Kapitel 1

6.9K 430 43
                                    

„Verschwinde, John! Ich will dich nicht mehr sehen!"

„Mary, bitte, lass es mich erklären", flehte ich.

„Was soll ich dich erklären lassen? Dass du mich die ganze Zeit über angelogen hast?! Verdammt, John, wir wollten HEIRATEN und du rückst erst jetzt mit der Sprache heraus?" Mary sah mich kopfschüttelnd an. In ihren Augen konnte ich ihren Schmerz erkennen, doch noch größer war die Enttäuschung. Ich hatte sie wahnsinnig enttäuscht.

Ich stand draußen vor unserer Veranda und raufte mir die Haare. Mary stand in der Türzarge und schien mich mit ihren Blicken töten zu wollen.

„Mary...", versuchte ich es noch einmal, aber sie ließ mich nicht zu Wort kommen.

„Geh einfach, John. Ich möchte dich nicht mehr hier haben. Du weißt, bis wann ich morgen bei der Arbeit bin, also sieh zu, dass du alle deine Sachen hier raus geschafft hast, bis ich wieder da bin."

„Aber Mary, wir können eine Lösung finden!", versuchte ich sie verzweifelt davon zu überzeugen mich nicht gehen zu lassen. Leider erreichte ich das Gegenteil. Ich konnte zusehen, wie Mary die Zornesröte ins Gesicht stieg.

„Eine Lösung?! Willst du mich verarschen, John?! Es gibt keine Lösung!", schrie sie. Ich zuckte zusammen und sah betreten zu Boden. „Ich sage es dir ein letztes Mal, John: VERSCHWINDE!" Dann streifte sich Mary ihren Verlobungsring vom Finger und warf ihn fort. Sie hatte wohl erwartet, dass er irgendwo in einem Busch landen würde, doch ich machte schnell drei Schritte nach rechts und fing den Ring auf. Eine schlechte Entscheidung. Mary blitzte mich zornig an und wollte gerade die Tür zuschlagen, als sie auf einmal innehielt. Hoffnung machte sich in mir breit. Vielleicht hatte sie sich es doch anders überlegt?

Falsch gedacht.

„Eine Sache noch, John. Sag Sherlock, dass er sich lieber von mir fernhalten sollte. Ich kann für nichts garantieren." Mit diesen Worten ließ Mary die Tür zukrachen und ließ mich allein in der Dunkelheit stehen.

Ich war wie gelähmt. Nur wegen eines kleinen Fehlers war alles, was ich mir aufgebaut hatte wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Warum hatte ich mein gottverdammtes Tagebuch auch aufgeschlagen liegengelassen? Ich wollte nur kurz duschen gehen und über das Geschriebene nachdenken, doch Mary fand das Buch und hatte alles gelesen. Jetzt kannte sie die Wahrheit.

Schon wieder ist ein Tag ohne ihn vergangen. Es vergeht aber keiner, an dem ich nicht an ihn denke. An seine wundervollen, schwarzen Locken, die hohen Wangenknochen und seine faszinierenden, blauen Augen... Ich wäre so gerne bei ihm. Und doch bin ich hier, bei Mary. Ich liebe sie zwar, aber nicht auf eine Art, wie ich ihn liebe. Das könnte ich gar nicht. Ich werde niemals in der Lage sein, eine Frau auf so eine Art zu lieben. Ich lasse Sherlock in dem Glauben, dass ich nicht mehr mit ihm befreundet sein kann, weil es zu schmerzhaft für mich war, ihn tot zu glauben und dann nach 2 Jahren der Trauer zu erfahren, dass er doch am Leben war. Das stimmt zwar, aber der eigentliche Grund ist ein anderer. In Wirklichkeit habe ich Angst davor, wie er reagiert, wenn er herausfindet, was für Gefühle ich für ihn habe. Wenn er anfinge sich von mir abzuwenden, wäre das als würde ich ihn ein zweites Mal verlieren. Und das könnte ich nicht ertragen.

HumanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt