6 - Vertraute Fremde

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Eine Nacht ist jetzt vergangen und schon vermisse ich meine Hütte.

Nicht, weil sie so gemütlich ist, denn das ist sie ganz bestimmt nicht, sondern eher, weil ich schlafen konnte so lange ich wollte.

Denn eine muntere Ria hat mich heute Morgen, noch bevor die Sonne durch mein kleines Fenster scheinen konnte, förmlich aus dem Bett geschmissen, das ich auch ja nicht verschlafe.

Lu fand das witzig, ich hingegen nicht, geschafft haben sie es trotzdem.

Und nun sitze ich hier, im Waschraum des Anwesens und lasse mir von Ria die Haare waschen. Zwar wollte ich mich vor ihr nicht entkleiden, doch nun sitze ich dennoch in dem dampfenden Wasser, das leicht nach Rosen duftet.

Hätte mir vor ein paar Tagen jemand gesagt das ich heute im Anwesen des zweiten Lords Bade, hätte ich ihn für verrückt erklärt und ausgelacht. Und doch sitze ich jetzt hier.

„Es tut mir sehr leid, kleine Lady, aber ich werde wohl den Hauptteil abschneiden müssen. Sie sind viel zu verfilzt!", beklagt sich Ria und geht ein weiteres Mal seufzend durch meine Haare. Sie versucht schon die ganze Zeit mein Haar zu entfilzen und zu kämmen doch es will ihr einfach nicht gelingen. Dafür habe ich jetzt Kopfschmerzen und keine leichten.

„Ist schon gut, dann Schneid sie einfach. Nur bitte kämme sie nicht weiter!", flehe ich sie schon fast an, was sie leise zum Kichern bringt.

„Wer schön sein will, muss leiden, so ist das nun einmal. Aber gut dann schneide ich sie halt", gibt sie seufzend auf und legt die Bürste auf einen Beistelltisch. Erleichtert atme ich aus und tauche etwas tiefer in die Wanne, sollen sie halt ab, solange sie mir bloß mit dieser Bürste fernbleibt!

Kurz kramt sie in einer der Schubladen und fördert dann eine kleine Schere zutage. Leicht wehmütig startet sie einen letzten Versuch die Knoten mit ihren Fingern zu lösen, doch gibt dann frustriert auf.

„Nun gut, dann halt ab. Schade drum", murmelt sie und beginnt meine dunklen Strähnen Stück für Stück abzuschneiden. Viel übrig bleibt von meinem schulterlangen Haar tatsächlich nicht übrig, kurz unter dem Kinn enden sie schon, als Ria fertig mit meinen Haaren ist.

Wieder geht sie durch mein Haar und diesmal halten sie keine Knoten auf. Zufrieden legt sie ihre Schere weg und beginnt meine Strähnen vom Boden auf zu fegen.

Nun doch leicht wehmütig schaue ich zu meinen Haaren runter und streife mir über den freiliegenden Nacken, daran werde ich mich erst gewöhnen müssen. Wie an so vieles anderes in diesem Haus.

„Nun, dann komm mal raus, ich habe dir hier frische Kleidung mitgebracht. Ich hoffe sie passen auch", sagt Ria und scheucht mich fast aus der Wanne raus, die auch langsam aber sicher kälter wird. Fröstelnd schlinge ich meine Arme um meinen Oberkörper, als ich aus dem warmen Wasser steige und nehme nur zu gerne das mir gereichte Handtuch entgegen.

Schnell trockne ich mich ab, wenn auch etwas unbeholfen. Es ist schon etwas länger her das ich gebadet habe oder ein Handtuch benutzt habe. Das Leben auf der Straße ist eben einfach, was solche Dinge angeht. Ich musste mir weder Gedanken darum machen ob meine Haare verfilzt sind noch nach was ich riechen soll. Und um Kleidung musste ich mich auch nicht sorgen, ich hatte ja nur meine eine. Fast schon ehrfürchtig fahre ich mit meinen Fingern über den dunklen Stoff. Tief schwarz ist er gefärbt, mit goldenen Rändern, die Farbe des zweiten Lords. Meine alte Kleidung ist hingegen braun und unglaublich grob. Und wahrscheinlich schon verbrannt, so angewidert wie Ria geguckt hat.

Dabei meinte sie es nicht böse, meine Kleider waren nun einmal alt, durchlöchert und dreckig.

Doch diese hier sind weich und sauber. Und fühlen sich so viel besser auf der Haut an als meine alte. Der Stoff schmiegt sich an meinen Körper und passt tatsächlich gut. Weder hängt es wie ein Sack an mir herunter, noch spannt es. Die Hose ist angenehm und liegt nicht eng an, ein Unterhemd aus warmer Baumwolle und eine lockere Tunika runden das ganze ab. Ich bin nur unglaublich froh, dass ich keine Kleider tragen muss, da wäre der Spaß zu Ende.

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