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Ryan ist zum Glück noch nicht da. Bisher ist es angenehm still, was sich jeden Moment ändern könnte. Ich habe nicht eine Sekunde meine Kopfhörer aus den Ohren genommen und summe leise die Melodie von High Hopes von Pink Floyd, einer der besten Bands, die es je geben wird, mit und versuche meine Wut und Genervtheit zu unterdrücken. Das Zimmer ist wie erwartet recht klein. Ryan könnte mich ganz einfach von seinem Bett aus begrabschen, während ich schlafe. Ekelhaft, bei dem Gedanken schüttelt es mich. Wagt er es sich auch nur ein einziges Mal, mich anzurühren, dann gibt es zu einer heftigen Nackenschelle eine Kastration gratis dazu. Der Rest des Zimmers sieht aus wie in jeder anderen Jugendherberge auch. Kalt und abgenutzt. Statt eines Badezimmers gibt es nur ein Waschbecken. Das heißt dann wohl Gemeinschaftsdusche, wie ich sowas verabscheue. Dann kann ich einen ausreichenden Schlaf schon mal vergessen, denn ich werde mich dort erst weit nach Mitternacht reinwagen. Was mir sofort auffällt, ist auch der fehlende Empfang, weil wir uns hier irgendwo im Nirgendwo befinden. Ringsherum sieht man nur Wald und ich habe leider nicht mitbekommen, wie weit entfernt sich der nächste Ort befindet, weil ich ja unbedingt schlafen musste.

Wie kann diese Lehrerin mich eigentlich mit einem Jungen in ein und das selbe Zimmer stecken? Es spielt doch keine Rolle, ob unsere Eltern scharf aufeinander sind oder nicht, das ändert nichts daran, dass Ryan von Testosteron gesteuert ist. Ausgerechnet davon besitzt er wahrscheinlich viel zu viel. Auf sämtlichen Schulen ist es sogar verboten, dass sich Jungen und Mädchen auf ihren Zimmern gegenseitig besuchen, besonders abends, denn es könnte ja sonst was passieren, wenn man miteinander befreundet ist. Das ist der Punkt, Ryan und ich sind absolut nicht miteinander befreundet, in keinem Leben. Aber nein, diese Schule hier muss natürlich "coole" Lehrer haben, zumindest welche, die sich dafür halten. Ganz am Anfang ging ich sogar mal auf eine Mädchenschule, keine Ahnung, was sich meine Mutter dabei gedacht hatte. Da sind die Lehrerinnen schon verrückt geworden, wenn sie aus dem Fenster einen Jungen auf dem Fußweg haben langlaufen sehen. Es war die reinste Hölle. Ich habe das Gefühl, man hatte sich das Ziel gesetzt, aus mir ebenfalls eine Nonne zu machen. Das ist wohl schön daneben gegangen.

Es gibt einen Terminplan, auf dem die Probezeiten der jeweiligen Gruppen stehen, für die man sich eigeschrieben hat. Das Ganze dient wohl dazu, alle Schüler dazu anzuregen, neue Instrumente auszuprobieren und anderen beizubringen, genauso wie neue Musikrichtungen. Die Idee gefällt mir ehrlich gesagt wahnsinnig gut, gerade weil ich so ein musikbegeisterter Mensch bin und nichts lieber tue, als mich mit ihr zu beschäftigen. Da ich Gitarre und Klavier am besten beherrsche, habe ich mich für die beiden Instrumente eingeschrieben und ich kann es kaum erwarten, bis meine Finger wieder über Seiten und Tasten fliegen. Am liebsten wäre mir das alles allerdings allein. Ich bin mein eigener Kurs.

Gerade, als ich dabei bin meine Tasche ein bisschen auszupacken, stürmt Ryan herein.
"Stalkst du mich etwa? Das hier ist mein Zimmer!", bringt er äußerst klug raus, nachdem er eine Minute verdattert im Türrahmen stand.
"Ja natürlich stalke ich dich. Weil es mir ja noch nicht reicht, dass du ein Idiot bist und wir bald zusammen leben werden, wollte ich mir schon mal eine Kostprobe holen.", entgegne ich vor Sarkasmus triefend. Das fängt doch ganz harmonisch an.
"Dir ist doch klar, dass das neulich nichts bedeutet hat?", meint er überflüssigerweise und ohne Zusammenhang.
"J,a klar. Ich bin ja nicht blöd. Aber da muss ich ganz schön betrunken gewesen sein, ich würde niemals jemanden küssen, der unter meiner Würde ist." Ausgesprochen klingt das nicht ganz so taff, wie ich es mir vorgestellt habe.
Ryan kommt auf mich zu und wirft seine Tasche ab. "Ach ja, Schätzchen? Neulich auf deinem Zimmer sah das aber noch ganz anders aus. Gib es zu, gerade in diesem Moment würdest du es doch am liebsten wieder tun." Sein Gesicht kommt immer näher. Ich sträube mich mit jeder Faser meines Körpers dagegen, etwas von der gewissen Anziehungskraft zwischen uns zu spüren, wie auch immer diese zwischen uns existieren kann, doch es ist verdammt hart. Irgendwo tief in meinem Inneren hat sich zum Glück mein Selbstwertgefühl wieder gemeldet. Ich lasse mich doch nicht von meinen dummen Hormonen beherrschenn
"Nein!", sage ich etwas zu sehr wie eine Frage formuliert. Ich dränge mich an ihm vorbei und haue aus dem Zimmer ab. Ich kann wieder normaler atmen, seine Nähe und die Angst, die Selbstbeherrschung zu verlieren, haben mich ganz schön fertig gemacht. Habe ich schon mal erwähnt, dass er mich ständig zur Weißglut bringt?

Keine Ahnung, wo ich hier letztendlich gelandet bin. Alle Musikkurse scheinen sich gerade ebenfalls hier herumzutreiben und manche starren mich an, als hätten sie meine Haare noch nie gesehen, was schier unmöglich scheint.
Ich gelange in einen Raum mit einem wunderschönem, prachtvollen Flügel. Der Raum ist ziemlich groß, aber leer. Ich gehe auf den Flügel zu und spiele ein paar Töne hintereinander. Die Akkustik ist der Wahnsinn! Da kann man gar nicht widerstehen. Mir fällt ein Klavierstück ein, dass ich mal wunderschön fand. Es heißt Weltschmerz, wenn ich mich recht erinnere und ist leider viel zu unbekannt.
"Wow!" Tyler reißt mich mit seinem Applaus aus meiner Trance, in der ich mich befinde, nachdem ich das Stück fertig gespielt habe. Erschrocken und etwas verlegen stehe ich abrupt auf und schmeiße dabei den Hocker beinahe zur Seite. Mich hört sonst nie jemand spielen und das aus gutem Grund.
"Oh, ich wusste gar nicht, dass jemand zuhört. So gut war das gar nicht.", streite ich verlegen ab.
"Machst du Witze? Das war fantastisch. Ich wusste gar nicht, dass du ein kleiner Mozart bist. Wie hieß das Stück?"
"Weltschmerz. Aber behalt das ja für dich, dass du mich erwischt hast." Er lacht und ich muss lächeln. Es klingt ehrlich und vertraut.
"Klar. Kommst du mit mir und ein paar anderen Leuten an den See?"
"Hier gibt es einen See? Ja, gerne. Ich hab aber keine Badesachen."
"Die haben wir alle nicht. Komm erstmal mit." Er reicht mir seine Hand und ich vertraue mich ihm an.

Fuck you, Bad Boy!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt