„Willst du ein Handtuch haben?", fragte Alec, als wir komplett durchnässt die Tür zu seiner Wohnung erreichten. Es hatte so plötzlich und so stark zu regnen angefangen, dass es ein Wunder war, dass wir an der glitschigen Metalltreppe nicht abgerutscht waren. Wir hatten uns natürlich sofort auf den Weg zur Hochhaussiedlung gemacht, doch gegen den Regen hatten wir uns nicht wehren können. Er hatte uns eingeholt und mich bis auf die Unterwäsche durchnässt. Selbst die Leute vom Spielplatz waren verschwunden. Unwillkürlich musste ich anfangen zu lachen, als ich an mir herunter sah. Meine Hose klebte an meinen Beinen und meine Schuhe quietschten bei jedem Schritt. Wie hatten wir dieses riesige Gewitter nicht kommen sehen können?
„So lustig finde ich das jetzt nicht.", sagte Alec wenig ernst und konnte sich ein schmunzeln nicht verkneifen, als er mir ein kleines Handtuch reichte, mit dem ich wenigstens mein Gesicht abtrocknen konnte.
Er verschwand schnell hinter der Tür seines Zimmers und ließ mich somit unschlüssig in im Wohnzimmer stehen. Sollte ich jetzt hinter ihm hergehen? Aber er hatte nichts gesagt, also blieb ich einfach stehen. Irgendwie war die Situation ziemlich suspekt – ich stand klitschnass ausgerechnet in der Wohnung von Alec. Wie hatte das passieren können?
„Hier, die werden dir zwar zu groß sein, aber immerhin kommst du dann aus den nassen Sachen raus.", meinte der Junge mit den eisblauen Augen als er aus seinem Zimmer kam und mir einen Stapel Kleidung reichte.
„Das ist ja wie beim letzten Mal.", scherzte ich, um meine Unsicherheit zu verbergen, doch Alec schien das Ganze nicht halb so lustig zu finden, wie ich erhofft hatte. Okay, beim letzten Mal saß ich auch heulend im Badezimmer und er musste mir beim Anziehen seiner Kleidung helfen, da ich meine Schulter nicht bewegen konnte – vielleicht war das tatsächlich nicht mein bester Witz.
Also nahm ich dankend die Sachen entgegen und flüchtete quasi ins Badezimmer. Was war nur los mit mir? Ich fühlte mich auf einmal so unsicher in seiner Gegenwart und war erleichtert, über die Fluchtmöglichkeit. Mir wurde einmal mehr bewusst, wie einschüchternd Alec auf Menschen wirken musste – er war groß und breit gebaut, ohne übertrieben trainiert auszusehen, dazu die pechschwarzen Haare und die gruseligen eisblauen Augen – kein Wunder, dass ihn alle für gefährlich hielten.
Ich zog mir trotz allem den großen schwarzen Pullover, der so unverkennbar nach Alec roch, über den Kopf und schlüpfte in die Jogginghose, die ich an den Hosenbeinen mehrmals umschlagen musste, um nicht auf dem Saum zu treten. Mal abgesehen von dem Unbehagen, welches mich noch immer umfing, war es ein großartiges Gefühl, etwas an meinem Körper zu tragen, was mir zu groß war. Normalerweise hatte ich immer nur das Problem, dass die Kleidung anderer zu eng an meinem Körper lag, doch in diesem Augenblick fühlte ich nur den weiten Pullover der meine Arme samt Händen verbarg.
„Zum Glück bist du so groß!", meinte ich, als ich aus dem Badezimmer trat und lenkte mit diesen Worten Alecs Aufmerksamkeit auf mich. Er musterte mich wortlos von oben bis unten und biss sich auf die Lippen, um ein Lachen zu vermeiden – doch sein Grübchen konnte ich trotzdem sehen. Es war ein schöner Anblick.
„Ich glaube das hat mir noch nie jemand gesagt." Jetzt konnte sich Alec nicht mehr zurück halten und lachte herzlich. Ich stieg mit ein, denn ich sah wirklich lächerlich aus. Seine Kleidung hing von mir herunter, da ich sie nicht annähernd ausfüllte, doch ich genoss das Gefühl in vollen Zügen.
„Meistens haben Mädchen Angst vor mir, wenn sie nicht gerade betrunken sind, oder zu meiner Familie gehören.", sagte Alec, als er sich wieder beruhigt hatte – schmunzelte jedoch immer noch.
„Meistens werden Mädchen nun mal ziemlich abgeschreckt, wenn sich Typen die ganze Zeit prügeln.", hörte ich mich lachend sagen. Mir fehlte die Kontrolle, denn die Worte flossen über meine Lippen, noch bevor ich sie in meinem Kopf durchdacht hatte. Unterhielt ich mich gerade tatsächlich scherzhaft mit Alec Pecht?! Irgendetwas lief hier gewaltig falsch, doch ich wollte nicht, dass es aufhörte.
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Wer nicht kämpft, hat schon verloren
Teen FictionSamantha kann eine Sache besonders gut: Ihre Gefühle verstecken. Wie soll sie auch sonst mit den Schikanen in der Schule fertig werden? Doch das ändert nichts daran, dass sie alleine ist und niemanden hat, an den sie sich wenden kann. Irgendwann tri...