2 - Nichts Als Erinnerungen

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Zitternd sitze ich in meiner kleinen Hütte, wenn man sie denn so nennen möchte.
Es ist eher ein Bretterverschlag in einer abgelegten Gasse, durch den der kalte Wind pfeift. Zwischen zwei Häusern steht sie und ist mehr schlecht als Recht von mir und Lu zusammengezimmert.

Es hat Ewigkeiten gedauert bis wir genug Holz und auch Nägel hatten und das dann auch noch richtig aufzubauen war nicht einfach. Aber immerhin, sie steht ja noch.

Seufzend ziehe ich die alte Decke straffer über meine Schulter, als ein kühler Wind wieder durch die Lücken weht.

Es ist einige Zeit seit der Hinrichtung vergangen, die Sonne hat dem Mond Platz gemacht und die Sterne funkeln wie Diamanten durch die Löcher meiner Hütte.
Trotzdem will der Schlaf mir keinen Besuch abstatten, stattdessen liege ich schon eine ganze Weile wach, immer wieder das Bild von dem fallenden Kopf und dem dumpfen Aufschlag vor Augen.
Zudem ist so eine Herbstnacht auch nicht gerade warm besonders nicht wenn der Wind gnadenlos ist und die Kleidung aus nicht mehr als ein paar löchrige Lumpen besteht.

Ich habe nicht immer hier gelebt, musste nicht immer frieren oder um Essen bangen.
Früher lebte ich mit meiner Mutter in einem schönen Viertel von Rabenstein in einem kleinen niedlichen Haus was für uns beide reichte.
Dort war es nicht kalt wir hatten einen kleinen Ofen vor dem mir meine Mutter immer gute Nacht Geschichten erzählt hat.
In dem kleinen Garten hinter dem Häuschen hatte sie alle möglichen Kräuter angebaut und mir auch viel darüber erklärt.
Sie war Heilerin in unserem Viertel, sie war die beste.
Doch auch die besten sterben.
Jetzt bleibt nichts als Erinnerungen die langsam verblassen.
Um das kleine Mädchen hat sich niemand gekümmert so war und bin ich jetzt immer noch auf mich allein gestellt.
Mürrisch richte ich mich auf und schlurfe Richtung Ausgang.
Bei den finsteren Gedanken werde ich nicht einschlafen, da kann ich auch gleich etwas rumlaufen und mich aufwärmen.

Mit steifen Händen Binde ich mir die alte Decke zu einem Umhang und trete in die sternenklare Nacht hinaus. Ich gehe die vertraute Gasse entlang und treffe auf niemanden mehr, nur von den Tavernen höre ich das Laute Gejohle der Betrunkenen. Auch manch einer sitzt zusammengesagt vor den Tavernen, mit einem Krug in der Hand und dösen hinweg. Mich bemerken sie nicht einmal, so weggetreten sind sie. Ich verlasse die Straße mit den Tavernen und schlendre ein wenig durch die kleineren Straßen von Rabenstein.
Auch ein kleiner Park ist hier erbaut und ich lasse mir Zeit als ich durch die angelegten Bäume wander. Die Stadt sieht nun ganz anders aus, auf den sonst so belebten Straßen ist keine Menschenseele zu sehen und man erkennt nun warum die Stadt den Namen Rabenstein trägt. Überall auf den Dächern, Bäumen oder Wegen sind Raben egal wohin man sieht.
Aber der Hauptteil schläft schon tief und fest nur manche sehen noch interessiert zu mir herunter.

In den unterschiedlichsten Formen und Größen, tummeln sie sich hauptsächlich nachts in der Stadt und suchen nach einem angenehmen Schlafplatz. Vielen sind die Raben nicht geheuer, viele sehen sie als Unglückszeichen an und manche sogar als Todesboten.
Oft gab es Beschwerden von Anwohnern die angeblich von Raben angegriffen sollen sein, mit Verletzten und sogar Toten.

Lächerlich, wie ich finde. Bestimmt waren ein paar reichen Gräfinnen die Tiere zuwider und sie wollten nur ihren Willen durchsetzen. Mir hat noch nie einer etwas getan, sie sind sogar recht freundlich und lassen sich manchmal auch Berühren.
Ansonsten sind sie so scheu, dass ich mir wirklich nicht vorstellen kann das einer der Tiere Menschen angreift. Tagsüber sind die Raben nicht in der Stadt zu sehen, nur vereinzelt sind sie hier.
Es reicht schon das eine kleine Person wie ich auf den Gassen schlendert, damit sie wegflattern und sich auf höher gelegene Positionen retten.

Sie beäugen mich Misstrauisch als ich zu ihnen hochsehe und stehen bleibe. Langsam gehe ich in die Hocke und hole zerbröselte Brotkrumen aus meiner Tasche. Sofort kommen Raben angeflogen um sich auf die Krümel zu stürzen.
Lächelnd beobachte ich das Schauspiel vor mir und bleibe vor ihnen hocken.
Einmal hab ich Lu gezeigt wie zutraulich und lieb sie sind, und er fand das zwar sehr beeindruckend aber so richtig Erwärmen konnte er sich nicht für die Tiere.
An dem Tag hab ich von ihm den Spitznamen Rabenmädchen bekommen auch wenn er ihn nicht mehr so oft benutzt.
Ich vermisse ihn.
Also nicht den Namen der war manchmal echt nervig, ich meine Lu.
Er war wie ein großer Bruder für mich und ohne ihn hätte ich es sicherlich nicht geschafft. Durch ihn lernte ich das Stehlen und auch Owen kennen.
Tja und dann kam dieser reiche Fürst, sein Onkel und kannte seinen ganzen Namen.
Warum er ihn durch den Namen band hat er nicht verraten.
Mutter hat mir mal erzählt, dass sogar Eltern die Kinder an sich banden um ihre Hochzeit und ähnliches zu kontrollieren.
Danach lassen Sie ihnen einfach einen neuen Namen geben und heben so die Bindung auf.
Ich muss wohl sehr geschockt gewesen sein denn sie hatte mir den ganzen Abend versichert das sie sowas nie tun würde weil sie mich dafür einfach zu sehr liebt.
Sie war eine gute Mutter.
Bevor sie starb...
Energisch schüttle ich den Kopf um die finsteren Gedanken zu vertreiben und scheuche so unbewusst ein paar Raben auf, die empört einige Meter weg flatterten aber dann doch neugierig wieder näher hüpfen.
"Aber warum denn so spät?", murrt eine Stimme ganz in der Nähe und lässt mich zusammenfahren. Schwere Schritte und Rüstungsgeklapper schallen durch die Nacht und als die Schritte immer näherkommen, krabble ich einfach unter den nächst besten Busch. Die Raben schien das alles nicht sonderlich zu stören, sie picken seelenruhig die Brotkrumen weiter auf.
Wer läuft so spät noch durch die Stadt und vor allem warum?
Naja außer mir selbst natürlich.
Sanftes Licht einer Laterne kommt nach kurzer Zeit hinter einer Häuserecke in Sicht und ich muss kurz die Augen zusammenkneifen um nicht geblendet zu werden.
Die eben noch gelassenen Raben stoben protestierend auseinander und retten sich auf die Baume und Dächer, um von dort die Neuankömmlinge böse anzustarren.
Zwei, in dunkle Mäntel gekleidete, Männer kann ich erkennen bevor ich mich endgültig flach auf den Boden unter dem Busch presse.
"Weil es uns so gesagt wurde, verdammt.", knurrt eine tiefe Stimme ungeduldig.
"Oder braucht das Prinzesschen seinen Schönheitsschlaf?"
Sein gegenüber murrt nur und bleibt vor einem Baum mir gegenüberstehen und wenden sich diesem zu.
Die Spitzen ihrer Schwerter lugen aus den Mänteln heraus und klappern leicht, wenn sie sich bewegen. Jetzt bloß keinen Mucks.
"Warum wird die kleine eigentlich gesucht?"
"Ach was weiß ich, hat man mir nicht gesagt nur das wir so viele wie möglich aufhängen sollen."
Er scheint mit den Schultern zu zucken und kramt in seinen Taschen bis er etwas zu Tage fördert, scheinbar Hammer und Nägel. Leises Hämmern bestätigt meine Vermutung, was die Raben mit einem vorwurfsvollen Krächzen kommentieren. Laut schallen die Hammerschläge durch die Nacht und ich bemühe mich ruhig zu atmen.
Ungeduldig seufzend wartet sein Kollege mit der Laterne und dreht sich leicht auf seiner Stelle.
„Jaja immer mit der Ruhe, muss ja auch halten", sagt er bestimmt und hämmert ungerührt weiter.
Es dauert nicht lange bis das Geräusch von dem Hammer wieder verstummt und die Stille der Nacht wieder einkehren lässt..
„Sollte reichen", murmelt er während er seine Werkzeuge wieder wegsteckt und sich zu seinem Kollegen umwendet.
„Na endlich los weiter ich bin müde", murrt der Laternenträger und setzt sich wieder in Gang und achtet nicht auf seinen Kollegen der ihm seufzend folgt. Eine Weile hört man die Zwei noch bis auch das verstummte. Erst als sich die Raben wieder runtertrauen und die verbleibenden Brotkrumen aufpicken, robbe ich aus meinem Versteck.
Zwickend bleiben kleine Zweige in meinen Haaren stecken als ich mich aufrichte und blinzelnd versuche mich an meine Umgebung zu gewöhnen.
Noch immer Tanzen mir kleine Lichtpunkte vor den Augen und es dauert eine Weile bis ich wieder vernünftig sehen kann.
Diese blöde Laterne.
Sobald meine Umgebung wieder klar ist, wende ich mich neugierig dem Baum zu.
Ein Blatt Papier flattert leicht im nächtlichen Wind, an zwei Ecken von einem schief eingeschlagenen Nagel festgehalten. Das Plakat sieht frisch beschrieben aus und scheint ein normales Fahndungsplakat zu sein, wie man es ab und an sieht. Nichts ungewöhnliches eigentlich, besonders in unserem Viertel nicht.
Nur die Person darauf lässt mir das Blut aus dem Gesicht weichen. Denn mein eigenes gleichgültiges Gesicht sieht mir entgegen.
Warum bin ich da drauf, werden mit diesen Plakaten nicht immer Verbrecher oder Vermisste gesucht?
Naja eher Verbrecher. Kurzerhand reiße ich das Papier mit einem Ruck vom Baum und sehe es mir genauer an. Hinter mir krächzen die Raben und picken weiter die Brotkrumen auf.

Ich bin auf diesem Bild, ohne Zweifel auch wenn ich mich schon lange nicht mehr ihn einem Spiegel gesehen habe erkenne ich mein eigenes Gesicht. Egal was auf dem Ding steht es kann nichts Gutes heißen. Niemand würde sich die Mühe machen Plakate schreiben zu lassen, mit so vielen Details in der Zeichnung.
So etwas zu machen dauert eigentlich lange und es braucht viele Personen. Schnell rolle ich das Plakat zusammen und laufe an den Raben vorbei die mir empört hinterher krächzen. Doch ich beachte sie nicht weiter und laufe, ja renne schon fast den gesamten Weg wieder zurück in meine kleine Hütte.
Luftschnappend lasse ich mich auf meinen Schlafplatz fallen und lege das Papier neben mir auf den Boden.
Nachdem ich wieder einigermaßen ruhig Atmen kann, stehe ich wieder auf und schiebe ein loses Brett beiseite. In einem kleinen Fach liegt meine einzige Kerze, die auf einem kleinen Stück Holz steht und eine kleine Packung mit Streichhölzern. Schwermütig zünde ich sie an, ich werde mir bald eine neue holen müssen und stelle sie in die Nähe des Papiers. Sanft flackert sie vor sich hin und taucht meine Hütte in ein angenehm warmes Licht. Kurz beobachte ich die Flamme, ehe ich blinzelnd das Blatt Papier wieder nehme. Vorsichtig streife ich es mit meinen Händen glatt und sehe es erneut an. Mittig schaut mir tatsächlich mein eigenes Gesicht entgegen, ganz ohne Zweifel. Darunter sind viele Zeichen, es scheinen Buchstaben zu sein und sogar ein paar Zahlen sind dabei.
Ich kann zwar nicht lesen aber Zahlen und Buchstaben kann ich unterscheiden, was nicht viele der Bewohner der unteren Schichten können, eigentlich fast niemand.
Nun gut, Owen kann Lesen aber ich glaube er kommt nicht gebürtig aus dem unteren Viertel. Aber was genau darauf steht bleibt mir verwehrt, doch denken kann ich es mir auf jeden Fall. Aber haben meine Diebeszüge so viel Aufmerksamkeit auf mich gezogen, dass ich gesucht werde? Ehe es den Leuten auffällt das ihre Geldbörse verschwunden ist, bin ich schon über alle Berge.

Schluckend erinnere ich mich an den Namensgeber zurück, bisher habe ich es vermieden ihnen zu nahe zu kommen oder sie gar zu bestehlen. Und er hatte mich auch noch länger gesehen. Er könnte mich tatsächlich angezeigt haben. Aber warum sollte er das tun, es waren doch nur ein paar Silberstücke.
Es ist das Silber nicht wert. Alleine ein Plakat anfertigen zu lassen kostet schon viel. Es würde sich nicht für ihn lohnen.
 Frustriert seufzend lasse ich das Blatt neben mich fallen und blase die Kerze rasch wieder aus. Je länger die Kerze hält desto besser. Es wird mir nicht helfen die ganze Nacht das Blatt anzustarren und hoffen das es mir die Antworten so gibt. Obendrauf würde ich damit auch meine letzte Kerze verbrauchen.
Aber Owen könnte ich fragen, er kann Lesen, das weiß ich. Und selbst wenn er nicht alles lesen können sollte ist da immer noch Lu. Andererseits, wenn es wirklich ein Suchplakat ist, will ich dann überhaupt das er davon weiß?
Wenn sein Herr ihn fragt ob er weiß wer das ist wird er antworten müssen, er kann ihn nicht anlügen und selbst wenn er nichts dazu sagt ist es schon Antwort genug. Seufzend rolle ich das Papier zusammen und lege es in meine Tasche. Es hat keinen Sinn darüber jetzt zu grübeln, es bringt mich nur um weiteren Schlaf den ich bestimmt morgen gebrauchen werde. Eng schlinge ich die Decke um mich und lege mich zurück auf meinen Schlafplatz. Recht lange bleibe ich so liegen, lausche dem Wind der mich schließlich nach lange Zeit in einen traumlosen Schlaf wiegt. 

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