Kapitel 13

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Seit dem Tod von Darin gestern Abend irrte Vitus nur noch im Dorf herum. Er spürte einen Hass, nicht auf die Werwölfe, er wusste nicht, auf wen, es war einfach Hass. Noch nie hatte er etwas Ähnliches gespürt. In ihm war ein Drang, er ersehnte schon die Nacht herbei. Er war orientierungslos, er wollte die Nähe zu Menschen und doch schreckte ihr Geruch ihn ab. Er konnte es sich nicht erklären. Und so lief er einfach immer geradeaus.

Seine etwas geschärften Sinne nahmen etwas wahr. Ein Geräusch, direkt hinter ihm.

„Pssssst!“

Vitus drehte sich um und blickte in die großen blauen Augen von Neele. Vorsichtig kam er näher. Er hatte seine Freundin lange nicht mehr gesehen.

„Wo warst du die letzten Tage?“

„Ist egal! Ich muss dir etwas erzählen!“

Neele erzählte von den Werwölfen, wer sie waren und was sie mit den Morden an den Menschen erreichen wollten.

„Sie sind auf Rache aus“, schloss sie ihre Erklärungen.

„Rache wofür?“, Vitus hatte bisher nur aufmerksam zugehört, doch dieses Thema interessierte ihn.

„Dafür, dass wir den Wald abholzen. Er ist doch ihre Heimat!“

Ein plötzliches Geräusch ließ Neele zusammenfahren. Irritiert sah sie sich einmal kurz um, dann verabschiedete sie sich hastig. Im nächsten Moment war sie schon verschwunden. Auch Vitus hatte nun endlich ein Ziel.

Lina und Aurelia, die ungetrennten Zwillinge, hatten keine Eltern mehr. Aber niemand wusste es. Sie hielten es geheim. Lina und Aurelia hatten noch ein weiteres Geheimnis, der Grund, aus dem ihre Eltern tot in ihrem Garten vergraben waren. Lina und Aurelia hatten sie umgebracht, vor etwa einem Monat. Ihre Eltern waren Werwölfe gewesen. Aber sie waren schlechte Werwölfe. Sie wollten sie verraten. Lina und Aurelia waren Waisen, weil ihre Eltern sich stellen wollten.

Lina saß auf einem Steinhaufen. Den kleinen Ball, den ihr Vater ihr geschenkt hatte, betrachtete sie gelangweilt. Sie trug das Spielzeug immer bei sich. Vielleicht war sie ein wenig sentimentaler als Aurelia, auf die sie nun wartete. Die hatte sie emotionslos vergraben, hatte nicht eine Träne vergossen neben ihrer weinenden und klagenden Schwester.

Die kleinen Blümchen, die ihr Vater auf den Stoffball gestickt hatte, leuchteten vorwurfsvoll. Er sah aus wie immer. Seit fünf Jahren, in denen sich alles um sie herum verändert hatte, blieb er immer gleich. Verschiedene Schmutzflecken zierten ihn, machten ihn noch einzigartiger, als er ohnehin  schon war. Die Wolken, die wohl mal weiß gewesen sein mochten, waren scheinbar schon immer grau und braun vom Dreck gewesen.

Tief in Gedanken versunken betrachtete sie das einzige Überbleibsel ihrer Eltern, bis zögerliche Schritte sie aufschrecken ließen. Schüchtern lugte Vitus um die Hausecke. Als er sie sah, kam er vorsichtig näher. Lina ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Mit flüsternder Stimme sagte er:

„Ich weiß, was du bist.“

Lina war verwirrt. Der Satz hatte nichts Missbilligendes und doch deutete Vitus damit ganz klar ihre Werwolfsgestalt an.

„Was willst du?“, fragte sie scharf.

Vitus antwortete knapp:

„Rache.“

Das Gewehr ihres Vaters hing an der Wand. Entschlossen nahm sie es aus der Halterung. Aus der Kommode griff sie sich die zwei größten Messer. Um ihren Bauch band sie sich dickes Leder. Zum Schluss beschmierte sie ihr Gesicht mit Schlamm. Am Waldrand tarnte sie sich noch zusätzlich mit Blättern. Mit geladenem Gewehr kletterte sie auf einen niedrigen Baum und wartete. Die Sonne war bereits fast hinter den Bergen verschwunden, als sie aus ihrem Halbschlaf aufwachte. Noch niemand war vorbei gekommen. Das war nicht weiter verwunderlich, schließlich kamen sie nur nachts. Doch von nun an musste sie besser aufpassen. Sie konnten jeden Augenblick an ihrem Baum vorbei kommen.

Sie hatte bereits alles für die Nacht vorbereitet, falls sie länger auf die Werwölfe warten musste; Drei dicke Decken, da es im Winter nachts sehr kalt werden konnte, ein bisschen gebratenes Fleisch, das sie von ihrem Vater geklaut hatte und eine Flasche Wasser. Alles hatte sie provisorisch mit einem langen Seil am Ast festgebunden.

Sie musste lange warten, bis endlich ein Werwolf unter ihr lang stampfte. Er war bereits verwundet, also ein leichtes Ziel. Mit aller Kraft warf sie das größte Messer nach der Bestie.

Ein verärgertes Knurren verriet Jane, dass sie nicht getroffen hatte.

Die Werwölfe von DüsterwaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt