist deine Gegenwart nicht!" Augenblicklich fing Wincent an Anna zu kitzeln. Diese quietschte auf. Sie versuchte sich zu wehren und drückte seine starken Arme weg, sodass er seinen Kitzelgriff an ihrer Taille lösen musste. Doch sofort umschlangen seine Arme ihren Oberkörper und drückten sie feste an ihn. „Danke", hauchte er in ihre Haare und genoss ihre Nähe. Überrascht von dieser Aktion löste Anna sich schnell aus seinen Armen und fragte auf die Uhr schauend: „Willst du eigentlich hier schlafen? Dann richte ich mal noch das Gästezimmer." „Danke, das ist lieb, aber ich fahr noch weiter nach München. Ich fliege morgen früh nach Frankreich." „Jetzt noch nach München?", fragte Anna fast panisch als sie nochmals auf die Uhr schaute. „Du machst dir Sorgen, hmm!?", fragte Wincent einfühlsam. "Ist es wegen Jonas' Unfall?" Anna atmete gequält ein und seufzte: „Ich war immer schon etwas ängstlicher und habe Filme geschoben, wenn jemand, der mir nah war, spät unterwegs war oder länger brauchte, als angekündigt. Und eines Tages wurden meine jahrelangen Bedenken wahr. Es ist ein beschissenes Gefühl. Ich muss lernen damit umzugehen. Ich kann dir nicht verbieten zu fahren." „Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es ist so eine Nachricht zu bekommen", sagte er mitleidend und fragte mitfühlend: „Was würde dir Sicherheit geben?" Anna winkte ab: „Das ist mein Problem!" und tippte an ihren Kopf. „Hey", Wincent legte zärtlich eine Hand an ihren Oberarm und schaute sie eindringlich an. „Du musst das nicht mit dir allein ausmachen. Was hälst du davon, wenn ich mich ins Auto setze und wir quatschen über Telefon weiter. Über die Lautsprechanlage natürlich. So hätte ich Begleitung und hoffe, dir hilft es, dir keine Sorgen zu machen." Anna schaute vom Boden auf direkt in Wincents braune Augen. Sein liebevoller fürsorglicher Blick ließ Anna lächeln und nickend zustimmen.
Nach einer langen Umarmung zum Abschied, die beide sichtlich genossen, meldete sich Wincent per Anruf aus dem Auto. Anna lächelte augenblicklich, als sie seine Stimme hörte. Was ist das für ein Mann? Wie einfühlsam, rücksichtsvoll, fürsorglich kann man bitte sein? So etwas hatte Anna noch nie erlebt. Sie hatte ihre Probleme immer mit sich selber ausgemacht. Wenn sie nach Hilfe gefragt hatte, bekam sie meistens ein abwertendes „ist doch nicht so schlimm, hab dich nicht so" zu hören. Sie lernte über die Zeit mit sich und ihren Ängsten und Gefühlen allein zurechtzukommen. Oft mehr schlecht als recht.
„Was hälst du davon, wenn wir uns gegenseitig Fragen stellen, die erst der andere und dann man selbst beantwortet?", hörte sie Wincent an ihrem Ohr. „Können wir gerne machen", antwortete Anna.