Kapitel 9

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Auf den Schock folgte für Molly zweierlei: Die Erkenntnis und anschließend das Verständnis. Man könnte meinen, beides wäre das gleiche, aber bei genauerem Nachdenken fällt auf, dass das keineswegs der Fall ist. Die Erkenntnis war ein naheliegender Gedanke, wenn man Sherlocks Geschichte kannte, jedoch erforderte das Verstehen der Auswirkungen, die das auf den Fall Shelly Watson haben würde, eine wichtige Schlussfolgerung.

„Du meinst, Moriarty gibt sich als Lydias Freund aus, um...", „Um ihre Naivität auszunutzen und sie für sich und seine kriminellen Machenschaften zu missbrauchen. Ja, genau das meine ich. Das wiederum heißt, dass Lydia niemals dafür bezahlt wurde, das Gesetz zu brechen, sondern sie hat es aus freiem Willen getan. Moriarty hat sie fest im Griff, solange er sie nur in dem Glauben lässt, er würde sie lieben, würde sie bereit sein alles für ihn zu tun."

„Erinnert uns das nicht an irgendjemanden?", die Stimme war urplötzlich hinter ihnen aufgetaucht. Sherlock und Molly fuhren herum und eine dunkle Gestalt löste sich von dem Schatten des nächstgelegenen Brückenpfeilers. Jim Moriarty vergrub seine Hände in den Taschen seiner dunklen Anzughose und grinste die Beiden frech an. „Jim...", ungläubig blickte Molly ihm entgegen. Molly war die Erste gewesen, die er zutiefst verletzt hatte. Damals hatte er sich als Mitarbeiter der IT-Abteilung des Sankt Bart's ausgegeben und sich so ihr Vertrauen und letztlich Informationen über Sherlock erschlichen, jedoch sprach Moriarty keineswegs davon. Ohne zu zögern zog Sherlock Molly sanft hinter sich und stellte sich schützend vor sie. „Was willst du?", knurrte er sein Gegenüber an. Moriarty setzte ein scheinheiliges Lächeln auf und schlenderte, die Hände noch immer in den Taschen, langsam auf die Beiden zu.

„Ich wäre jetzt bereit Shelly Watson freizulassen...", säuselte er. „Das glaubst du doch wohl selber nicht!", Sherlock sah ihn finster an. „Selbstverständlich nur gegen eine kleine... Bezahlung..." Moriarty stand inzwischen unmittelbar vor Sherlock und erwiderte seinen festen Blick.

„Was für eine Bezahlung?", Sherlock musste den Kopf senken, um Jim in die Augen blicken zu können, doch trotz seiner geringen Körpergröße wirkte Moriarty zutiefst einschüchternd und beängstigend. Der Wahnsinn spiegelte sich in seinen riesigen, braunen Augen wieder und ein krankes, leichtes Lächeln lag auf den schmalen Lippen. „Dich.", er stieß dem Detektiv so heftig mit dem Zeigefinger in die Magengrube, dass Sherlock sich beinahe übergeben musste. Hustend beugte er sich nach vorne und rang nach Luft, als Moriarty hämisch zu lachen anfing.

„Ich überlasse Shelly ihren Eltern, wenn ich dafür dich haben kann. Ich könnte selbstverständlich auch euch beide an mich reißen, aber eine schreiende Nervensäge genügt fürs erste und ich genieße die Laufunfähigkeit der kleinen Shelly sehr, schließlich kann sie so deutlich weniger Dummheiten machen... vielleicht sollte ich auch bei dir dafür sorgen..." Sherlocks Kiefer spannte sich an und er richtete sich wieder auf.

„Jetzt sitzt du ganz schön in der Klemme, nicht wahr, Sherl?", Moriarty machte eine große Blase mit dem Kaugummi, auf dem er schon die ganze Zeit rum kaute, so energisch als wollte er es totbeißen. „John wird sehr leiden, wenn du weg bist! Schon wieder läufst du einfach davon und das nur, weil du mein Rätsel nicht lösen kannst. Du möchtest mein schönes Spiel nicht mitspielen und das nur, weil du Angst hast, zu verlieren..."

„Wer sagt, dass ich den Tauschhandel annehme...", Sherlock und Jim hatten angefangen, sich zu umkreisen wie zwei Tiger, die nur darauf warteten, sich gegenseitig anzufallen und umzubringen. Kitty und Molly standen nur noch daneben mit vor Spannung geballten Fäusten kauerten sie im Schutz des Brückenpfeilers und hielten erwartungsvoll den Atem an, gespannt, was passieren würde.

„Oh Sherl... natürlich wirst du mein Angebot annehmen. Du bist schließlich eben doch nur ein langweiliger Held, der auf der Seite der Engel steht... wie bereits gesagt: Das ist stinklaaaaaangweilig! Natürlich wirst du das offensichtliche tun und den Handel annehmen, weil du denkst du würdest John damit einen Gefallen tun."

Sherlock hob den Kopf und sah von oben auf seinen Widersacher herab: „Wir dürfen schließlich nicht zulassen, dass du unseren armen John frisst, nicht wahr? Das würde dann doch gegen meine Vorstellungen sprechen... abgesehen von der Sauerei, die das Ganze hinterlassen würde..."

„Oh!", Jim Moriarty zog ironisch verblüfft die Augenbrauen hoch. „zur Feier des Tages benutzen wir heute mal das stilistische Mittel des Sarkasmus! Hört, hört... NATÜRLICH WERDE ICH IHN NICHT WÖRTLICH FRESSEN... viel zu zäh... nein, nein... ich werde ihn von innen heraus zerstören! Wenn er Shelly zurück will, musst du dafür sterben und umgekehrt... armer John... er wird sich Vorwürfe machen! Den Rest seines Lebens..." Jim schob seine Unterlippe zu einem Schmollen hervor und sah Sherlock in die Augen. „Du bedeutest ihm sehr viel... er hat seine Tochter nach dir benannt... ‚Shelly'... ein bisschen einfallslos, wenn du mich fragst! Naja, nicht meine Sache welchen Namen das Balg trägt... ich bin es ja sowieso bald los, ob du jetzt mein Angebot annimmst oder nicht. Entweder sie ist morgen sicher bei ihren Eltern oder... naja BOOM!"

Zum ersten Mal dachte Sherlock über Shellys Namen nach. Tatsächlich. John und Mary hatten ihr Kind tatsächlich nach ihm benannt. Wäre dieses Gespräch nicht so todernst gewesen, hätte er vermutlich ein seliges Lächeln auf den Lippen gehabt. John Watsons Tochter trug seinen Vornamen... mehr oder weniger... Aber jetzt war Sherlock Holmes gar nicht zum Lächeln oder gar zum Lachen zumute. Sein Kopf drohte zu explodieren, als er versuchte diesen Schwall von Informationen zu ordnen.

Es gibt eine sichere Möglichkeit, Shelly zu retten, wenn auch nur durch meinen eigenen Tod. Aber was würde das schon ändern, schließlich bin ich das ja irgendwie schon zwei Mal gewesen... John hat bewiesen, dass er auch ganz gut alleine zurechtkommt. Außerdem ist er ja auch gar nicht allein. Er hat Mary und dann ja auch Shelly und Molly... MOLLY!

Der Name löste in Sherlock etwas aus, das ihn gegen das Verlangen, einfach aufzugeben, ankämpfen ließ. Wie dumm er auch war. Seit wann war er, Sherlock Holmes, denn so empathisch seinen Mitmenschen gegenüber? Wie kam er auf den dummen Gedanken, diese Herausforderung auszuschlagen und wie ein Feigling einfach aufzugeben? Verdammt nochmal er war Sherlock Holmes und er würde dieses gottverdammte Rätsel lösen und somit Shelly und sich selbst retten!

„Und, Sherlock? Genug nachgedacht?", Moriarty stellte sich wieder vor ihn. „Deal?", er streckte dem Detektiv die Hand entgegen.

„Es tut mir Leid, Jim, aber ich muss dein freundliches Angebot leider ausschlagen..." Sherlock sah auf die ihm entgegen gestreckte Hand hinab, dann drehte er sich um und winkte Molly zu sich.

„Komm mit Molly, wir haben noch eine Menge zu tun heute Nacht!" Molly beeilte sich, ihm hinterher zu laufen. Den wahnsinnigen Schwerverbrecher und die verfrorene alte Frau ließen sie einfach stehen, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Sherlock FF - Tick, Tack, Boom!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt