Kapitel 15

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Mary seufzte und setzte sich auf. Das Bett in 221b, das einst Johns gewesen war, fühlte sich so kalt und unbewohnt an, so lange hatte niemand hier geschlafen. John fehlte ihr und Shelly erst recht! Aber zurück in ihr eigenes Haus zu gehen war für Mary zurzeit einfach nicht vorstellbar. Dass sie sich dort nicht sicher fühlte, war eher eine Ausrede gewesen, die sich allerdings in Hinsicht auf Marys Vergangenheit als Profikillerin als ziemlich schwach herausstellte. Sie fühlte sich sehr wohl sicher, denn sie wusste sehr gut sich zu wehren, wenn es darauf ankam, zudem wäre Mrs Hudson als Abwehr gegen Moriartys Leute wahrlich lachhaft gewesen. Sie verstand einfach nicht, wie das hatte passieren können: Wie konnte diese wildfremde Person in ihr Haus kommen, ihr Baby nehmen und dann einfach wieder heraus spazieren ohne, dass die ehemalige Auftragskillerin oder der Ex-Armeearzt, der seit Jahren in seiner Freizeit an der Seite seines Soziopathen-Freundes Verbrechen aufklärte, etwas davon mitbekam? Wie hatten John und sie das zulassen können? Mary wollte nicht in diesem Haus sein, das so leer und kalt wirkte, ohne John und die kleine Shelly.

Doch dieses Gefühl der Kälte und Leere schien sie förmlich zu verfolgen. Sie stand auf und ging ins Wohnzimmer. Hier fühlte sie sich etwas wohler, denn der staubige Raum und seine vertraute, jedoch stets auf neue beeindruckende Unordnung erinnerte sie an glücklichere Zeiten, an Abende, die sie und John gemeinsam hier bei Sherlock verbracht hatten, an die Hochzeitsvorbereitungen, an all das, was Sherlock für John und damit automatisch auch für sie getan hatte. Er würde auch das hier meistern. Das wusste sie einfach, wie sollte es denn sonst weitergehen?

Sie ging zum Kaminsims und ließ den Blick über das merkwürdige Sammelsurium der dort liegenden Gegenstände wandern: Den Totenkopf, die Käfersammlung, die unzähligen Flecke von verschiedensten Flüssigkeiten, die vielen Zettel mit den merkwürdigen Botschaften: „Falls Lehrer eine Katze hat, Lehrer verhaften!", las Mary: „Im Fall von Gummistiefeln, unbedingt die Größe checken!", „Der Gärtner hat...", Molly schrak leicht auf, als sie hinter sich ein Geräusch vernahm. Langsam hob sie den Kopf, um durch den Spiegel über dem Kamin einen Blick auf das hinter ihr liegende Zimmer zu erhaschen. Sie wollte kurz aufschreien, als sie nicht nur sich im Spiegel sah, entschied sich aber dagegen, als die Person hinter ihr eine Waffe zog. „Guten Abend, Mrs Watson!", der kräftige Mann machte einen Schritt auf sie zu.

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Mit dem Betreten des großen, kalten Gebäudes blitzten in seinem Kopf die Bilder der Vergangenheit wieder auf: Lachende Kinder, laute Kinder, Einsamkeit, Langeweile, Lehrer. Er eilte den langen Flur entlang, er wusste genau, wo er hin musste. Seine einsamen Schritte hallten laut auf dem grauen Linoleum. Es war, als eilte das Geräusch seiner Schritte ihm voraus, um seinen Besuch anzukündigen. Dieser Besuch war jedoch schon vorher mehr als angekündigt gewesen. Es war ihm nicht leicht gefallen, diese Entscheidung zu fällen, aber es war ihre einzige Möglichkeit. Er hätte es sich nie vor anderen eingestanden, aber er hatte Angst. Todesangst. Sein Plan war sowohl genial als auch verrückt. Dieser Tag würde in die Geschichte eingehen, entweder als bestausgeklügeltster kriminalistischer Schachzug aller Zeiten, oder aber als dramatische Tragödie. Er schob den Ärmel seines Mantels leicht zurück, um auf seine Armbanduhr zu sehen: Kurz vor eins, bald würde es soweit sein. Bald ging es los.

Er war am Ende der langen Gangs angelangt und blieb vor der schweren Tür zu seiner Rechten stehen.

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John Watson lief unruhig auf und ab. Sie hatten die Pathologie nicht verlassen, seit Sherlock gegangen war. Molly und er waren vorbereitet. Sie wussten zwar nicht, was kommen würde, aber sie waren bereit. Bereit zu agieren, sobald Sherlocks Anweisungen sie erreichten. Wie Jagdhunde, die darauf warteten, von der Leine gelassen zu werden, tigerten sie in dem kleinen Raum auf und ab. Keiner von ihnen wagte es, auszusprechen, was in ihren Köpfen vorging. Sie trauten sich nicht einmal, ihren Gedanken nachzugehen, aus Angst, verrückt zu werden von dem ungemeinen Druck, der auf ihnen lastete. Was immer von ihnen verlangt wurde, sie würden es tun.

Sherlock FF - Tick, Tack, Boom!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt