22. Kapitel

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In der Schule wartete ich mehr als gespannt auf die Reaktion von Alec – wie würde er sich mir gegenüber verhalten? Würde er sich in den Pausen zu mir setzen, oder mich doch gänzlich ignorieren? Ich wusste nicht, was ich denken oder erwarten sollte und spielte in meinem Kopf tausende Szenarien durch, die sich ergeben könnten, um mich für den Fall vorzubereiten, dass eins davon zur Realität werden würde. Schließlich hatten wir einen ganzen Tag miteinander verbracht, waren auf ein Autobahnschild geklettert und haben mehrmals gegen das Gesetz verstoßen, irgendwie mussten diese Aktionen doch unsere Verbindung verändert haben – oder? Vielleicht sah Alec darin gar nichts besonderes, vermutlich interessierte es ihn nicht einmal und er würde mich auslachen, wenn er das große Schild über meinem Kopf mit meinen Gedanken las.

Doch nichts von alle dem passierte, denn die ersten Tage in der Schule fehlte Alec komplett. Vermutlich war das sogar besser so, denn so konnte er nicht sehen, wie viele Gedanken ich mir über ihn machte.

Normalerweise hätte ich gedacht, er wäre krank oder würde einfach Schwänzen, doch Emma fehlte ebenfalls und machte mit ihrer Abwesenheit meinen kleinen Bruder so verrückt, dass ich anfing zu glauben, es wäre mehr, als bloß ein harmloser Virus – ich erwischte mich dabei, wie ich mir tatsächlich Sorgen um Alec Pecht machte. Der Ausflug hatte wohl doch seine Spuren in meiner Gefühlswelt hinterlassen, denn ich sah Alec mittlerweile tatsächlich als jemanden an, um den ich mir Sorgen machen konnte – das war ja echt merkwürdig.

„Kannst du bitte mit mir zu Emma fahren? Ich mache mir echt Sorgen!", flehte Elias mich mit seinen großen Rehaugen an, denen ich keinen Wunsch abschlagen wollte. Ich hatte ihm ja sogar schon die Nummer von Alec gegeben, doch als er dort angerufen hatte, war niemand ran gegangen, was seine Gedanken nur noch weiter in Betrieb setzte – ich konnte quasi die Zahnräder seines Gehirns rattern hören, wenn er sich versuchte einen Reim auf Emmas Abwesenheit zu bilden.

„Wir können da doch nicht einfach so aufkreuzen, außerdem habe ich keine Ahnung, wo die Pechts wohnen.", versuchte ich seine Bitte ab zu wehren, ich wollte wirklich nicht, dass Alec mich als Stalker sah. Die Beiden waren gerade einmal eine Woche nicht zu erreichen, vermutlich hatte die Familie einen schlimmen Virus, der sie im Bett hielt und der es der ganzen Familie nicht möglich machte, sich bei uns oder in der Schule zu melden.

„Doch, ich weiß das! Emma hat es mir einmal gezeigt.", sagte Elias enthusiastisch und verstand nicht, wieso ich mich dagegen wehrte.

„Dann geh doch alleine da hin, du bist schließlich alt genug." Wenn er etwas von Emma wollte, wenn er nachsehen wollte, ob alles in Ordnung war, dann sollte er sich gefälligst selber darum kümmern!

„Bitte Sam! Ich will da nicht alleine hin gehen, die Gegend macht mir Angst.", flehte Elias und sah mir tief in die Augen. Er log nicht, normalerweise konnte ich erkennen, wenn mein kleiner Bruder eine Lüge erzählte – dieses Mal sagte er wirklich die Wahrheit. Seine Aussage machte mich neugierig, wo wohnten Emma und Alec? Es fielen mir nicht viele Gegenden der Stadt ein, vor denen man Angst haben könnte – aber ich traute mir nicht zu, alles hier genauestes zu kennen, vermutlich gab es tatsächlich Ecken in denen man nicht im Dunkeln alleine herum laufen wollte.

Ich erinnerte mich an Alecs Eltern, die mir beide sehr gesittet und beinahe schon wohlhabend erschienen waren, ich konnte nicht glauben, dass sie nicht in einem großen, extravaganten Haus in einer reichen Wohnsiedlung leben sollten.

„Na gut, ich komme mit. Aber ich gehe nicht mit rein!", sagte ich und entlockte meinen kleinen sorgenvollen Bruder somit ein Lächeln, das sogar verwelkte Tulpen wieder zum blühen bringen würde. Ich war neugierig geworden und was gab es da für eine bessere Ausrede, als die hilfsbereite Schwester zu spielen?

„Was wollte Elias gerade bei dir?", fragte mich Lucas, als ich mich auf den Weg in den Raum machen wollte, in dem ich die letzten beiden Stunden vor dem Wochenende verbringen musste. Es überraschte mich, dass er zu mir kam. Wir redeten sonst nie – weder zuhause noch in der Schule, doch jetzt schien es meinen Zwillingsbruder wirklich zu interessieren, was mit Elias los war. Schließlich kam der Kleine sonst nie in diesen Teil der Schule, das war zwar schon ungewöhnlich, jedoch eigentlich nicht tragisch genug, um Lucas Aufmerksamkeit auf ihn zu ziehen.

Wer nicht kämpft, hat schon verlorenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt