Kapitel 8

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Der Zeitdruck machte ihnen immer mehr zu schaffen und eine weitere Nachtschicht stand ihnen bevor. Sie mussten diese Lydia finden, bevor es zu spät war... falls es das nicht längst schon war... Sherlock wusste, dass was auch immer in London passierte, jeder Schritt, den Sie machten und jedes Gespräch, das sie führten, von Moriarty verfolgt wurde und dieses Gefühl beunruhigte ihn zutiefst. Der einzige Ort, an dem er sich sicher war, dass sie nicht beobachtet wurden, war Mollys Wohnung. Wie eine Oase der Friedlichkeit lag sie inmitten der Londoner Innenstadt und war eine Sammlungsstelle für alle Informationen, die im Laufe der Ermittlungen angesammelt wurden.

Mary, die sich in ihrem Haus unsicher fühlte, war vorübergehend in die Baker Street umgezogen und sie und Misses Hudson saßen in der kleinen Küche und tranken Tee, schoben trübe Gedanken vor sich her und versunken in Sorge um ‚ihre Jungs'. Der Sekundenzeiger der Küchenuhr bewegte sich tickend über das Ziffernblatt und die Minuten verstrichen. Erst Viertel vor Acht! Mary war allein die letzte viertel Stunde wie eine Ewigkeit vorgekommen, nur quälend langsam bewegte der Stundenzeiger sich auf die Acht zu. Um Acht sollte John kommen, er würde Abendessen mitbringen und sie mit Informationen versorgen. Mary konnte es kaum erwarten. Das Nichtwissen über den Verbleib ihrer Tochter brachte sie fast um und der Gedanke, dass sie sich in den Händen dieses psychopathischen Killers befand, beunruhigte sie noch mehr. Als es endlich klingelte, fiel sie John um den Hals und drückte ihn lange an sich. Die warme Umarmung seiner kräftigen Arme hatte eine beruhigende Auswirkung auf Mary und sie fühlte sich gleich viel besser.

Sherlock und Molly hatten sich inzwischen auf die Suche nach Lydia gemacht, was ihnen schier unmöglich vorkam, denn sie wussten weder den vollständigen Namen dieser Person, noch ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort oder ob sie überhaupt noch am Leben war. Alles was sie wussten war, dass sie lange, dunkelblonde Haare hatte, die sie wahrscheinlich in einem Pferdeschwanz trug und Lydia hieß, vorausgesetzt das war überhaupt ihr richtiger Name. Man konnte sich nie ganz sicher sein, denn Sherlock wusste aus eigener Erfahrungen, dass die wenigsten Obdachlosen sich untereinander mit dem richtigen Vornamen ansprachen. Viele von ihnen gaben sich Spitznamen, verrieten ihren wahren Namen erst gar nicht oder glaubten lediglich einmal gehört zu haben, wie jemand irgendjemanden einmal angesprochen hatte. Sherlock machte sich also nicht allzu große Hoffnungen, jedoch mussten sie sie finden, denn dieses Mal war selbst Sherlock sich nicht darüber im Klaren, wie sie sonst vorgehen konnten.

Es war eine sehr kalte, ungemütliche Nacht. Es war bewölkt und dichte Nebelschwaden trieben durch die menschenleeren Gassen der schlafenden Stadt. Die Luft war eisigkalt und feucht und Molly fröstelte, als sie neben Sherlock durch die Dunkelheit eilte. Gegen die nassfeuchte Kälte hatte er seinen Mantelkragen noch höher gestellt und den nachtblauen Schal noch fester zugezogen als sonst und unter seinen dunklen Locken waren nur seine Nase und seine blitzenden, eisgrauen Augen zu sehen, die suchend hin und her wanderten.

Sie fingen unter Vauxhall Bridge an zu suchen. Sie befragten einige der in der Dunkelheit kauernden Gestalten, doch niemand hatte Lydia gesehen. Molly hätte jedem Einzelnen von ihnen gerne persönlich einen heißen Tee vorbei gebracht. Diese traurigen, grauen Gesichter taten ihr jedes Mal leid, wenn sie sie sah. Sie warf jedem einen mitfühlenden Blick zu, bevor sie zum nächsten zogen. Endlich fanden sie, was sie suchten. Es war eine alte Frau, die etwas abseits von den anderen saß und sich tief in ihre tannengrün und rot karierte Wolldecke kauerte. Ihr altes Gesicht war faltig und eingefallen und ihre großen Augen blutunterlaufen. Sie hatte eine sehr besondere Augenfarbe, fand Molly, es war ein auffälliger hellgrün Ton, fast mintfarben. Freundlich lächelte sie ihnen entgegen. „Hallo Sherlock! Treffen wir uns bald wieder zu einer gepflegten Runde?", ihre Stimme klang rau und krächzend und sie hustete mitleiderregend. „Nein tut mir Leid, im Augenblick bin ich leider zu beschäftigt fürs Kartenspielen." Er sah sie ernst an: „Aber du könntest mir sehr behilflich sein, Kitty. Kennst du eine gewisse Lydia?", „Aber selbstverständlich kenne ich sie... nettes Mädchen, hätte aus ihrem Leben weitaus mehr machen können. Sie hätte nicht so enden müssen wie ich. Vielleicht ein wenig naiv aber sehr hübsch und aus gutem Elternhaus, wie ich gehört habe!", „Wie ist sie dann hier gelandet?", fragte Molly. „Zoff mit den Eltern. Wollte nichts lernen, entschied sich für die große Freiheit, ich sagte ja bereits, dass sie naiv war. Übrig geblieben ist ihr von dieser Freiheit letzten Endes aber nur ihre dunkle Seite, die Armut und das Leiden...", sie blickte traurig zwischen Sherlock und Molly hindurch in die Ferne. „Und wann war sie zuletzt hier?", fragte Sherlock. „Ich habe sie seit Wochen nicht gesehen, bis vor etwa einer Stunde. Da tauchte sie wieder hier auf. Sie wirkte irgendwie verstört, als wäre ihr etwas Schlimmes widerfahren. Murmelte irgendetwas von einer armen Shelly und das sie schnell wegmüsste und ist gegangen... dabei hatte sie doch gerade wieder bessere Aussichten für ihren Zukunft...". „Bessere Aussichten? Wie meinst du das?" Sherlock legte den Kopf schief. „Naja, sie sagte, sie habe in diesem Sozialarbeiter, Ricky oder so, die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben. Sie würde jetzt bei ihm einziehen und glücklich werden. So hat sie mir das gesagt. Ich glaube, das war vor drei Wochen, als ich sie zuletzt gesehen habe, abgesehen von heute natürlich...", „Hieß dieser Sozialarbeiter zufällig Rich? Richard Brook?" Die Frau nickte. „Darüber, dass Richard Brook nicht existiert, bist du dir schon im Klaren, oder?", er tobte. „Nein, woher sollte ich...", „Es stand in den Zeitungen. Es wurde an jeder Ecke darüber geredet. ER WAR DER GRUND FÜR MEINEN SELBSTMORD!" Seine Stimme hallte von den Brückenpfeilern wider und breitete sich über das dunkle Wasser der Themse aus. Molly und die alte Frau waren erschrocken zusammengezuckt bei Sherlocks plötzlichem Stimmungswandel.


Sherlock FF - Tick, Tack, Boom!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt