Du musst!

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Pov Jenny
Seit mehreren Stunden laufen wir durch die schöne Stadt und ich bin sehr beeindruckt von dem, was mir Anja alles zeigt. Vor allem von ihrem Lieblingsplatz, an dem man sehr gut alleine sein kann.
"Weißt du Anja? Dieser Ort ist einfach magisch!"
"Deswegen habe ich ihn immer geliebt. Er scheint so leer und doch sehr lebendig", ihr etwas trauriger Blick schweift zu der Taube am Brunnen. "Hier bin ich zum Beispiel immer hingegangen, als meine Mutter mich zum Thema Fußball angemotz hatte und mein Vater in dem Moment nicht da war. Da bin ich immer mit meinem Ball unterm Arm hier her zum Bolzen gekommen. Aber auch als ich etwas älter war, in den Teeniejahren, war ich eher hier um nachzudenken. Andere haben Tagebücher oder reden mit den Haustieren, aber ich bin her gekommen und habe mit der Stille geredet. Vor allem in der Zeit, als ich merkte, dass ich nicht auf Männer stehe, war dieser Platz sehr wichtig.", genau bei dem Satz fällt mir eins ein..ihre Vergangenheit! Ist sie ein Grund dafür, wie sie ihre Sexualität auslebt?
"A-Anja?", mit sehr viel Vorsicht und Mut lege ich meine Hand auf ihren Oberschenkel und schaue sie an. Wieder sieht es so aus, als würde sie jeden Moment weinen. "Anja..ist..ist Julian ein Grund dafür, dass du nicht auf Frauen stehst?", immer noch erstarrt blickt sie mich an. "Anja, sag was...sei bitte ehrlich zu mir!"
"Ja..es liegt an allererster Stelle an ihm! Diese Bilder, sie verfolgen mich mein ganzes Leben. Immer hatte ich Angst einem Mann nahe zu sein. Angst vor den starken, machtvollen Händen, Angst vor der tiefen Stimme, Angst vor der breiten Statur. Ich hatte noch nie etwas mit einem Mann...diese Rolle hatte ich immer übernommen. Vielleicht ein Grund, warum all meine Beziehungen schnell zu Bruch gegangen sind, weil meine Exfreundinnen es nie verkraftet hatten, so behandelt zu werden, ohne den Grund dafür zu kennen.", wow...
"Willst du mir sagen, dass.."
"Ja, Jenny du bist die erste FESTE Freundin, die das erfährt. Bei dir wusste ich einfach, dass ich was richtig tue, wenn ich es dir erzähle und ich habe recht behalten. Du bist die einzige, mit der ich so offen darüber rede."
"Ich habe noch nie einen so tiefgründigen Menschen kennengelernt. Ich hätte nie gedacht, dass du so verletzlich bist, weil du immer so stark warst und BIST!", im Gegensatz zu Anja muss ich nun weinen.
"Merk dir eins! Jeder so starke Mensch, hat was schlechtes erlebt. Je stärker, desto verletzlicher ist ein Mensch. Wer noch nie verletzt oder enttäuscht wurde, braucht auch nicht stark zu sein, weil er sich vor nichts fürchten oder schützen muss.", meine Anja..meine starke Anja.
"Aber jetzt mal was anderes. Wie geht es deinem linken Bein? Ich habe dich beim Laufen beobachtet und gesehen, dass du humpelst."
"Alles gut", log ich.
"Sehe ich nicht so. Das muss angeschaut werden!"
"Anja, das ist doch ein Klacks!"
"Nichts da! Ich habe wesentlich mehr Erfahrung und weiß, wie man da vorgeht. DU MUSST ins Krankenhaus!", obwohl ich sie ja sehr gut kenne und es liebe, wenn sie mir in die Augen schaut, macht mir dieser Blick nun schon Angst. "Muss das sein?"
"Ja muss! Ich kenne hier ein gutes Krankenhaus, in dem war ich oft in jungen Jahren, man kennt mich dort sehr gut und ich weiß auch, welcher Doc das hier behandeln kann"
"Ok", ich lasse mich von ihr hochziehen, verzerre kurz das Gesicht, weil es doch sehr schmerzt und bekomme ihre Stütze. Hoffentlich laufen wir nicht den ganzen Weg zum Krankenhaus.

Pov Anja
Mit dem Bus sind wir endlich angekommen. Jenny wird sofort untersucht und ich melde sie an, ein Glück, dass wir unsere wichtigsten Dokumente immer bei uns haben. "Na Anja!", war klar, dass mich die Frau an der Information gleich erkennt, wie oft ich hier war, als ich verletzt war. "Ist das deine Freundin?", bei der Frage kann ich nur grinsen und nicke. "Wartest du, bis sie behandelt wird, oder soll ich dich als große Schwester eintragen? Eine gewisse Ehrlichkeit gibt es ja."
"Wenn man mir schon das Angebot gibt, sage ich natürlich nicht Nein. Bei meinem Alter kann man ja ruhig denken, dass ich verheiratet bin und eine kleine Schwester hab."
"Gut", sie wendet sich wieder zu den Papieren und gibt mir ein Formular zum Ausfüllen "dann kannst du zu ihr gehen, sie ist bei Dr. Weiß."
"Danke Kathrin", so heißt die Dame am Schalter.
Dr. Weiß kenne ich gut und weiß, wo sein Behandlungszimmer ist.

"Ach die große Schwester! Kathrin hat mich schon informiert, tritt ein", begrüßt mich der Doktor.
Wie erwartet wirft mir Jenny einen fragenden Blick zu und ich gebe ihr nur zu verstehen, dass ich ihr das später erklären werde.
"Was hat sie? Wie lange dauert die Behandlung? Wie lange darf sie nicht spielen? ", sofort frage ich ihm Löcher in den Bauch.
"Ach Anja...setz dich erst mal. Also", wie es für einen Arzt typisch ist, stehet er auf und läuft bedacht und etwas nervös durch den Raum. "Eine mittelschwere Bänderzerrung. Behandlung sollte eine Woche dauern, zur Beobachtung sollte sie lieber noch eine halbe Woche nach der Behandlung hier bleiben."
"Und wie ist es mit Sport? Darf sie danach wieder normal spielen?", etwas erleichtert atme ich auf, weil sie nicht all zu lange hier bleiben muss und dass es nichts ernstes ist.
"Ach das solltest du doch wissen. Als junge Spielerin bist du oft von mir behandelt worden. Glücklicherweise hattest du nie was ernstes und konntest nach 2 Wochen wieder auf den Platz. Aber jetzt zurück zu deiner Schwester. Naja etwas Schonung braucht das Bein. Am besten 1 - 2 Wochen nicht belasten.", kurz trägt er noch was in Jennys Akte und verlässt uns.
"So Mädels, ich lass euch mal alleine. Bis später Frau Cramer. Und ja nicht viel bewegen!", wir grinsen ihn an und verabschieden uns.

Jenny liegt da mit einem ausgestrecktem Bein und schaut mich fragend an. "Schwester?"
"Ja! Sonst könnte ich jetzt nicht hier sein!", komischerweise lache ich auf.
"Dann habe ich nicht nur eine tiefgründige sondern auch eine schlaue 'große Schwester'. Aber du scheinst sie hier alle zu kennen?"
"Ja, ich war hier oft in jungen Jahren.", hoffentlich kann ich sie wenigstens mit meinem Lächeln eine gute Laune bereiten.
"Ich hasse Krankenhäuser!", fluchend hämmert sie gegen das Bett und schaut mich fast böse an.
"Da musst du jetzt durch meine Liebe, auch wenns hart ist. Ich muss jetzt aber gehen, aber ich verspreche dir, ich werde dir in jeder freien Minute schreiben und dich jeden Tag besuchen", ich hebe mein Handy in die Luft und setze ein Lächeln auf.
"Warte!", gerade wollte ich gehen, aber sie hält mich auf.
"Du hast was vergessen!", ach so! Ich komme also zu ihr, beuge mich vor und gebe ihr einen innigen Kuss. "Ich werde dich vermissen, Schatz!", und das werde ich wirklich. Die letzten Wochen und Tage waren wir nur zusammen und nun fast 2 Wochen selten mit ihr zu verbringen, wird komisch sein.

Liebe siegt über das AlterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt