Kapitel 11.

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Plötzlich ein Geräusch. Ein Kratzen auf Ziegeln, ein bedrohliches Knurren.

Ein schwarzer Schatten stürzte sich aus dem Nichts auf die beiden Kinder. Vor Angst konnte Nils nichts mehr sehen. Eine krallenbesetzte schwarze Pranke traf ihm ins Gesicht. Er rollte das Schrägdach hinunter und schlug hart auf den Steinen der Straße auf. Benommen blieb er noch ein paar Sekunden liegen, bis er sich schließlich an eine Hauswand rollte und sich unter einer alten Plane versteckte.

Sein gesamter Körper schmerzte und er schmeckte Blut. Auch sein Gesicht war nass von Blut und Schweiß. Erschöpft sank er nieder.

Die Beerdigung war vorbei. Endlich! Den ganzen Morgen hatte sie sich hingezogen, obwohl die Meisten den Büttel nicht einmal mochten. Die Meisten waren froh, dass er endlich tot war. Seine verrückten Ideen wären endlich vorbei und es würde nie wieder eine von ihnen durchgesetzt werden ohne den Büttel, dessen waren sie sich sicher. Die meisten dieser Gesetze hatte der Bürgermeister schon bis zum Abend abgeschafft.

Alle, bis auf das Schlimmste.

Die, die die gesamten verdächtigen Bürger umbringen sollte.

Die letzte Wahnsinnigkeit vor seinem Tod.

Der Sonntag neigte sich dem Ende und bereits am nächsten Tag sollte der erste Bürger vom Gericht verurteilt werden.

Seit fünf Tagen nun, seit sein Vater gestorben war, lebte Vitus nun schon in dem großen Haus von Darin. Das Haus war alles andere als ein langweiliges Steinhaus; halb unter der Erde und halb auf einem dicken Baum hatte Darin es gebaut. In den Keller wuchsen dicke Wurzeln. Darin hatte einmal gesagt, der Baum würde ihn festigen. Eine Wand in der großen Stube bestand aus ihm. Das halbe Haus bestand aus ihm. Aus der Stube führte ein dünner Gang tiefer in den Baum hinein. Am Ende dieses Ganges lag eine wunderschöne Höhle; von den Wänden floß das Wasser, es leuchtete im Licht der Fackeln, die Darin einmal aufgestellt hatte und sammelte sich in einer Kuhle zu einem Teich. Das Wasser konnte man trinken.

Von außen sah das Haus aus, als hätte man es auf den Baum geschichtet. Ein großer Turm ragte aus dem Blätterdach heraus. Aus dem Haus wuchsen breite Äste.

Das Gebäude besaß keine Tür, nur Fenstern. Betreten konnte man es nur, indem man den Baum hinauf kletterte und durch ein großes Loch in einer Astgabel stieg. Das Haus war einfach wunderschön.

Vitus wohnte in einem der oberen Stockwerke. Aus einem seiner Fenster konnte er auf einen Ast springen. Er krabbelte durch das Blätterdach zum Ende des Astes, wo er sich, wie jeden Abend seit fünf Tagen, hinsetzte, um Geige zu spielen. Darin war ein guter Lehrer, schon jetzt konnte er ein paar einfache Stücke spielen. Während er spielte, beobachtete er die untergehende Sonne.

Unter ihm hörte er Darin arbeiten. Es beruhigte ihn, zu wissen, wo sein Freund war.

Die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden. Darin arbeitete noch immer vor seinem Haus. Er schien kaum Angst vor den Werwölfen zu haben.

Vitus wollte ihn warnen. Er wollte, dass er mit ihm ins Haus zurückging.

„Geh schon mal rein, ich komm gleich nach!“, hatte er ihm nur zurückgerufen.

Das unvermeidliche geschah.

Ein Rascheln im Gebüsch. Dann geschah alles viel zu schnell. Ein Wolf. In der Dunkelheit sah er pechschwarz aus.

Ein letzter erstickter Schrei. Vitus konnte seine Augen nicht von dem Schauspiel abwenden.

Wie angewurzelt stand er auf dem Ast und starrte den leeren Boden an.

Die Werwölfe von DüsterwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt