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„A stunning first impression was not the same thing as love at first sight. But surely it was an invitation to consider the matter.“ - Lois McMaster Bujold

F A Y E

Es war kalt. Es war bitterkalt und dazu auch noch dunkel, die Sterne wurden durch schwere Wolken verdeckt. Verflucht sei meine beste Freundin Hayden.

Eigentlich wollten wir an diesem Abend nur unser Referat für Biologie vorbereiten, aber dann musste sie ausgerechnet heute auf die Idee kommen, einen Film zu schauen. Und dann auch noch The Fault in Our Stars. Meine Augen waren immer noch gerötet. Und nun musste ich alleine im Dunkeln nach Hause laufen, durch die dunkelsten und zugegebenermaßen unheimlichsten Gassen von Chelmsford. Zitternd vor Kälte zog ich mir die Ärmel meines grauen Hoodies über die Fingerspitzen. Leider half das auf Dauer nicht wirklich - ich hätte meine Jacke mitnehmen sollen. Ich war froh, dass mich die Musik aus meinen Kopfhörern ein wenig ablenkte und ich nicht allzu sehr auf meine Umgebung achten musste.

Ich lief gerade durch die letzte Gasse bis zu meinem Haus, als mir am Gassenende zwei Gestalten auffielen. Bitte nicht. Ich hielt den Kopf gesenkt und lief so weit wie möglich auf der anderen Seite der Gasse, um hoffentlich unbemerkt und unauffällig an ihnen vorbeizukommen. Doch das stellte sich leider als nicht so einfach heraus, denn die beiden Hauswände, die die Gasse bildeten, waren nur ungefähr zwei Meter voneinander entfernt.

Als ich nahe genug an ihnen herangetreten war, konnte ich mit einem flüchtigen Blick nach oben erkennen, dass es sich um zwei Jungs handelte. Was hieß Jungs? Sie sahen aus, wie Anfang zwanzig. Das Licht der Straßenlaterne an der Ecke fiel genau auf die zwei Gestalten, sodass ich bei dem zweiten flüchtigen Blick Tattoos an den nackten Armen der beiden erkennen konnte, was mein Unbehagen noch mehr steigerte. Doch nicht nur die vielen Tattoos der beiden ließen mich innerlich zusammenschrumpfen - nein - dazu hatten sie auch Piercings im Gesicht.

Der eine braunhaarige, etwas muskulösere Typ, hatte ein Handy in der Hand, wobei das Licht sich in seinem Piercing in der Augenbraue spiegelte. Er beachtete mich nicht. Der andere, ebenfalls brünette Typ unterhielt sich leise mit seinem Komplizen, wobei sich die glühende Zigarette zwischen seinen Lippen mitbewegte.

Ich konnte - und wollte es auch ehrlich gesagt nicht - nicht hören, worüber sie redeten, da die Musik in meinen Ohren alles andere übertönte, als ich vorsichtig versuchte, mich an ihnen vorbeizuschleichen. Doch plötzlich schienen sie auf mich aufmerksam geworden zu sein, denn beide schauten auf einmal auf und starrten mich an. Ein Schauer lief meinen Rücken hinunter und ich zog augenblicklich meine Schultern ein. Warum ignorierten sie mich nicht einfach und redeten stattdessen weiter? Ihre Blicke fühlten sich unangenehm an. Meine Schritte verschnellerten sich und ich richtete meine Augen auf den Boden, mied den direkten Augenkontakt mit den beiden. Trotz alledem spürte ich ihre Blicke, die sich wie Feuer auf meiner Haut anfühlten. Meine Handflächen begannen zu schwitzen.

Als ich endlich an ihnen vorbei und rechts um die Ecke gebogen war, lehnte ich mich erleichtert gegen die kalte Mauer der Hauswand und atmete leicht zitternd tief durch. Ich wusste nicht, warum ich so eine Panik schob, aber diese beiden Männer waren mir nicht ganz geheuer und ich war froh, dass sie nichts versucht hatten. Nach ein paar Sekunden stieß ich mich von der Mauer ab und schulterte meinen Rucksack, bevor ich wieder weiter ging und in meinen normalen Schritt verfiel.

Es wechselte gerade das Lied und ich trommelte mit den Fingerspitzen auf dem Gurt meiner Tasche mit dem Takt mit. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf das Lied und summte leicht mit, achtete nicht mehr sonderlich auf meine Umgebung und die Begegnung von gerade eben war wieder so gut wie vergessen. Umso mehr erschrak ich mich, als mir plötzlich jemand von hinten an die Schulter tippte. Überrascht wirbelte ich herum, nur um dann in das Gesicht von einem der Männer aus der Gasse zu blicken. Es war der, der gerade eben noch die Zigarette im Mund hatte. Erst jetzt fiel mir auf, dass er einen Lippen- und Augenbrauenpiercing besaß. Als ich hoch in seine Augen starrte bemerkte ich verblüfft, dass er leicht verschmierten Eyeliner trug, der aber seine blauen Augen noch mehr zum Strahlen brachten und einen perfekten Kontrast herstellten.

„Du hast was verloren“, riss mich seine leicht heisere, raue, aber trotzdem sanfte Stimme aus meinen Gedanken. Sein Gesicht zierte ein leicht süffisantes Grinsen.

Peinlich berührt bemerkte ich, wie mir das Blut in die Wangen schoss und nahm hastig meine Kopfhörer aus den Ohren, um ihn besser verstehen zu können. Meine Knie wurden unter seinem Blick weich.

„W-Was...?“, stotterte ich, wusste nicht genau, was er damit meinte.

Er hob seine gepiercte Augenbraue. „Du hast deinen Schlüssel verloren“, wiederholte er und erst dann sprang mein Blick zu seiner Hand. Lässig ließ er meinen Schlüssel um seinen Zeigefinger kreisen. Meine Augen weiteten sich und ich schluckte schwer.

„Oh“, murmelte ich leise. „Danke.“ Ich wollte ihm den Schlüssel aus der Hand nehmen, doch er zog ihn in einer blitzschnellen Bewegung außerhalb meiner Reichweite.

„Hast du Angst?“, fragte der Mann vor mir und in seinen blauen Augen glitzerte ein amüsiertes Funkeln.

Mein Mund wurde augenblicklich trocken und selbst wenn ich es gewollt hätte, bekam ich kein Wort mehr heraus. Warum fragte er? Mir wich die Farbe aus dem Gesicht. Er wollte mich bloßstellen.

„N-Nein“, stammelte ich nach ein paar Sekunden, die sich wie eine halbe Ewigkeit angefühlt hatten. Aber meine Antwort hörte sich selbst in meinen Ohren nicht sehr überzeugend an und ich senkte den Blick, biss mir auf die Unterlippe. Bitte lass es schnell vorbei sein, betete ich.

Der Mann lachte leise und ich erschauderte bei diesem Geräusch.

„Na dann. Hier“, sagte er und gab mir damit, womit ich überhaupt nicht gerechnet hätte, meinen Schlüssel zurück.

Meine Finger schlossen sich um das kalte Metall und ich starrte ihn mit leicht geöffnetem Mund an.

„Louis! Kommst du jetzt, oder was?“ rief eine ungeduldige Stimme plötzlich dazwischen, die ich nach einem Blick hinter dem jungen Mann seinem Komplizen zuordnen konnte.

Der Typ - Louis - schaute mich noch einmal an, sein rechter Mundwinkel hob sich kaum merklich.

„Bis zum nächsten mal, Faye.“ Er zwinkerte und drehte sich um, lief davon und ließ mich verdutzt auf der Straße stehen.

Geschockt blickte ich ihm nach, bis er wieder in die Gasse verschwand und seine Gestalt mit den Schatten verschmolz. Ich blinzelte ein paar Mal, bis ich wieder fähig war, klar zu denken.

Woher um alles in der Welt kannte er meinen Namen? Ich schluckte. Angst breitete sich in mir aus, drang bis zu jeder Pore meines Körpers hervor. Bevor ich mir im Klaren darüber werden konnte, drehte ich mich ruckartig um und rannte schließlich den restlichen Weg nach Hause. Währenddessen schaute ich immer wieder nach hinten, weil ich mich plötzlich beobachtet fühlte.

Was war das gerade?

Und die viel wichtigere Frage - wer um alles in der Welt war dieser Louis?

Danger ↣ l.tWo Geschichten leben. Entdecke jetzt