Kapitel 19.

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Lukas war nicht tot.

Doch, er war es, aber dann doch wieder nicht.

Und dann fühlte er sich tot und war es doch nicht.

Aber er hätte tot sein müssen.

Und dann doch wieder nicht.

Oder war er tot?

Wie fühlte sich tot an? Das wusste Lukas nicht.

Eines Tages war er wieder wach. Das wusste er.

Wieso, wusste er nicht.

Wie lange er tot gewesen war, wusste er nicht.

Was ihn wiederbelebt hatte, das wurde ihm langsam klar.

Wieso, konnte er sich trotzdem nicht erklären.

Es war ein Westerveilchen.

Er kannte es aus der Schule.

Eine kleine himmelblaue Blume, deren Wurzeln als besonders heilsam galten.

Aber wiederbeleben konnte sie eigentlich nicht...

Lukas kämpfte sich mit steifen Gelenken von dem Stein herunter, der glatt zu einem Quader geschliffen wurde und das Licht der vormittäglichen Sonne reflektierte.

Er befand sich in einer provisorischen Hütte aus Holz und Stein, durch dessen Ritze das Licht ungehindert hereinfiel.

Lukas war von den Werwölfen getötet worden... Er hatte sie nicht kommen hören, dann waren sie ihm in den Rücken gefallen... Zögerlich berührte er die noch frische Wunde mit seiner Hand und zuckte sofort zurück. Ab da wusste er nicht mehr... Er hatte Finn rächen wollen... Nein, nicht er... Nils...

Nils! Plötzliche Angst überfiel ihn.

War er etwa...

Lukas versuchte, sich zu beruhigen und sich an seine letzten Worte an ihn zu erinnern...

Die Werwölfe werden es bereuen, hatte er gesagt und ihn ernst angeguckt, dann hinzugefügt:

Ich werde der beste Jäger, Lukas!

Dabei hatte er gelächelt. Er wollte seinen kleinen Bruder rächen.

Lukas hatte Mitgefühl mit seinem Bruder.

Er war wohl geflohen, hatte auch ihn alleine gelassen, wie schon Finn, und den Angriff überlebt.

Lukas schlich aus dem Häuschen heraus und sah sich um. Er befand sich mitten im Wald. Seine Hose und sein Hemd waren zerrissen und seine Schuhe verschwunden. Er spürte die weiche Erde zwischen seinen Zehen und fühlte sich scheinbar zum ersten Mal in seinem Leben richtig frei. Ihn interessierte es plötzlich nicht mehr, wer in seinem Dorf wohl gestorben war, während er tot war, und er wollte auch nicht mehr darüber nachdenken. Er wollte insgesamt nicht mehr denken.

Frei. Endlich war er richtig frei. So, wie Nils es immer sein wollte. Wie er es ihm immer beschrieben hatte.

Nur noch viel schöner!






In einer Nische zwischen zwei Häusern konnte es so gemütlich sein. Wenn in der Nische drei großer Heusäcke liegen, zum Beispiel. Und einige Laken, die von einer Wäscheleine geklaut und dorthin gebracht worden waren.

Und wenn das eine der beiden Häuser einem Bäcker gehörte, der gerade Apfelkuchen buk.

Wenn dies auf eine Nische zutraf, konnte man schon mal den ganzen Tag auf einem der Säcke verbringen. Wenn man keine Arbeit hatte.

Diebe mussten nie etwas tun.

Jedenfalls dann nicht, wenn sie jede Nacht reiche Beute gehabt hatten. Etwa eine Woche lang. Ja, das konnte dann schon ein schönes Leben sein.

Niemand konnte den Dieb sehen, wie er sich dort in der Nische rekelte und es sich gemütlich machte. Wer nicht wusste, dass er da war, lief einfach an ihm vorbei.

Nicht so Neele.

Vielleicht wusste das kleine Mädchen, dass er es sich genau dort gemütlich machte, vielleicht hatte sie auch einfach Glück. Aber Glück hatte sie ja genug. Jede Nacht trafen sich die beiden auf den Dächern, sie zögerte kurz und sie liefen wortlos aneinander vorbei. Manchmal mehrmals. Aber wenn die Werwölfe ein Opfer gefunden hatten, waren beide immer sofort zur Stelle.

Faeris, weil er sich etwas Beute erhoffte.

Neele, damit sie wusste, vor wem sie sich besonders zu fürchten hatte.

Und beide waren genauso schnell wieder weg.

Faeris hatte nie sehen können, wohin die Kleine verschwand, aber Neele wusste wohl ganz genau, wo er sich versteckt hielt.

Sie schob ihren kleinen Körper durch die Stelle, an der die Häuser sehr nah aneinander standen und setzte sich wortlos neben Faeris auf den anderen Sack. Verlegen schaute er zu Boden. Sie hielt es genauso.

Dann fing er an, gelassen zu lachen, um sie aus ihrer Schweigsamkeit zu locken.

Damit sie ihm endlich verriet, was sie auf dem Herzen hatte.

Mit großen hellen Augen schaute sie zu ihm hinauf und schon ihr Blick verriet dem Dieb, was ihre Frage war.

Die Werwölfe von DüsterwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt