„Fragst du dich nicht, was passiert ist? Wieso hast du mir so geholfen, ohne den Grund zu wissen?", fragte ich unverbindlich, als wieder etwas Ruhe zwischen uns eingekehrt war. Er hatte noch nicht einmal versucht unser Gespräch auf mein plötzliches und verstörendes Auftauchen zu lenken, doch ich konnte die ganze Zeit über nichts anderes denken. Ich hatte meine Beine angezogen und mich gegen die Wand am Kopfende gelehnt, während Alec noch immer Unbehagen am Fußende saß und genügend Abstand zwischen uns wahrte.
„Doch, natürlich tue ich das. Aber ich gehe stark davon aus, dass du nicht einfach so hier aufkreuzt und mir weinend in die Arme fällst. Außerdem sind deine Blessuren unübersehbar.", meinte er und drehte sich zu mir. „Ich hoffe dir ist klar, dass du drüber reden kannst, wenn du willst."
Und auf einmal konnte ich mich nicht mehr zurück halten. Ich hatte nicht erwartete, dass Alec so verständnisvoll sein würde – hatte nicht geglaubt, dass der Junge mit den eisblauen Augen auch eine warme Seite in sich trug, die nicht seiner kleinen Schwester galt. Doch genau das war er in diesem Moment: Warm und verständnisvoll. „Ich war gestern bei Robin.", fing ich leise an, aber schaffte es nicht Alec dabei in die Augen zu sehen. Er dagegen schien seinen Blick gar nicht mehr von mir abwenden zu können. Zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine Sorgenfalte gebildet – als würde er schon ahnen, worauf ich heraus wollte.
Ich schloss meine Augen und überlegte für einen Moment, ob ich Alec wirklich einweihen sollte – aber ich spürte selber, dass die Worte meinen Mund sowieso verlassen würden, egal wie ich entschied. Ich musste einfach darüber reden: „Er hat schon seit ein paar Wochen Andeutungen gemacht, dass er mehr wollte." Meine Wangen finden an zu glühen – ich hoffte inständig, dass Alec nicht nachfragen würde, was ich mit ‚mehr' meinte. „Aber ich wollte nicht – noch nicht, auch wenn das komisch ist." Ich biss mir auf die Unterlippe und starrte weiterhin auf meine Knie, die ich an meine Brust drückte. Vermutlich war ich inzwischen rot wie eine Tomate, doch noch immer hatte ich kein Lachen aus Alecs Richtung gehört. Also redete ich weiter: „Und dann hat er mich gestern zu sich aufs Bett gezogen und mich geküsst. Zuerst war alles gut, doch irgendwann hat er einfach meine Arme festgehalten, sodass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Ich habe ihm immer wieder aufgefordert mich gehen zu lassen, doch er hat seinen Griff nicht gelockert." Die Erinnerungen strömten wieder auf mich ein und ich fühlte die Hilflosigkeit des Moments ein weiteres Mal. „Du solltest dich wirklich glücklich schätzen, bist ja schließlich kein Mädchen, das es sich leisten kann wählerisch zu sein.", hörte ich Robins Worte in meinen Gedanken wiederhallen. Es sollte aufhören, ich wollte mich nie wieder so hilflos fühlen. Doch innerlich wusste ich, dass er recht hatte.
Zu meiner Überraschung ergriff Alec das Wort: „Ist mehr passiert?", fragte er gepresst und ich überwand mich, einen Blick auf ihn zu werfen. Noch immer saß er am Ende des Bettes zu meinen Füßen, doch seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt und er presste seine Zähne aufeinander. Alec war sauer. Sein Blick traf meinen und auf einmal wusste ich, was er mit seiner Frage bezwecken wollte, verstand, was er da andeutete.
„Nein.", antwortete ich bestimmend. „Zumindest nicht das was du jetzt denkst. Ich habe ihm vorher einen Triff in die Gegend verpasst, die wirklich weh tut und dann bin ich raus. Und das ganze ohne Schuhe." Der letzte Teil mit meinen fehlenden Schuhen sollte witzig klingen. Ich versuchte dabei ein wenig zu lachen und hoffte, dass Alec auch dieses Mal darauf einsteigen würde, doch leider schien er andere Pläne zu haben.
„Du musst zur Polizei gehen, Sami. Der Mistkerl hat versucht dich zu vergewaltigen!", sprach er und ich merkte, wie ernst er es meinte. Doch nichts lag mir weniger am Herzen, als ein Besuch bei der Polizei. Es war schließlich nichts passiert.
„Das werde ich nicht machen, es ist nichts geschehen.", antwortete ich ernst und Alec nickte. Er versuchte erst gar nicht mich eines Besseren zu belehren.
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Wer nicht kämpft, hat schon verloren
Teen FictionSamantha kann eine Sache besonders gut: Ihre Gefühle verstecken. Wie soll sie auch sonst mit den Schikanen in der Schule fertig werden? Doch das ändert nichts daran, dass sie alleine ist und niemanden hat, an den sie sich wenden kann. Irgendwann tri...