14 - Das Ritual

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Ruhe ist in das Herrenhaus eingekehrt und die Sonne hat dem Mond Platz gemacht. Eisig weht der Wind die letzten Blätter von den Bäumen und teilweise auch in mein Zimmer. Dunkel liegt die Stadt vor mir, nur wenige Laternen spenden Licht und erhellen die Straßen. Sorgsam schließe ich das Fenster und sperre den Wind aus, was die Kerze an meinem Schreibtisch sanft flackern lässt. Ein Gähnen unterdrücken setze ich mich und blicke in das aufgeschlagene Buch.

„Eintrag 4

Ich habe sie gesehen, die Namenlosen, welche der König so verzweifelt versucht zu verstecken. Es sind arme Irre die umherwandern, völlig ohne Verstand. Sie wissen, dass sie einst einen Namen hatten und eine Bedeutung, doch keiner kann sich entsinnen. Es raubt ihnen den Verstand. Wie das passieren kann? Das ist leicht zu erklären. Sie alle haben sich freiwillig einem Ritual der Namensgeber unterzogen, waren ihre Novizen. Doch zu Namensgebern hat es sie nicht gemacht. Der König hat auch begriffen, was in seinen Städten vorgeht, doch aufhalten tut er es nicht. Nur sein eigenes Leben will er retten und verschanzt sich in seinem Palast. Doch wir lassen uns nicht unterkriegen! Wir werden nicht kampflos aufgeben, ich ganz besonders nicht, nun da mein Sohn endlich das Licht dieser Welt erblickt hat. Wir haben unseren Kreis gebildet, doch die Städte verschließen ihren Blick, genau wie diese schlechte Entschuldigung von einem König.

Doch die Saoirse werden uns folgen, sie haben uns ihre Hilfe zugesichert. Heute werden wir den Kreis der Nomina neu gründen und diesen Wahnsinn aufhalten!"

Seufzend lehne ich mich zurück und starre in die kleine Flamme. Was ist aus dem Wiederstand geworden? Wie kommt es, dass sich niemand an sie erinnert?

Er scheint überzeugt zu sein etwas verändern und die Namensgeber aufhalten zu können. Es muss grausam gewesen sein, mir schaudert es ja schon beim Lesen. Wie es wohl für sie gewesen ist? Ich lehne mich zurück und sehe wieder aus dem Fenster. Der Wind scheint zugenommen zu haben und leichter Schneeregen hat eingesetzt. Leise prasselt er gegen das Fenster, fast döse ich leicht ein, bis mich ein lautes Klopfen am Fenster aufschreckt. Schnell nehme ich mir meine Kerze und gehe zum Fenster. Latif hockt auf dem Fensterbrett und kräht ungeduldig. Vorsichtig öffne ich das alte Fenster und lasse den kleinen Raben reinflattern. Sofort setzt er sich auf meine Schulter und zupft an meinen Haaren. Lächelnd kraule ich ihn, bis mir ein Holzröhrchen an seinem Bein auffällt. Sanft nehme ich es ihm ab und setze mich mit ihm auf mein Bett. Ein kleiner Zettel rutsch heraus, den ich eilig aufrolle.

„Hallo Xea, ich weiß es ist schon spät aber ich bin sicher Latif wird dich wach bekommen haben. Ich will auch gar nicht lange um den heißen Brei schreiben. Es gibt eine Lösung für dein Problem mit Latif. Komm bitte sofort zu mir und nimm Ero mit. Ashiq"

Verdutzt rolle ich den Zettel wieder zusammen.

Was er wohl meint?

Rasch sammle ich meinen Umhang und Tasche auf, ganz zum Missfallen von Latif der protestierend krächzt. Mit ihm auf der Schulter gehe ich rasch zu Eros Zimmer und klopfe an.

Schon nach kurzer Zeit öffnet mir ein müder Ero die Tür und sieht mich verdutzt an. Seine Haare sind offen und stehen in alle Richtungen ab, nur das sanfte Licht meiner Kerze beleuchtet sein markantes Gesicht. Als er Latif auf meiner Schulter sitzen sieht lässt er mich schweigen in sein Zimmer. Fragend sieht er mich an und bietet Latif einen Keks an. Während der Rabe zu Ero flattert, hole ich den Brief hervor und reiche ihn Ero. Verwirrt liest er ihn durch und hält den Zettel über die Flamme meiner Kerze. Augenblicklich verzehrt die Flamme den kleinen Zettel und lässt nichts übrig.

Murmelnd zieht er sich einen Umhang über und bedeutet mir ihm zu folgen. Durch die Küche treten wir nach draußen, der Wind zerrt an unseren Mänteln und der Schnee peitscht uns erbarmungslos ins Gesicht. Nicht mal die Raben kommen hervor, so ungemütlich ist das Wetter. Wir laufen durch die Gassen und begegnen keiner einzigen Person.

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