Kapitel 5.

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Es schien schon wieder ein Morgen zu sein, wie jeder andere Morgen, es rieselte, es war nebelig. Wärmer als in den Tagen zuvor. Jane lag auf einem perfekt geformten Stein und ließ die feinen Tröpfchen ihr das Gesicht benetzen.

Wie jeder Morgen. Wie sie dachte.

Sie hatte den Tod des Holzfällers nicht weiter betrauert. Er war beerdigt worden. Es war ein würdiger Abschluss gewesen, mit Kerzen und Blumen, wohin man gesehen hatte. Inzwischen schien jeder wieder nur an seine Arbeit zu denken.

Jane beobachtete die Menschen von ihrem Platz aus; Da war die alte Bäckerin wieder, die an ihrem Stand Brot verkaufte. Die Zwillinge Lina und Aurelia spielten ein kompliziertes Spiel mit einem Ball. Jane verstand die Regeln nicht ganz vom Zusehen. Auch Vitus spielte mit. Er schien überhaupt nicht traurig über den Tod seines Vaters. Darin beobachtete die Kinder, während er Flöte spielte.

Ciwan, den niemand ernst nahm, versuchte, die Leute auf dem Marktplatz zu erschrecken. Der Dorfdepp.

Jane beobachtete ihn noch lange, lachte über die albernen Versuche, die Einwohner zu verblüffen.

Ein Dorfdepp, der seiner Arbeit nachging.

Keine Leiche wurde diese Nacht gefunden, obwohl die Anwohner, die um den Marktplatz herum wohnten, Schreie und das Jaulen von Wölfen vernommen hatten. Deshalb befanden sich an diesem Morgen deutlich weniger Menschen auf den Straßen. Einige der Bürger fürchteten die Wölfe so sehr, dass sie auch tagsüber ihre Häuser nicht verließen. Zu diesen gehörte auch Janes Vater. Am liebsten würde er seine Tochter ebenfalls in ihrem Zimmer einschließen, doch Jane kannte jeden Weg heraus und hinein. Andere traten mit Gewalt den Wölfen gegenüber, organisierten sich und wollten des Nachts den Wölfen auflauern. Der Kopf der Gruppe war Derek. Der Jäger, natürlich.

Und dann gab es jene, die sich keine Sorgen machten um die Wölfe. Solche wie Jane. Keine Leiche ist aufzufinden gewesen und Jane hatte die Schreie nicht gehört, obwohl sie am Marktplatz wohnte. Keine Spuren eines Mordes. Darin und Vitus, die Bäckerin, Ciwan, sie alle waren derselben Meinung wie Jane. Alles logisch erklärbar. Alles genau wie am Tage davor. Kinderlachen erfüllt die Luft.

Gaia hatte Angst. Große, fast übermäßige Angst. Die Magd schloss nachts die Fenster, die Tür, verriegelte das ganze Haus. Seit sie von dem Jäger diese schreckliche Mitteilung gehört hatte, konnte sie nicht ruhig schlafen.

Das Wort Werwölfe konnte man seitdem überall hören. Die Nachricht hatte sich bereits im ganzen Dorf herumgesprochen. Der Büttel hatte verlangt, es geheim zu halten, soweit es ging. Keine Panik auszulösen. Natürlich hatte es nicht funktioniert. Aber Gaia war stolz auf sich, sie hatte es nie irgendjemandem erzählt. Keine Panik verbreitet. Mit den Frauen im Dorf über Kleinigkeiten gesprochen. Nein, alle anderen Bürger hatten es verbreitet.

Gaia wohnte bei dem Bürgermeister im Haus, sie kümmerte sich als Magd um dieses und auch um seine beiden Söhne. Die hochnäsigen Brüder Allam und Arduin. Sie mochte beide der Söhne, doch beide hatten ihre Besonderheiten. Sie schob dies auf die reiche Oberschicht. Allam, der jüngere, achtete penibel auf jeden Schmutz und verließ nicht gerne das Haus. Hatte noch nie mit den gleichaltrigen Kindern gespielt, besonders nicht mit jenen aus dem einfachen Volk. Im Gegensatz dazu war Arduin zwar faul, hochnäsig und ein Träumer, hatte jedoch kein Problem damit schmutzig zu werden. Er hatte Freunde bei den Bürgern, obwohl auch er ein Einzelgänger war.

Die Brüder sprachen auch miteinander sehr wenig. Hatten sie nie. Arduin mochte es nicht, im Haus zu sein. Morgens ging er, ohne ein Wort zu sprechen und kehrte ebenso abends wieder heim.

Nachts war das Haus abgeschlossen und niemand würde die vier Bewohner darin stören.

Er hatte sie gesehen. Das Dorf gewarnt. Eine nächtliche Wache organisiert. Von Jähzorn getrieben gingen die Werwölfe durch die Straßen.

Suchend.

Doch wichen sie den Bewaffneten aus, die durch die spärlich beleuchteten Straßen streiften. Wären sie in kleineren Gruppen unterwegs gewesen, hätten die Wölfe sie überwältigen können, jedoch waren die Menschen in der Übermacht. Noch.

Die Werwölfe kannten sich, auch ihre menschliche Gestalt, sie wussten, wer sie waren.

Nur den Anführer, den weißen Wolf, den kannte niemand.

Und der hatte ihnen befohlen, den elenden Mann zu suchen.

Für einen war das besonders schwer gewesen. Für den Wolf mit dem dunkelroten Fell, der so zierlich zwischen den großen Werwölfen ging. Die Anführerin. Die Partnerin des großen weißen Wolfes.

Sie kannte den Jäger gut. Der Jäger hatte sie entdeckt und verraten, aber er hatte nicht gewusst, wer sie gewesen war. Sie hätte ihn verschont. Doch gegen den Befehl des Anführers kam sie alleine nicht an. Und persönliche Beziehungen zu den Opfern waren sowieso egal.

Das spielte jetzt auch keine Rolle mehr. Die Wölfe fanden ihn. Sie sorgten dafür, dass ihn ein schneller Tod ereilte. Er selbst nahm diese Nacht an der Wache der Menschen nicht teil. Er war ein leichtes Opfer.

Plötzlich ein Schuss.

Der hellbraune Wolf links neben ihr ging zu Boden.

Bevor der Jäger noch einmal zielen konnte, überwältigten ihn die Wölfe.

Die Werwölfe gingen mit blutverschmierten Krallen, sie leckten sich noch das Blut von den Zähnen.

Die Leiche ließen sie in seiner kleinen Hütte zurück. Sie hatten genug Probleme gehabt, als sie den toten Körper von dem kleinen Jungen versteckt hatten, der unabsichtlich ins Visier der Wölfe gekommen war. Letzte Nacht wollten sie den Mord noch verheimlichen. Nun ist es egal. Die Angst der Menschen ist geschürt und sie wird die meisten Nachts in ihren Häusern verweilen lassen. Ganz alleine.

Doch neben einem Menschen war auch ein Wolf in dieser Nacht gestorben.

Die Wölfe waren im Begriff, in den Wald zurückzukehren und von mäßigem Erfolg zu berichten, als einer von ihnen, ein komplett schwarzer Wolf, das kleine Mädchen bemerkte.


Die Werwölfe von DüsterwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt