Freunde?

1.9K 114 10
                                    

Zwei Wochen später, sie war aus Schock nicht mehr zum Kampftraining gegangen, verließ sie gerade als letztes das Klassenzimmer nach dem Unterricht, als jemand ihren Namen rief.
Verwundert drehten sich sie und Sergej um.
Da stand Matthew.
Gerade machte er ein paar seiner Freunde mittels einer Handbewegung klar, dass sie schon gehen konnten, dann wandte er sich voll und ganz Rebecca zu.
Er hielt ein wenig Abstand, wahrscheinlich aus Respekt vor dem großen Tiger, was das Mädchen und das Tier jedoch nicht hinderte, zu spüren wie aufgeregt der Junge war.
In den letzten beiden Wochen hatte Rebecca etwas mehr über Matthew herausfinden können.
Er stammte aus einer reichen Familie in Boston, in der ein Mutant zu sein Normalität war.
Seine Zwillingsschwester war auch auf der Schule, sie war eine Gestaltwandlerin.
Er schrieb Bestnoten seit seiner Einschulung vor vier Jahren, hatte aber Schwierigkeiten seine Fähigkeit zu kontrollieren. Deshalb war er auch im Anfängertraining gewesen.
"Hi."
Begrüßte er Rebecca, sie betrachtete ihn nur misstrauisch.
Wie gesagt, die zwischenmenschlichen Gepflogenheiten waren ihr noch nicht so geläufig.
"Was willst du?"
Der Junge kratzte sich am Kopf.
"Ich wollte dich fragen ob du heute Nachmittag schon was vor hast."
Verständnislos runzelte sie die Stirn.
"Du hast doch schon Freunde?!"
Er lachte.
"Ich schon, aber du nicht. Und jeder braucht Freunde."
War das so bei den Menschen?
Ein paar Meter weiter sah Rebecca ihr Spiegelbild in einer der Fensterscheiben.
Die stechend blauen Augen, das Haar, das an Sergej angepasst waren.
Sah sie so alleine, vielleicht sogar verloren aus?
Rebecca kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum.
"Und was machen Freunde so?"
Jetzt lachte Matthew laut auf.
Es klang etwas ahnungslos.
"Naja, erst mal lernen sie sich kennen, glaube ich."

Ich mag ihn.

Beschloss Sergej, und daraufhin beschloss Rebecca, dass Matthew ihr Freund sein würde.
"Na dann. Erzähl was von dir."
Er erzählte das von sich, was Rebecca und Sergej schon herausgefunden hatten, dann forderte Matthew Rebecca auf, etwas von sich zu erzählen.
Diese Frage brachte sie aus der Fassung.
Sie konnte nicht erzählen wann sie Geburtstag hatte. Den wusste sie nämlich nicht.
Sie konnte nicht erzählen wer ihre Eltern waren. Sie kannte sie nicht.
Sie konnte nicht erzählen, was sie gerne Tat. Im Wald war keine Zeit für Spielereien gewesen, sie musste überleben.
Verzweifelt versuchte sie, den grauen Nebel in ihrem Kopf zu durchdringen, ihn bei Seite zu fegen, doch es funktionierte nicht.
Rebecca fuhr sich über das Gesicht, dann raufte sie sich die Haare.
Sergej und Matthew betrachteten sie besorgt, dabei wusste jedoch nur Sergej wie sie sich fühlte.

Das ist alles noch neu für sie.

Dachte der Tiger eigentlich nur zu sich selbst, doch Matthew horchte auf.
Seine Telekinese wurde ihm plötzlich nutzbar.

Hatte sie's so schwer?

Fragte Matthew den Tiger, begeistert seine Fähigkeiten endlich einmal sinnvoll und kontrolliert einsetzen zu können.

So kann man das nicht ausdrücken. Wir waren auf jeden Fall sehr alleine.

Antwortete Sergej, nicht wirklich überrascht über Matthews Fähigkeit, ihn zu verstehen.
Auch der Professor hatte sich schon mit ihm unterhalten.
Währenddessen richtete sich Rebecca wieder auf.
"Ist es okay wenn wir uns morgen wieder sehen? Ich muss ins Bett."
Sie wartete auf keine Antwort, sondern stand einfach auf und ging.

In den nächsten Monaten wurde es einfacher.
Sie und Matthew wurden enge Freunde.
Sie wurde ein wenig offener, man könnte sagen sie taute auf, aber auch nur in seiner Gegenwart.
Und nach einem Jahr war sie auf der im Thema soziale Intelligenz gleichauf mit den Leuten ihrer Klassenstufe.
Trotzdem fühlte sich nicht bereit, sich allem zu öffnen, zu verschieden im Gegensatz zu den anderen fühlte sie sich.
Schon ihr Aussehen hob sie hervor.
Sie weigerte sich immer noch, ihre Haare und Augen in ihrer Naturfarbe zu belassen.
Immer noch zog sie sich gerne auf die ausgedehnten Ländereien zusammen mit Sergej zurück, um nicht den ganzen Tag lang von Menschen umgeben zu sein.
Irgendwann entschied sie sich dazu, wieder ins Training zu gehen.
Ihre Kondition wurde ausgezeichnet und im Nahkampf konnte sie sich sogar schon damit brüsten, Wolverine zu Boden gebracht zu haben.
Es wurde ihr Hobby, zu trainieren.
Dabei konnte sie ihren Kopf ausschalten, sich fokussieren, und die ganzen zweifelhaften Gedanken, die sie ständig plagten, beiseitefegen.
Ihre einzigen und besten Freunde bleiben Matthew und Sergej, und keiner der beiden drängte sie dazu, mehr Kontakte zu knüpfen.
Zu Anfangs hatte Matthew das einmal versucht, doch er hatte ziemlich schnell erkennen müssen dass es schwer war sie zu irgendetwas zu bringen wenn sie es nicht wollte.
Rebecca fühlte sich das erste mal in ihrem Leben, soweit sie sich an dieses Erinnern konnte, glücklich und sicher.
So verging die Zeit.

SleepwalkerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt