16. Kapitel

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Das Wochenende kam schneller als ich gehofft hatte, denn in meinem Kopf schien sich die ganze Woche lang, die unerträgliche Hoffnung aufgebaut zu haben, dass ich den Tagen mit Lucas doch irgendwie ausweichen könnte. Am Freitag in der Schule philosophierte ich nachdenklich über Ausreden nicht mitgehen zu müssen, doch da natürlich weder eine Naturkatastrophe, noch eine Entführung stattfand – ich habe mir sogar überlegt, wie ich Alec sauer machen könnte, sodass er mir eine Nacht im Krankenhaus bescheren würde – blieb mir nichts anderes übrig, als am Freitagnachmittag nach Hause zu gehen und meinen Rucksack zu packen.

„Ihr werdet bestimmt viel Spaß haben.", bestärkte Elias mich, während ich gerade einen warmen Pullover in meine Tasche legte. Mein kleiner Bruder saß schon eine ganze Weile im Schneidersitz auf meinem Bett und sah mir aufgeregt dabei zu, wie ich meine Kleidung chaotisch in die kleine Tasche stopfte. Ich hatte an diesem Tag nicht auch noch den Nerv, mir um mögliche Falten der Stoffe Gedanken zu machen.

„Genau und dann werden wir uns zu zweit auf den Weg zum Weihnachtsmann machen.", murmelte ich sarkastisch und wurde von Minute zu Minute grimmiger. Ich wollte nicht fahren und ich wollte nicht auch noch an mein Leiden erinnert werden.

„Dann könnt ihr ihm beide sagen, dass ich dieses Jahr zwei Skatebords haben möchte!", sagte der Kleine und ignorierte meinen Sarkasmus vollkommen. Wann war er alt genug geworden, um so auf meine Worte zu kontern?

Er genoss die Situation in vollen Zügen, denn sein Wochenende bot wesentlich schönere Aussichten. Als Ausgleich dafür, dass er nun volle vier Tage auf seine Geschwister verzichten musste, haben Paps und Papa ihm versprochen in den Zoo zu gehen und sogar Emma mit zu nehmen. Ich ging daher nicht weiter darauf ein und stolperte über einen anderen Teil seines Satzes: „Wieso brauchst du gleich zwei Skatebords?", fragte ich skeptisch.

„Na, weil alleine fahren langweilig ist, muss Emma doch auch eines haben, wenn sie bei mir ist.", antwortete er, als sei es das selbstverständlichste der Welt.

„Wenn Emma auch fahren möchte, können doch ihre Eltern ihr selber eins zu Weihnachten schenken.", meinte ich daraufhin nachdenklich. Normalerweise hätte mich Elias Weihnachtswunsch im Oktober reichlich wenig interessiert, doch im Augenblick brauchte ich etwas, womit ich meine Gedanken beschäftigen konnte.

Leider bekam ich Elias Antwort nicht mehr mit, denn wir wurden von Lucas unterbrochen, der ohne an die Tür zu klopfen in mein chaotisches Zimmer trat. Es war das erste Mal, dass er die Tür zu meinem eigenen Reich öffnete, seit er wieder da war und es fing jetzt schon an, mir auf die Nerven zu gehen. Er schien genauso begeistert von der ganzen Sache zu sein wie ich, doch das interessierte mich nicht.

„Papa will jetzt los.", meinte er und schaute genervt von mir zu Elias. Doch während ich mich wieder meiner Tasche zuwenden wollte, um dem ernsten Blick zu entkommen, erwiderte mein kleiner Bruder ihn mit einem breiten Grinsen. „Viel Spaß euch beiden!", sang er beinahe so fröhlich, dass ich Angst hatte, er könne mit einem zwitschernden Vogel verwechselt werden.

„Ach halt die Klappe, Kleiner.", murmelte Lucas bedrohlich, doch auch davon ließ sich der Junge auf meinem Bett nicht einschüchtern. Stattdessen hielt er dem Blick ohne Probleme stand. Wann war Elias nur so schlagfertig und, ja, erwachsen geworden?

Ich wurde beinahe sentimental bei dem Gedanken daran, dass mein kleiner Bruder langsam älter wurde, aber ich brauchte nur einen Blick auf meinen Zwilling werfen und jeder Hauch meines Glückes wurde ausgemerzt bis mein Inneres von einem dunklen Schatten überzogen war. Wenn Elias in ein paar Jahren ebenfalls anfangen würde sich wie so ein Idiot zu benehmen, dann würde er eindeutig etwas von mir zu hören bekommen.

Wer nicht kämpft, hat schon verlorenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt