11. Kapitel

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Es war Montag und dementsprechend niedrig war auch meine Laune an diesem Morgen, doch die Hauptursache meiner demotivierten Einstellung war keinesfalls die Schule, sondern Lucas. Der Typ hatte tatsächlich den ganzen Morgen das Bad versperrt, sodass ich mich im Eiltempo fertig machen und dann auch noch mit ihm gemeinsam zu Schule gehen musste.

Elias fand diesen morgendlichen „Ausflug" zu dritt zwar ganz lustig und redete ununterbrochen über alles Mögliche, doch weder Lucas noch ich hatten Lust auf ihn einzugehen. Ich verstand sowieso nicht, was es unseren Vätern brachte uns alle gemeinsam zur Schule laufen zu lassen. Lucas hörte die ganze Zeit Musik durch seine Kopfhörer und ich hing meinen Gedanken nach – vermutlich hatte Paps die Hoffnung, dass ein kleiner, gemeinsamer Spaziergang unsere Probleme aus der Welt schaffen würde.

Gestern Abend hat Papa organisieren können, dass Lucas vorerst, den verpassten Stoff der letzten Wochen alleine nachzuholen sollte und wie jeder andere ab sofort die Schule besuchen durfte. Offenbar dachten alle es wäre das Beste, wenn Lucas jemanden hatte, an dem er sich orientieren konnte – mich. Daher wurde kurzerhand beschlossen, dass mein Bruder exakt die gleichen Kurse besuchen würde, wie ich. Ich kam also nicht einmal in der Schule drum herum, ihn zu sehen. Konnte mein Leben noch schlimmer werden?

Ja, das konnte es. Denn kaum hatten wir die Schule erreicht und Elias verabschiedet, entdeckte ich die vielen Augenpaare, die auf uns gerichtet waren. Mein erster Instinkt war Marie, ich dachte mir sofort, dass sie wieder etwas gegen mich gemacht haben musste, doch als mir Lucas einfiel war ich mir beinahe sicher, dass dieses Mal die ganzen Blicke nicht wegen mir eine einzige Person fixierten.

„Wer ist das denn?", hörte ich eine Gruppe Mädchen anerkennend flüstern und entdeckte mit einem Seitenblick auf den lächelnden Lucas, dass es ihm ebenfalls nicht entgangen war.

„Und hier trennen sich unser Wege.", murmelte ich unbeeindruckt und wollte die Treppen in die Schule gehen, doch Lucas hielt meinen Arm fest. „Du willst mich jetzt einfach hier stehen lassen, ich weiß doch nicht einmal wo ich hin muss!", sagte er bestimmend, doch ich dachte gar nicht daran, den Babysitter für ihn zu spielen.

„Es ist nicht mein Problem, dass du von deiner Schule fliegst und dich hier nicht auskennst. Aber so wie ich dich kenne, findest du dich sicherlich schnell zurecht.", antwortete ich garstig mit einen Seitenblick auf die Mädchen, die uns noch immer unverblümt anstarrten. Keine von ihnen würde ihm eine Auskunft verwehren – im Gegenteil, sie würden sich vermutlich noch darüber freuen. Wieso sollte ich dann also bei ihm bleiben?

„Na wenn das so ist, würde ich sagen: In der Schule tun wir so, als würden wir uns nicht kennen.", sagte Lucas mürrisch und ich nickte zustimmend. Das war einfach, da brauchten wir nicht nur so tun, denn im Grunde kannten wir uns wirklich nicht.

Mein Bruder ließ meinen Arm los und ging entschlossen auf die Mädchen zu, ich dagegen achtete nicht weiter auf ihn, sondern bahnte mir meinen Weg in die Schule, die auch ohne meinen Zwillingsbruder schon unerträglich genug war.

„Pass doch auf!", zischte mir Marie wütend zu. Offenbar hatte sie mich doch nicht komplett vergessen, denn an diesem Tag war ihre Laune so weit im Keller, dass sie es nicht auch noch schaffte, mich zu ignorieren. Was war ihr nur über die Leber gelaufen?

Ich ließ mich wortlos von ihr zur Seite schupsen und ertrug auch ihren bösen Blick wortlos. Mir war heute nicht danach, einen Streit anzufangen, den ich sowieso verlieren würde. Ich hatte im Moment schon genügend Sorgen. Die Hälfte des Schultages war schon geschafft, den letzten Rest des Tages würde ich auch noch überstehen.

„Wieso verteidigst du dich nicht?", fragte Alec als ich kurz nach dem Zusammenstoß meinen Platz im Chemieraum erreichte. Der Junge mit den eisblauen Augen hatte sich einfach so zu mir gesetzt und sprach mit mir, als wären wir Freunde, was sollte das? Ich wollte ihn wieder weg schicken, doch als ich aus den Augenwinkeln meinen Bruder erkannte, vor dem ich mich natürlich auch in diesem Kurs nicht verstecken konnte, ließ ich es zu.

Wer nicht kämpft, hat schon verlorenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt