Kapitel 4.

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Das war schon fast zu einfach gewesen.

Diese ganze Aufregung war gut gewesen. Sehr gut sogar. Wenigstens für einen.

Drei Silber- und vier halbe Eisenstücke.

Das war nur ein wenig Geld, aber für einen Holzfäller hatte dieser Idiot doch etwas in der Tasche gehabt. Für einen Säufer, der es gewohnt war, sein Geld beim Glücksspiel zu verlieren, sogar mehr, als er besitzen sollte.

Und das Beste war, niemand würde ihn verdächtigen. Man würde die Münzen nicht einmal vermissen.

Der Holzfäller war auf dem Friedhof beerdigt worden.

Niemand würde den Dieb fassen.

Niemand hatte den Handgriff bemerkt.

Niemand hatte in diesem Moment auf den schwarz gekleideten Mann geachtet.

Niemand wusste, wer er wirklich war.

Und er würde es niemals irgendwem erzählen. Tote waren ein lukratives Geschäft. Sie konnten Geheimnisse gut bewahren. Und die Morde der Wölfe kamen ihm gerade recht.

Auch am nächsten Abend, als die Wölfe erneut angriffen, war der Dieb in einer Lücke zwischen zwei Dächern, seinem Versteck, geblieben und hielt Ausschau nach seinem nächsten Opfer.

Während die Wölfe ihr Opfer rissen, war der Dieb schon wieder unterwegs, die nächtliche Dunkelheit auszunutzen.

Lukas musste unbedingt auf seine jüngeren Brüder aufpassen. Auch, wenn sie eine furchtbare Dummheit begingen, waren sie immer noch seine Brüder.

Wenn diese zwei Idioten es für nötig hielten, mitten in der Nacht aufzustehen, um die Werwölfe zu sehen, musste Lukas mitkommen, um sie zu beschützen.

Das wäre nicht passiert, wenn dieser dumme Jäger ihnen nicht erzählt hätte, dass die Wölfe eigentlich Menschen wären, die in diesem Dorf lebten.

Man konnte den beiden einfach alles erzählen, sofort glaubten sie einem.

Sogar etwas so Dummes.

Eigentlich waren die Beiden gar nicht so dumm. Nils lebte in seiner eigenen Welt und Finn lief ihm immer einfach nach. So waren die beiden unzertrennlich. Und Lukas musste auf sie aufpassen. Auch, wenn sie mitten in der Nacht auf die Jagd nach Werwölfen waren.

Stundenlang saßen die drei auf dem Marktplatz auf dem Boden. Stundenlang passierte einfach gar nichts. Finn fing an, zu frösteln. Man konnte ihm ansehen, dass er lieber nach Hause gegangen wäre. Aber für Nils blieben sie sitzen. Wie so oft. Lukas, um auf seine Geschwister aufzupassen. Finn, um bei Nils zu sein. Wie unfassbar dumm.

Nils bemerkte nicht, dass seine Brüder nicht hier sein wollten. Er saß da, sodass man doch Zweifel an seiner Intelligenz bekam. Wie gebannt, als würden seine Wölfe bereits vor seiner Nase tanzen.

Während seine Brüder froren, blickte er im Dorf herum. Er wartete auf etwas übernatürliches, das gar nicht existierte.

Und Lukas saß daneben, weil er auf seine Brüder aufpassen musste. Und Finn bekam langsam Angst.

Plötzlich ein Geräusch.

Alarmiert drehten sich die Brüder zu einer der vielen Straßen um.

Zuerst sah man nichts, sie wollten sich schon wieder enttäuscht umdrehen.

Plötzlich ein Schatten. Ein bedrohliches Knurren.

Die Jungen standen nun, sie klammerten sich ängstlich aneinander fest.

Dann wieder Stille. Lukas sah zu seinen Brüdern herab. Dann wieder in die dunkle Gasse. Er hatte Angst.

Er rannte weg. Der große Bruder, der doch so mutig war, riss sich von den Griffen seiner Brüder los. Zuerst zog er noch an Nils Hand, und auch an Finns, aber als sie nicht mitkommen wollten, rannte er alleine weiter. Erst, als er in sicherer Entfernung war, wagte er einen Schulterblick. Dann rannte er weiter.

Finn war unschlüssig, wusste nicht, ob er Lukas folgen oder bei Nils bleiben sollte, der immer noch wie angewurzelt in die dunkle Gasse starrte.

Nach langem Zögern entschied er sich, wegzulaufen.

Nils wollte ihn noch aufhalten, er fasste nach ihm, doch er griff ins Leere.

Nicht rennen, hatte er noch geschrien. Das waren wilde Tiere, auch, wenn es eigentlich Menschen waren, hatten sie immer noch den Instinkt. Vermutete er. Sie jagten einen besonders, wenn man weglief. Auch, wenn man nicht lief, das war wahr. Doch Nils hatte ihn wieder gesehen, er wusste, wie man entkam.

Der Schatten. Der dunkel bekleidete Mann, der auf den Dächern in Sicherheit war. Über die Dächer entkam man. Es waren Wölfe, nichts anderes als Hunde. Sie konnten nicht so gut klettern wie sie.

Nils drehte sich um und lief zu einem niedrigen Dach. Finn konnte er überhaupt nicht mehr sehen, nichts reagierte auf seine Rufe, welche in seinen Ohren bereits von Knurrgeräuschen und Jaulen übertönt wurden. Der Platz war dunkel und die Wölfe schienen überall zu sein. Mühsam zog er sich auf eine Mauer, von dort aus auf das niedrige Dach. Einfach weiter nach oben. Der Schatten war weg, genau wie seine Brüder und die Wölfe. Ein einziger spitzer Kinderschrei war alles, was da war, während Nils kletterte. Die groben Ziegel waren zum Klettern ungeeignet. Doch als Nils am höchsten Punkt des Daches war, konnte er sich gut hinsetzen. Er konnte nichts tun, während der Schrei von Finn langsam verstummte und das Jaulen begann.

Es brach ihm das Herz. So lange war der Jüngere hinter Nils her getrottet. Sie waren immer zusammen gewesen. Unzertrennlich. Sie hatten immer nur einen Schatten geworfen. Und sie waren immer einer Meinung gewesen, bis zu diesem Moment. Sie waren in verschiedenen Richtungen gelaufen, das erste Mal in ihrem Leben. Das hatte seinem Bruder das Leben gekostet.

Die Werwölfe von DüsterwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt