Es vergingen ein paar Wochen, in denen ich Alec aus dem Weg ging. Seit er mich zur Rede gestellt und auf meine Narben angesprochen hatte, musste ich beinahe pausenlos mit dem Drang kämpfen, nicht wieder rückfällig zu werden. Es war eine Sucht – das hatte ich bereits zu spüren bekommen – doch dass sie mich so lange verfolgen würde, hatte ich nicht geahnt. Ich spürte die Stille und die Kälte um mich herum, sobald ich alleine war. Verließen alle aus meiner Familie das Haus, wollte ich Erlösung finden. Versteckte ich mich in der Pause vor Marie, wollte ich Erlösung finden. Ging ich alleine vom Café nach Hause, wollte ich Erlösung finden.
Es war schrecklich und das einzige, was ich dagegen machen konnte, war dafür zu sorgen, nicht mehr alleine zu sein. Also unternahm ich so oft es ging, etwas mit Becks und hatte mich sogar dazu bereit erklärt, Becks im Café zu helfen – auch wenn mir ihre Eltern dafür nicht viel zahlen konnten.
Doch dann gab es auch noch die Zeiten, in denen Becks mich nicht beschäftigen konnte und so musste ich doch wieder gegen den Drang ankämpfen. Doch heute schien das Schicksal einen guten Tag zu haben, denn Elias wurde ein Jahr älter und Paps hatte darauf bestanden, diesen Tag zu feiern.
„Hallo meine Süße!", begrüßte mich Oma und schlang ihre Arme um mich, als ich ihr die Tür öffnete. Sie hatte heute extra den Weg auf sich genommen, um ihren Enkel zu überraschen.
Herzlich erwiderte ich ihren Druck und war dankbar für das kurze Gefühl der Geborgenheit, welches sie mir schenkte. „Elias ist im Wohnzimmer, am besten du gehst gleich zu ihm.", gab ich grinsend zurück, als sie sich von mir löste. Normalerweise hasste ich Umarmungen zur Begrüßung, sie kamen mir einfach lästig und unbequem vor, doch in letzter Zeit hatte ich mich immer öfter bei dem Wunsch erwischt, in den Arm genommen zu werden. Das war schrecklich – wie alt war ich denn bitte?!
Ich wollte schon die Tür schließen und der liebsten Frau dieses Planeten ins Haus folgen, als ich zwei gestalten erkennen konnte, die unser Haus anvisierten. Emma und Alec. Seine eisblauen Augen hätte ich von überall erkannt und seine große Statur trug nicht zu seiner Diskretion bei. Mit seiner kleinen Schwester an der Hand erklomm er die Stufen und blieb erst kurz vor mir stehen, um mir in die Augen zu sehen. Ich hob meinen Blick und musterte ihn genau. Seit Wochen hatten wir kein Wort mehr gewechselt und ich hatte mir in der Schule nicht die Mühe gemacht, ihn an zu sehen – doch heute blieb mir das ganze wohl nicht erspart. Was machte er bloß hier?
Seine eisblauen Augen wirkten so kalt, wie zu der Zeit in der wir uns kennen gelernt hatten. Das warme Funkeln, das er mir in ganz besonderen Momenten gezeigt hatte, war verschwunden und das gewöhnlich arrogante Verziehen seines Mundes, ließ ihn unheimlich unsympathisch aussehen.
„Was macht er hier?", fragte ich vorsichtig und sah zu Emma. Ich hatte mir schon gedacht, dass mein kleiner Bruder sie eingeladen hatte – schließlich gehörte sie inzwischen schon fast zur Familie – doch wieso nahm sie ausgerechnet Alec mit?
„Er steht genau vor dir und würde auch lieber was anderes machen, als auf seine Schwester auf zu passen.", knurrte er und schob sich selbst, sowie seine kleine Schwester an mir vorbei, um ins Haus zu gelangen.
„Klar, komm rein.", murmelte ich sarkastisch, als ich die Tür etwas stärker als notwendig hinter ihm schloss. Warum musste er auf Emma auf passen? In meinen Augen war sie ziemlich stark für ihr Alter und brauchte sicherlich keinen persönlichen Beschützer mehr – vor allem nicht, wenn sie in das Haus ging, in dem sie in den letzten Wochen mehr Zeit verbracht hatte, als in ihrem eigenen.
Auch wenn ich nicht wusste, warum Alec Pecht sich so merkwürdig aufführte, war ich mir einer Sache ziemlich sicher: Er sollte wieder verschwinden! Ich hatte mir den Tag, an dem das Haus voll mit meiner Familie sein würde und mich somit vor der Einsamkeit bewahrte, schon seit einer halben Ewigkeit rot im Kalender angestrichen – das ließ ich mir definitiv nicht von diesem Idioten gefallen!
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Wer nicht kämpft, hat schon verloren
Novela JuvenilSamantha kann eine Sache besonders gut: Ihre Gefühle verstecken. Wie soll sie auch sonst mit den Schikanen in der Schule fertig werden? Doch das ändert nichts daran, dass sie alleine ist und niemanden hat, an den sie sich wenden kann. Irgendwann tri...