» 24 «

847 43 11
                                    

F A Y E

Die alten Holzdielen knarzten unheilvoll unter meinen Füßen.
Ich konnte die dicke Staubschicht unter meinen Sohlen fühlen.
Vorsichtig sah ich mich um. Wo war ich hier? Leise lauschte ich. Es war nichts anderes zuhören, außer meinen Atem. Es scheint niemand anderes hier zu sein.
Mein Blick schweifte nochmal umher und ich hatte das Gefühl, schon mal hier gewesen zu sein.
Doch mir wollte nicht einfallen, wo ich nun war.
Mein Blick blieb bei einer angelehnten Holztür hängen. Vorsichtig ging ich darauf zu. Doch bevor ich die Tür überhaupt aufstoßen konnte, öffnete sie sich von alleine. Verwundert blieb ich stehen und schaute mich um.
Doch es war niemand zu sehen, der die Tür hätte öffnen können.
Wahrscheinlich war es nur der Wind, der durch die kaputten Fenster pfiff. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch setzte ich meinen Weg fort durch die Tür und betrat das Zimmer.
Es war ein schön eingerichtetes Zimmer, mit weißen, langen Vorhängen vor den Fenstern, die das Zimmer schön hell erscheinen ließen.
In der Mitte des Raumes, an die hinter Wand gestellt, stand ein riesiges Bett, mit hellrosanen Vorhängen an den Seiten. Daneben stand eine aus hellem Holz gemachte Komode, mit einem Spiegel oben darüber.
Etwas auf dieser Komode regte meine Aufmerksamkeit. Ich kniff die Augen zusammen um es besser zu erkennen, aber mehr als ein Silbernes Blitzen, konnte ich nicht ausmachen.
Neugierig schlich ich mich näher heran. Was das wohl sein mochte? Als ich direkt vor der kleinen Komode stand, sah ich mir den Silbernen Gegenstand auf der staubigen Oberfläche genauer an. Ich riss meine Augen auf, als ich erkannte, um was es sich bei dem unschuldigen Blitzen gehandelt hatte.

Um ein Messer. Um sein Messer.

Verwirrt und verunsichert runzelte ich die Stirn. Was machte sein Messer hier drinnen? Hieß das, dass auch er hier war?
Langsam streckte ich die Hand nach dem Dunklem Holzgriff aus.
Noch bevor ich es berühren konnte, ertönte ein Geräusch von Schritten hinter mir. Zwar nur ganz leise, aber es waren welche da. Erschrocken schaute ich hoch in den Spiegel, um hinter mich schauen zu können.

Doch ich fand nichts anderes, als einen alten Schrank, den ich vorher noch nicht gesehen hatte. Ich war mir nicht einmal sicher, ob der schon die ganze Zeit da stand. Ich hätte ihn doch sehen müssen?

Ich vergaß das Messer; ja sogar die vermeintlichen Schritte die ich zu hören geglaubt hatte und drehte mich zu dem Schrank um. Ehrfürchtig betrachtete ich ihn genauer. Er war groß, sehr groß sogar und aus einem dunklem Holz. Er besaß schöne, eingeschnitzte Verzierungen und die Türgriffe hatten eine goldene Farbe. Ich hatte keine Ahnung von Gold, aber ich vermutete, dass es sich um echtes Gold handelte.
Fasziniert und wie hypnotisiert lief ich mit kleinen und langsamen Schritten auf ihn zu. All meine Sinne waren nur auf diesen Schrank fixiert; wollten wissen, was sich in ihm befand. Als ich nahe genug dran war, streckte sich meine Hand von ganz alleine aus; berührten einen der zwei Türgriffe. Er fühlte sich seltsam warm an, als ob ihn vorher jemand angefasst hatte. Aber das konnte nicht sein; hier war niemand anderes als ich. Mit einem Ruck zog ich die schwere Schranktür auf. Staub rieselte auf mich hinab und ich musste anfangen zu niesen. Mein Blick glitt wieder nach oben, in das Innere des Schranks. Doch es war zu dunkel, ich konnte nicht erkennen was sich in ihm befand. Meine andere Hand suchte nach dem anderen Türgriff und zogen ihn ebenfalls auf. Das Licht, welches durch das Fenster mit den weißen Vorhängen schien, strahlte in das Innere des Schranks und machte der Dunkelheit dem garaus.

Meine Augen schweiften umher, blieben bei einem Gegenstand auf einem der vielen Regale stehen. Es war ein Augenpaar, das zurückstarrte. Erschrocken und entsetzt schrie ich auf und stolperte einige Schritte nach hinten. Ich verlor mein Gleichgewicht und flog auf meinen Hintern, nur um mich sofort wieder aufzurappeln, ohne das Augenpaar aus den Augen zu verlieren. Mit weit aufgerissen Augen starrte ich es an. Meine Atmung ging viel zu schnell und mein Puls raste.
Mit einem Mal wusste ich, wo ich war. Auch wenn es in einem anderen Zimmer war, auch wenn es ein Regal statt ein Schrank war, diese reglosen Hellblauen Augen würde ich überall wiedererkennen. Ich war in der Villa.
Ich schluckte schwer und traute mich nicht zu bewegen. Es war, als wenn diese Augen mich mit ihren Ausdruckslosen Blick an Ort und Stelle festnageln würden.
Ich spürte, wie sich die Gänsehaut über meinen Körper ausbreitete und ich anfing zu zittern. Lange stand ich nur da, unbeweglich und starrte auf das Augenpaar, das in einem Glas mit durchsichtiger Flüssigkeit schwamm. Ich wusste nicht wie lange, aber der Blickkontakt wurde unterbrochen, als ich wieder diese vermeitlichen Schritte hörte, die mich dazu gebracht hatten, hochzuschauen und den Schrank mit dem schrecklichen Inhalt zu bemerken.
Mein Kopf fuhr augenblicklich zur breit offen stehenden Tür herum. Ich bemerkte schaudernd, wie sich meine Atmung noch mehr verschnellerte, mit jedem leisen Schritt, mit dem der Fremde sich der offenen Tür näherte. Ein Schatten wurde sichtbar, der kurz vor der Tür innehielt. Mein Herz pochte wie verrückt gegen meine Brust; wartete darauf, dass der Fremde den Raum betrat. Doch wollte ich das überhaupt? Was ist, wenn er oder sie ein Mörder war? Ein Schauder lief meinem Rücken hinab. Plötzlich bewegte sich der Schatten wieder und ein Schuh war das erste, was in mein Blickfeld kam. Langsam wanderten meine Augen von den schwarzen Boots, zu der schwarzen, engen Hose, zu dem schwarzem T-Shirt, über den tattoowierten Armen, bis hinüber zu dem Gesicht des Fremden.
Ein überraschtes Keuchen verließ unfreiwillig meinen Mund, als ich ihn da so stehen sah.
"Louis?", fragte ich unnötigerweise leise, denn schließlich stand er genau vor mir.
Ein leichtes Grinsen huschte über seine Lippen, doch erreichte es seine Augen nicht.
Statt zu antworten, trat er mit langsamen Schritten näher auf mich zu. Leicht verunsichert legte ich den Kopf schief. Was tat er da? Ich hatte nicht wirklich Angst vor ihm, da ich nicht dachte, dass er mir was tun würde. Aber ich war verwirrt, weil ich nicht wusste, warum er hier war und warum er nicht antwortete, sondern nur dieses langsam unheimlich werdene Lächeln auf seinen Lippen lag.
Er schaute hinter sich, zum Schrank. Augenblicklich wanderten seine Mundwinkel ein Stück höher.
"Du hast sie also gefunden.", sagte er leise und ging auf den Schrank zu. Ich verstand gar nichts mehr.
"Weißt du... Es war harte Arbeit, sie ihren Besitzer zu entnehmen. Sehr harte sogar.", murmelte er und strich mit einem fast schon liebevollen Gesichtsausdruck, der sich im Glas spiegelte, zärtlich mit dem Finger über den Behälter.
Als ich die Worte realisierte, ging ich entsetzt einen Schritt zurück und schluckte schwer. Er war das?
"Und jetzt bist du hier. Jetzt kann ich deine haben."
Mit einem überdimensionalen Grinsen im Gesicht drehte er sich zu mir um, plötzlich mit einem Messer in der rechten Hand, das er lässig hochwarf und geschickt wieder auffing.
Geschockt starrte ich auf das Messer, analysierte seine Worte. Mein Blick huschte zu der Komode, auf der zuvor auch ein Messer lag. Doch als ich die Oberfläche des kleinen Schrankes absuchte, fand ich nicht mal die Spur eines Messers. Mein Atem stockte und mein Blick ging verzweifelt zwischen der Komode und Louis' rechter Hand umher. Das konnte doch nicht sein! Wie hätte er denn das Messer bekommen sollen? Dafür hätte er doch an mir vorbeigemusst?
Ein Atemzug an meinem Ohr ließ mich zusammenzucken und hoch schauen.
"So jung... Und so naiv...", flüsterte er in mein Ohr, der Atem prallte warm an meiner Ohrmuschel ab. Ich blieb mit vor Schreck geweiteten Augen wie erstarrt stehen, traute mich nicht zu bewegen und starrte an einem Punkt an der gegenüberliegendenden Wand.
Ich schluckte einmal schwer.
Etwas kaltes, spitzes strich zärtlich meinen Hals entlang, folgte der Pulsschlagader bis zu meinem Kiefer. Aus dem Augenwinkeln sah ich den Gegenstand aufblitzten und ein panisches Wimmern verließ unfreiwillig meinen Mund. Mir wurde in dem Moment erst so richtig bewusst, was Louis da eigentlich gerade gesagt hatte. Erst jetzt realisierte ich, dass er mir die Augen ausstechen will. Erst jetzt wusste ich: Er will mich umbringen.
Eine falsche Bewegung und das Messer könnte in meinem Hals sitzen. Mein Körper zitterte unkontrollierbar, ein Schweißfilm bildete sich auf meiner Stirn und meine Augen brannten. Was sollte ich denn jetzt machen? Ich konnte nicht mehr klar denken, die Gedanken rasten bloß in einer nicht definierbaren Geschwindigkeit.
"Bitte nicht.", flüsterte ich ängstlich, bevor ich überhaupt wusste, was ich da tat. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch, in dem Versuch, etwas ruhiger zu werden und wieder klare Gedanken zu fassen. Aber wie sollte man das bei dieser Situation schon? Ich hörte, wie Louis leise lachte. Eigentlich ein angenehmes, wenn nicht sogar schönes Geräusch, wenn ich nicht wüsste, dass er über mich lachen würde.
"Oh nein. Ich habe lange genug gewartet.", murmelte er, legte die Messerspitze unter mein Kinn und hob es hoch, sodass ich in seine Augen schauen musste. Seine Augen strahlten förmlich, als er in meine sah. Er war eindeutig ein Psychopat und das machte mir totale Angst. Denn er schien zu allem fähig.
Plötzlich würde seine Iris dunkler. So, als wenn er wütend werden würde, bloß dass das dunkler werden kein Ende mehr nehmen wollte. Entsetzt beobachtete ich, wie seine Iris komplett schwarz wurde, bis man sie nicht mehr von der Pupille unterscheiden konnte. Doch damit war es noch nicht vorbei. Im Gegenteil, die schwarze Farbe lief über den Rand seiner Iris hinaus, sie verteilte sich im kompletten weißen Teil des Augapfels; ließ ihn aussehen, wie der Teufel höchstpersönlich. Ein geschocktes Keuchen entkam meinem Mund und mein Zittern wurde noch stärker, wenn das überhaupt noch ging. Ein Schauder lief meinen ganzen Körper hinab und ich fragte mich, was hier gerade passierte. Sowas gibt es doch nicht wirklich? Das hier konnte nur ein Traum sein. Aber es kam mir alles so realistisch vor... Entschlossen schloss ich meine Augen, damit ich nicht länger in seine verunstalteten sehen musste und kniff mir mit einer Hand leicht ins Bein, darauf hoffend, dass ich gleich aufwachen würde.
Nichts passierte. Ein heiseres Lachen erfüllte die angehaltene Stille, doch ich wagte es nicht hochzuschauen.
"Das hier ist kein Traum." Ich konnte in den Augenwinkel sehen, wie er die Zähne bleckte.
"Das hier ist viel zu schön, um nur ein Traum zu sein.", flüsterte er leise, danach folgte ein schreckliches Lachen.
Ich wusste, es war vorbei. Mein ganzes Leben war gleich vorbei. Ich spürte, wie sich die erste warme Träne meine Wange hinunter bahnte. Der Gedanke daran, dass es wahrscheinlich das letzte Mal war, dass ich weinte, ließ mein Herz schmerzen. Auch wenn Weinen vielleicht nicht das schönste im Leben war, war es doch wenigstens ein Lebenszeichen. Etwas, das völlig normal im Leben war.
Die zweite Träne tropfte hinab auf den staubigen Boden als ich an meine Familie und Freunde dachte. Die schönsten Szenen und Bilder erschienen vor meinem Inneren Auge und ließen mich für einen Augenblick vergessen, dass ich sie nie wieder erleben würde. All die schönen Erinnerungen und Erlebnisse würden von heute an immer mehr Verblassen, bis keine mehr da waren. Ich wünschte, ich hätte die Möglichkeit mich noch von meinen besten Freunden zu verabschieden, mich von meiner Familie zu verabschieden. Was wäre mit Hayden? Mit Lynn und Brooke? Wie würde es Tyler ergehen? Was wäre mit meinen Eltern? Ein Schluchzen entkam ungewollt meinen Lippen. Wie war ich bloß in diese Situation gekommen? Viele weitere salzige Tränen folgten, umso mehr ich über die Personen nachdachte, die ich liebte. Eine kalte Hand berührte meine Wange und wischte die Tränen weg. Ein leises Wimmern entkam mir und ich hielt den Atem an, mein Kopf blieb gesenkt. Ich war nicht bereit, in die Schwarzen Augen meines potentiellen Mörders zu schauen. Doch ich wollte noch nicht sterben! Ich hatte doch mein komplettes Leben noch vor mir; meine erste große Liebe, meinen ersten Kuss, alles würde mir verwehrt bleiben, wenn ich ihm die Kontrolle über mein Leben in die Hand legen würde. Der Gedanke an all die Sachen, die ich noch erleben wollte, pumpte neue Energie in mein Blut, ließ es rasend durch meine Adern sausen. Ich hätte noch eine Chance. Eine klitzekleine, aber sie wäre da. Ein Versuch wäre es wert. Wenn ich es schaffen würde, schneller als er zu sein, könnte ich es hier raus schaffen. Den Gedanken, dass ich niemals schneller als er sein würde und ich nicht einmal wusste, was ich draußen tun würde, falls ich es doch schaffte, schob ich ganz weit in die hinterste Ecke in meinem Kopf. Ein Versuch war es wert. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, die Augen immer noch geschlossen und wollte mich gerade von ihm losreißen, als ein stechender Schmerz meinen rechten Oberarm durchschnitt. Schmerzerfüllt schrie ich auf und öffnete meine Augen, schaute auf meinen Arm, aus dessen Schnittwunde das dickflüssige, dunkelrote Blut floss. Ein kaltes Lachen erfüllte die Luft, während ich meine linke Hand auf die Wunde presste. Ich verzog mein Gesicht vor Schmerzen.
"Hör auf! Hör auf, bitte...", schluchzte ich leise. Langsam und Zitternd richtete ich meinen Blick auf sein Gesicht, war nicht vorbereitet auf die Intensivität seiner schwarzen Augen, die auf mich hinab schauten.
"Aber warum denn? Der Spaß hat doch gerade erst angefangen.", flüsterte er und grinste hämisch. Seine Augen wurden noch dunkler, falls das überhaupt noch möglich war. Mit einem Mal wurde mir übel, mir wurde schwindelig und ich schwankte. Mein Blick wanderte zu meinem Arm, wo eine ganze Menge Blut hinunter floss und eine kleine Blutlache auf dem Boden hinterließ. Der Gestank von Eisen stieg in meine Nase und mir wurde leicht schwarz vor Augen. Ich hatte einiges an Blut verloren. Die Panik stieg in mir auf. Würde ich jetzt doch Sterben? Meine Augenlider wurden schwerer, flatterten immer wieder zu. Keuchend nahm ich meine andere Hand von der tiefen Wunde und suchte nach irgendwas, an dem ich mich abstützen konnte. Doch bevor ich irgendetwas finden konnte, durchzuckte ein weiterer Schmerz, diesmal um einiges stärker, meinen Oberschenkel. Ich hatte nicht mal mehr die Kraft zum Schreien, bemerkte, wie mein Körper immer schwächer wurde, als ich auf den staubigen Holzboden sank. Stumm liefen die Tränen übers Gesicht, diesmal wusste ich, dass mein Ende gekommen war. Langsam öffnete ich die Augen, schaute von unten zu Louis hoch. Wie konnte das alles bloß passieren? Ich hätte ihn niemals kennenlernen dürfen. Grinsend beugte er sich zu mir hinunter.
"Irgendwelche letzten Worte?", seine Stimme klang fröhlich, fast so als hätte er eine ganz normale Frage gestellt.
Als ich nicht antwortete, sah ich, wie er sich gleichgültig wieder aufrichtete. In meinen Augenwinkeln sah ich, wie er das Messer mit beiden Händen hoch über seinem Kopf hielt. Dann raste es nach unten.

Danger ↣ l.tWo Geschichten leben. Entdecke jetzt