Kapitel 23.

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Vitus hielt ihre Hand fest, die ganze Zeit über. Die gesamte Hinrichtung lang war er nicht von ihrer Seite gewichen.

Sie war nicht mehr ganz. Aurelia war nur noch die Hälfte. Sie war ganz klein, ohne Lina. Sie hatte doch nur sie gehabt!

Tränenüberströmt rannte sie. Durch die Tränen konnte sie kaum erkennen, wohin sie lief, aber sie kannte ihr Ziel. Vitus rannte hinter ihr her, sie schlüpften durch ein Loch in dem Holzstapel, den die Dorfbewohner zu ihrem Schutz aufgehäuft hatten, und flitzten durch den Wald, auf den Sammelplatz zu. Die anderen Werwölfe waren bereits da, ihre Zahl war aber deutlich geschrumpft. Die meisten waren in Wolfgestalt gekommen, nur einige sahen wie Menschen aus.

Der weiße Wolf saß wie jedes Mal majestätisch auf dem höchsten Stein, davor sein Rudel. Aurelia und Vitus reihten sich ein und blickten wie alle anderen zu ihrem Anführer auf.

Links, zwischen dem Hellbraunen und der zierlichen Dunkelroten, sah Aurelia ein fremdes Gesicht. Ein schwarzer Wolf, wie Lina es einer gewesen war, nur ein wenig größer. Aurelia konnte den Blick nicht von dem Neuen abwenden, der wie jeder andere auf den Weißen Wolf starrte. Er wäre gar nicht aufgefallen, wenn sie nicht gewusst hätte, dass er eigentlich nicht zu dem Rudel gehörte.

Der weiße Wolf fing an, zu reden und verlor keine unnötigen Worte, sagte nur den Namen ihres nächsten Opfers.

Swen.

Swen und Salim waren einander kaum von der Seite gewichen. Ständig hatten sie Angst vor den Werwölfen, selbst am Tag. Und sie planten eine Falle. In dieser Nacht, schworen sie sich, würden sie einen erwischen.

Swen kannte seine Gefährten, Salim und Ciwan, kaum. Salim wohnte am anderen Ende des Dorfes und sie waren sich, bevor er ihn vor fünf Tagen aufgesucht hatte, nie begegnet.

Was Salim vorher gemacht hatte, was sein Beruf war, wusste er nicht.

Auch Ciwan war geheimnisvoll. Natürlich hatte Swen gewusst, wer er war. Der Dorfdepp war überall bekannt, aber man wusste doch nichts über ihn. Den ganzen Tag lang steht er auf dem Marktplatz und bringt die Bewohner zum Lachen. Was er damit bezweckt, kann niemand sagen. Swen beschloss, ihn heute Nacht danach zu fragen. Wenn die Werwölfe zuschlagen würden. Vielleicht konnte er ein Opfer noch retten...

Swen ahnte nicht, dass diese Nacht er das Opfer werden würde.

Jane ließ den morgendlichen Nebel ihr Gesicht mit feinen Wassertropfen benetzen, während Jason Jagen ging. Den ganzen Morgen lag sie ausgestreckt auf dem großen Stein und sie fühlte sich, als wäre sie zu Hause und alles wäre gut. Niemand war gestorben, auch Arduin hatte sich nicht für sie geopfert. Im nächsten Moment würde ihr Vater sie aus dem oberen Fenster aus warnen, vor den gefährlichen Wölfen und anderen Tieren im Wald und sie würde nur unbesorgt lächeln und liegen bleiben bis Mittag, wissend, dass die Sorge ihres Vaters unbegründet gewesen war. Dann würde sie die Brötchen riechen, die Kinder spielen hören und von Fern das Klirren von Metall, das aneinandergeschlagen wurde.

Für einen Moment erwartete sie, dass um sie herum langsam das Dorf erwachen würde. Aber sie war nicht mehr im Dorf. Das Dorf war tot und die Überlebenden hatten sie umbringen wollen, aus Angst, selbst getötet zu werden.

Für einen Moment hatte sie das vergessen.

Für einen Moment hatte sie vergessen, was sie eigentlich wollte. Rache. Das erste Mal im Wald, als sie nur noch Rache wollte, für all die getöteten Freunde. Doch nun fühlte sie endlich wieder richtige Wut. Sie wollte Rache. Für Arduin. Sie würde denjenigen finden, der ihn umgebracht hatte. Sie schwor es sich. Sie würde die Werwölfe finden und töten, einen nach dem anderen!

Jason hatte kein Jagdglück. Einige Früchte hatte er gefunden, doch mehr nicht.

Gerade wollte er zurück zu Jane, ihr nur die paar Früchte bringen und sich entschuldigen, dass er mit dem Bogen, den er zusammen mit einigen anderen Waffen in der Hütte gefunden hatte, nichts geschossen hatte, da hörte er ein Rascheln. Blitzschnell richtete er seinen Bogen auf das Gebüsch, in dem er ein Tier vermutete, und schlich sich langsam heran.

Ein Aufschrei. Vor lauter Schreck ließ Jason den Pfeil los, der sich mit einem Zischen in einen Baum bohrte. Dann sah er sie. Hinter dem Gebüsch hatte sie sich versteckt.

Loki richtete sich langsam auf und blickte hektisch zwischen dem Pfeil, der im Baum steckte und Jason hin und her, dann fand sie langsam ihre Stimme wieder.

„Jason, richtig?", fragte sie mit schüchterner und leicht zitternder Stimme. Jason nickte nur erstaunt.

Loki war ein sehr attraktives Mädchen, ungefähr in seinem Alter, das er aber kaum kannte.

Sie war etwa einen Kopf kleiner als er und musste sich daher strecken, ehe sie ihm um den Hals fiel.

Perplex hielt er sie fest, als sie ihm erleichtert einen Kuss auf die Wange gab.

Die Werwölfe von DüsterwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt