Kapitel 6

4.4K 351 62
                                    

Johns PoV
Ich blieb noch einige Zeit auf der Treppe sitzen. Was war gerade passiert? Mary glaubte anscheinend, dass Sherlock und ich ein Paar waren, aber musste sie ihn deswegen schlagen? Selbst wenn wir zusammen wären, könnte Sherlock doch nichts dafür, dass ich mich nicht für Mary entschieden habe.

Ich fragte mich, ob Sherlock gehört hatte, dass Mary ihn als meinen 'Lover' bezeichnet hatte. Wahrscheinlich nicht. Es war immerhin Sherlock, der es nicht einmal bemerkte, wenn ich für mehrere Stunden nicht im Haus war. In solchen Situationen war es immer so, als wäre Sherlock nur körperlich anwesend.

Doch gerade schien er sowohl körperlich als auch geistig anwesend gewesen sein. Mir war seine Gänsehaut nicht entgangen. Was mich allerdings verwirrte, war sein plötzliches Zurückstolpern.
War es Sherlock unangenehm gewesen?
Und was stand in dieser verdammten SMS, von der Mary erzählt hat?
Sie sagte ich sei in Gefahr, aber weswegen? Fragen... Nur Fragen, aber keine Antworten.
Die würde ich mir also selbst beschaffen müssen.

Ich stand auf, zog mir meine Jacke über und wollte gerade aus dem Haus gehen, als Sherlock die Treppe heruntergerast kam und sich seinen Mantel und seinen Schal schnappte.
"Kommen sie, John. Lestrade hat einen Fall für uns."
"Also, Sherlock, eigentlich-"
"Ich weiß, dass sie heute keinerlei Termine mehr haben, John."
"Ja, aber- ", versuchte ich es noch einmal, aber Sherlock war schon nach draußen gegangen und winkte ein Taxi an den Straßenrand. Kopfschüttelnd folgte ich ihm und stieg ein.

"King's Road", teilte Sherlock dem Fahrer mit.
Dann fuhren wir etwa eine halbe Stunde mit dem Taxi durch London.
"Worum geht es bei dem Fall eigentlich, Sherlock? ", fragte ich, nachdem wir aus dem Taxi gestiegen waren.
"Genaueres weiß ich auch noch nicht, aber Lestrade beschrieb die Leiche als 'sehr außergewöhnlich'
zugerichtet. "
"Und da konnten sie natürlich nicht 'nein' sagen, oder?", wollte ich wissen. Belustigt grinste ich ihn an. Sherlock konnte sich ein kleines Lächeln ebenfalls nicht verkneifen.
"Ich schätze, sie kennen mich einfach zu gut."
"Sherlock, denken sie nicht, dass es langsam an der Zeit wäre, uns zu duzen?"

Sherlock sah mich erstaunt an und ich meinte sogar einen Hauch von Freude in seinem Gesicht erkennen zu können. Er fing sich jedoch wieder schnell und antwortete in einem neutralen Tonfall : "Warum nicht? Wir sollten jetzt aber wirklich weiter, es wartet ein Fall auf uns, John." Sherlock ging voraus und ich folgte ihm immer noch grinsend.

"Da seid ihr zwei ja endlich ", begrüßte uns DI Lestrade. Wir standen vor einem kleinen Backsteinhaus, das schon etwas heruntergekommenen aussah.
Sherlock inspizierte schnell alles, was er vom Haus sehen konnte, dann wandte er sich an Lestrade. "Hatte das Opfer irgendeine Beziehung zu diesem Ort?" "Keine,die uns bekannt ist", antwortete der DI. Sherlock nickte seine Antwort kurz ab und ging in das Haus. Lestrade und ich folgten ihm.

"Die Leiche befindet sich gleich im Flur, erschrecken sie sich nicht", erklärte er mir. Zuerst wunderte ich mich über Lestrade's Hinweis, immerhin hatte ich in Afghanistan schon viele übel zugerichtete Menschen gesehen, doch als ich den leblosen Körper vor mir sah, wusste ich wieso Lestrade mich vorbereiten wollte.
Es handelte sich um eine junge Frau, vielleicht 20 Jahre alt. Sie baumelte an der Decke, die Handgelenke an Metallketten gefesselt, die fest in der Decke verankert waren. Die Frau trug keinen Fetzen Stoff mehr am Leib und ihr gesamter Körper war von Schnittwunden übersät. Der Täter schien fast keine Stelle ausgelassen zu haben. Unter ihr hatte sich eine Blutlache gebildet. Das merkwürdigste war aber eine weiße Schlange, die um den Hals der jungen Frau gewunden war.

"Heilige Mutter Gottes", sagte ich leise. "Gibt es irgendwelche Hinweise auf den Mörder? " "Leider nicht", meinte Lestrade. Kurz darauf klingelte sein Handy und er ging zum telefonieren nach draußen.

"Hast du schon etwas gefunden, Sherlock? ", fragte ich. "Aber ja, natürlich." "Und was?" "Scotland Yard sollte wirklich besser aufpassen. Hier ist ein Zettel."
"Ein Zettel?", erkundigte ich mich erstaunt.
"Was steht denn drauf?"
"'Guten Appetit, Mr Holmes'" Er überlegte einen Moment. "Das macht keinen Sinn."

Nein. Sherlock lag falsch. Es ergab durchaus Sinn. Logischer könnte es gar nicht sein. Ich spürte, wie meine Beine unter mir nachgaben. Das konnte einfach nicht sein, es durfte nicht stimmen!

"John!", rief Sherlock erschrocken. Er lief zu mir und packte mich an den Schultern.
"John, was ist los?!" Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel, als die Erinnerungen sich an die Oberfläche drängten. Die Erinnerungen an das Schwimmbad, an den Tag am Bart's.

"Oh Sherlock," flüsterte ich mit erstickter Stimme," es ist so einfach, dass selbst ich es schon erkannt habe."
"Was, John? Was hast du erkannt?" "Die weiße Schlange, Sherlock, das Märchen der Gebrüder Grimm. Der König, der so weise war, weil er jeden Tag eine weiße Schlange aß. Selbst die Straße, Sherlock! King's Road! Und jetzt, Sherlock, zähle eins und eins zusammen: wen kennen wir, der eine Schwäche für Märchen hat und fähig wäre, so eine grausame Tat zu begehen? "
Als Sherlock antwortete, war seine Stimme nur ein Wispern.
Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben.

"Moriarty."

=============================
Ich hätte nicht gedacht, dass ich es schaffe, noch ein Kapitel zu schreiben :D
Aber hier ist es! Die kleine Entschädigung für das kurze Kapitel 5.
Ich hoffe, dass es euch gefällt :)

HumanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt