Schwere Zeiten

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„ Mama! Mama! Aufstehen!", brüllt Jonas und zerrt an meiner Bettdecke. Ich halte die Decke fest und drehe mich langsam zu ihm um. Dann verpasse ich Mark einen leichten Tritt, damit er aufwacht und murmele: „ Jonas, die Mama ist noch ganz ganz müde und möchte noch ein bisschen schlafen." Mark rührt sich noch immer noch. Ich stoße ihm meinen Ellenbogen in die Seite. Mark brummt müde und fragt: „ Was ist denn bitte los? Was soll das?". Ich lege ziehe mir die Decke halb über den Kopf und antworte: „ Dein Sohn ist wach und möchte beschäftigt werden und wahrscheinlich frühstücken. Bitte mach du das." Mark seufzt, streichelt kurz über meinen Rücken und küsst mich sanft auf die Stirn. Jonas hüpft währenddessen immer noch um unser Bett herum und auch, wenn er gar nichts dafür kann, halten meine Nerven das gerade nicht aus.

Mark steht also auf und zieht sich schnell etwas über. „ Wir frühstücken gleich, ja? Schatz? Soll ich dir einen Kaffee machen?", fragt Mark. Ich schüttele nur den Kopf und versuche wieder einzuschlafen. „ Papa! Frühstück!", ruft Jonas und zieht an Marks Hand. Dann verschwinden die beiden in Richtung Küche. Ich schlucke schwer und wälze mich unruhig im Bett hin und her. Aus der Küche kann ich das Klappern des Geschirrs und das begeisterten Quäken und Erzählen von Jonas hören. So gerne würde ich jetzt mit den Beiden am Tisch sitzen und frühstücken. Stattdessen musste ich meinen Sohn mal wieder abweisen und er war sicher verwirrt deswegen.

Nach einer Weile steckt Mark kurz den Kopf ins Schlafzimmer und sagt: „ Du möchtest sicher keinen Kaffee? Oder sonst irgendein Frühstück? Jonas spielt mit seinen Kuscheltieren. Wir könnten in Ruhe essen." Ich rappele mich langsam hoch und ziehe mir ein T-Shirt von Mark an. Geduldig wartet er im Türrahmen auf mich und lächelt mich sanft an. Ich laufe auf ihn zu und lehne mich gegen seine Brust. Er nimmt mich in den Arm und streichelt meinen Rücken. „ Danke, dass du mit Jonas aufgestanden bist", flüstere ich mit rauer Stimme. Mark küsst mich sanft und wir gehen gemeinsam in die Küche.
Ich lehne mich an den Küchenschrank und Mark macht uns einen Kaffee und bereitet unser Müsli mit Joghurt vor. Gedanken verloren streichle ich meinen Bauch und beobachte Jonas beim Spielen. Seine Kuscheltiere sind über das ganze Sofa verteilt und er ist völlig vertieft. Erst als Mark an mir vorbei zum Esstisch läuft, reißt er mich aus meinen Gedanken. Ich folge ihm zum Esstisch und setze mich neben ihn. „ Danke, aber so viel hätte ich gar nicht gebraucht", sage ich leise als mein Blick auf die Müsli Schüssel fällt. Mark seufzt und sagt: „ Lena, bitte. Du kannst nicht ewig so wenig zu dir nehmen. Das ist eine ganz normale Portion und die Hälfte davon ist Obst." Ich fange an zu essen und versuche es einfach zu genießen. Während ich esse spüre ich, dass Mark mich beobachtet. „ Ich würde heute ins Studio fahren. Jonas kann ich mitnehmen. Dann...hast du etwas Ruhe heute. Vielleicht kann Bella vorbeikommen oder so", sagt Mark und räumt seine leere Schüssel in die Küche. Ich murmele: „ Jonas durfte immer zuhause bleiben, wenn einer von uns zuhause war. Das müssen wir nicht ändern." Mark seufzt und legt seinen Arm um meine Schulter, als ich nun auch in die Küche gehe, um meine noch halb volle Schüssel in den Kühlschrank zu stellen.
„ Ich möchte dir nur Zeit für dich ermöglichen, damit du...vielleicht alleine sein kannst oder irgendwas für dich machen kannst. Etwas, was dir gut tut", sagt er und zieht mich an sich. Ich lehne mich kurz in seinen Arm und drücke mich an ihn. Ich murmele: „ Aber Jonas war doch sicher traurig, als ich heute morgen nicht aufgestanden bin und mit ihm gefrühstückt habe. Ich kann mich nichtmal um mein Kind richtig kümmern und das tut mir weh."

Gerade als mir die Tränen in die Augen steigen, zupft Jonas am Saum des T-Shirts. „ Mama mitspielen?", fragt er und hält mir sein Kuscheltier hin. Ich wische mir kurz über die Augen und löse mich dann von Mark. Ich gehe in die Knie und nehme Jonas Hand. Dann frage ich: „ Möchtest du mit dem Papa ins Studio zu Nitti fahren und Musik machen oder mit der Mama hier zuhause bleiben und vielleicht später auf den Spielplatz gehen?". Jonas fällt mir um den Hals und ruft: „ Bei Mama bleiben! Spielplatz!". Ich muss grinsen und stehe wieder auf. Mark seufzt leise und küsst mich sanft. „ Ich geh spielen solange!", ruft Jonas und verschwindet in sein Zimmer. „ Er freut sich wirklich sehr. Das ist gut. Ich mache mich gleich fertig und gehe dann mit ihm zum Spielplatz", sage ich. Mark dreht mich zu sich und flüstert: „ Geht das denn? Kannst du...mit all den kleinen Kindern da?". Ich lehne meinen Kopf an seine Brust und versuche die Tränen zurückzuhalten. „ Jonas würde sich so sehr freuen und ich muss es irgendwann wieder schaffen. Er will doch auch sein Fahrrad endlich ausprobieren und mir zeigen, wie toll er das schon kann", flüstere ich. Mark seufzt und streichelt meinen Rücken. Dann sagt er: „ Ihr werdet sicher viel Spaß haben. Vielleicht tut dir das auch gut. Du wirst stolz auf ihn sein und...ich auf dich, wenn du das schaffst."

Ich löse mich aus seiner Umarmung und stehe gehe dann langsam in den Flur. Auf dem Weg ins Bad fällt mein Blick auf die Bilder, die dort an der Wand hängen. Jonas als frischgeborenes Baby, Hochzeitsbilder von uns und mehrere Bilder von meinem Bauch. Ich schlucke schwer und lehne mich an die Wand. Mark beobachtet mich aus der Küche. Als er sieht, dass ich wie gelähmt an der Wand stehe, kommt er zu mir und umarmt mich. „ Soll ich Jonas vielleicht doch mitnehmen?", fragt Mark. Ich schluchze: „ N-nein, i-ich will das schaffen." Mark legt seine Händen an meine Taille und streichelt mit seinen Daumen über meinen Bauch. „ W-wieso bist du so stark? Wieso k-kannst du das so gut?", stottere ich. Mark schluckt und antwortet: „ Es ist für mich...genauso schwer wie für dich. Ich mache mir Vorwürfe und es fällt mir schwer dich so zu sehen. Ich versuche stark für dich zu sein. Für Jonas. Für uns." Ich weine in sein T-Shirt. „ D-danke", schiefe ich und versuche mich zu beruhigen.

Wir stehen noch eine Weile eng umschlungen im Flur, bevor ich dann ins Bad gehe und mich langsam fertig mache. Mark macht währenddessen Jonas fertig, sodass ich nur noch meine Jacke anziehen muss. Als wir schon fertig im angezogen im Flur stehen, fragt Jonas: „ Mamas Baby auch Spielplatz?". Ich starre ihn an und setze mich auf die kleine Holzbank, die an der Wand steht. Mark kniet sich neben Jonas und sagt: „ Weißt du Jonas, Mamas Baby kann nicht auf den Spielplatz, aber es ist immer bei uns, ok?". Jonas nickt, während ich immer noch zitternd auf der Bank sitze. Mark versucht die Situation zu retten und ich bin ihm sehr dankbar dafür. Jonas tippt mich mit seinen kleinen Fingern an. „ Mama? Bist du jetzt traurig? Können wir los?", fragt er. Ich schüttele den Kopf und antworte: „ Schon gut, mein Schatz. Jetzt lass uns losgehen. Hast du deinen Fahrradhelm?". Jonas nimmt schnell seinen Helm aus dem Regal und steht dann erwartungsvoll an der Tür. Ich stehe langsam auf und atme tief durch. „ Lass uns gehen, Jonas. Der Spielplatz wartet", sage ich und schnappe mir meine Tasche.

Lena One ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt