23. Kapitel

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„Vielleicht ist keiner Zuhause.", sagte ich zweifelnd, als Elias und ich vor der Wohnungstür standen. Auf dem Schild neben der Tür war lieblos der Name „Pecht" gekritzelt – hier wohnte Alec tatsächlich. Mein kleiner Bruder hatte neben einem Klingeln auch versucht mit Klopfen an der Tür auf sich aufmerksam zu machen, doch bis jetzt war nichts geschehen oder auch nur zu hören gewesen.

„Sie muss aber hier sein!", stieß der Kleine verzweifelt aus und klopfte demonstrativ noch ein weiteres Mal gegen das Holz vor ihm.

„Dann sind sie vielleicht in den Urlaub gefahren, oder es ist irgendetwas anderes passiert – mach dir doch nicht so viele Sorgen.", meinte ich beschwichtigend, doch Elias ging gar nicht darauf ein. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund machte er sich riesige Sorgen um Emma. Mir war zwar klar, dass er sie ziemlich gern hatte, aber so wie er sich benahm musste noch etwas anderes seine Nerven beunruhigen – was war das nur?

Meine Gedanken wurden von einem quietschen unterbrochen, das nur von einer Schuhsohle auf dem grauen Boden des Treppenhauses verursacht werden konnte – ich drehte mich sofort um und da stand er: Seine schwarzen Haare hingen verwirrt in alle Richtungen und seine eisblauen Augen fixierten mich wütend.

„Was macht ihr hier?!", fragte er verständnislos und richtete sich mit seinen Worten sowohl an mich, als auch an meinen Bruder, doch trotzdem starrte er weiterhin nur mich an. Er sollte damit aufhören, sein Blick war mir unangenehm. Ich wollte doch gar nicht hier sein und kam nur mit, um Elias einen Gefallen zu tun – wieso hatte ich nur zugestimmt?

„Emma war seit Tagen nicht mehr in der Schule, ich mache mir Sorgen.", sagte Elias und stellte sich so vor mich, dass er theoretisch von Alec wahrgenommen werden musste, doch da mein kleiner Bruder noch immer ein ganzes Stück kleiner war als ich, konnte Alec mir problemlos weiterhin direkt in die Augen sehen. Ich versuchte zu verstehen, was er damit bezwecken wollte und meinte einen Hauch von Erschrockenheit darin zu sehen, doch hauptsächlich sagte er mir mit seinem Blick nur, dass wir sofort wieder verschwinden sollten.

„Emma ist krank.", sagte er kurz und löste endlich seinen Blick von mir, um sich dem eigentlichen Grund meines Besuches zu nähern. „Mach dir keine Sorgen, okay? Nächste Woche ist sie wieder fit und ihr könnt euch wieder sehen." Alec schaffte es sogar, Elias aufmunternd anzulächeln – zu mindestens konnte man den Ansatz eines Lächelns erahnen, aber das war für ihn schon ein riesiger Fortschritt, den ich zu schätzen wusste.

„Aber kann ich sie nicht trotzdem sehen? Ich muss sie nur kurz etwas fragen.", sagte der kleine Junge mit den braunen Locken und wirkte alles andere als zufrieden. Ich verfolgte die Szene aus dem Hintergrund und das war auch ganz gut so, denn ich hatte immer noch das Gefühl, zu weit in die Privatsphäre des Jungen mit den eisblauen Augen eingedrungen zu sein und wollte es nicht noch schlimmer machen, als es eh schon war.

Alec richtete sich wieder auf, das Lächeln war seinem gleichgültigem Blick gewichen und er sagte bestimmend: „Nein und jetzt lass endlich gut sein, am Montag siehst du sie ja wieder."

Ich konnte genau erkennen, wie Elias bei diesem kalten Ton zurück wich, doch da musste er jetzt durch, schließlich wollte er unbedingt her kommen, es war seine Schuld, dass wir so dicht an Alec heran getreten waren.

Ich brauchte nur einen Blick auf Alecs Körpersprache zu werfen und schon wusste ich ganz genau, dass wir hier nicht weiter kommen würden, dass es sinnlos war, weiter nach zu fragen, dass wir genug erfahren hatten. Also griff ich nach dem Arm meines kleinen Bruders und zog den protestierenden Jungen an Alec vorbei, wir hatten schon die ersten Stufen nach untern erklommen, als Alec noch einmal das Wort erhob: „Kommt nicht wieder hier her.", flüsterte er und ich war mir nicht sicher, ob Elias ihn gehört hatte, dafür nahm ich seine Worte umso stärker wahr.

Wer nicht kämpft, hat schon verlorenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt