„Was war das gerade?!", fragte ich außer Atem, als ich Emma im Treppenhaus endlich eingeholt hatte. Sie war vor mir weg gelaufen, sobald sich die Tür zwischen uns und Alecs Wohnung geschlossen hatte und schien mich keinesfalls aufklären zu wollen.
„Emma, verdammt!" Ich hielt ihren Arm fest umklammert, damit sie nicht wieder weg lief, doch als sie unter meiner Berührung zusammen zuckte, ließ ich sofort erschrocken los. War Alec nicht der einzige seiner Familie, der Berührungen so sehr hasste? Ich konnte genau in ihr verletztes und ängstliches Gesicht sehen, also fügte ich weniger energisch, aber dafür um einiges freundlicher ein „Bitte." hinzu. Sie musste mir einfach erklären, was da gerade vorgefallen war – ich musste es wissen!
Immer wieder erinnerte ich mich daran, wie verzweifelt Alec auf meiner Mailbox geklungen und wie verletzt er in dem Augenblick ausgesehen hatte, als seine Eltern wieder aufgetaucht waren. Es fühlte sich alles so unglaublich falsch an, dass mein Unterbewusstsein einen Haufen schrecklicher Geschichten erfand, die sein verhalten erklärten – ich brauchte Emma, um mich davon zu überzeugen, dass sie nicht wahr sein konnten. Verdammt, was ging hier ab!?
„Es ist nichts.", meinte Emma, wenig überzeugend. Ihre hellen blauen Augen wurden von unübersehbaren Augenringen geschmückt, als hätte sie in der letzten Nacht nicht geschlafen, und ich konnte genau erkennen, wie sich eine Tränenschicht auf ihnen gebildet hatte.
„Warum warst du bei mir zuhause?", fragte die Kleine, als wir eine Weile schweigend nebeneinander her gegangen waren. Da ich Paps nicht erreichte, waren wir gezwungen den Weg zu Fuß zu bestreiten. Ich hatte es irgendwann aufgegeben, denn wenn ich eines gelernt hatte, dann das dieses Mädchen schweigen würde.
„Ich hatte das Gefühl, dass Alec eine Freundin brauchen konnte und dann hat uns der Regen überrascht." Ich deutete auf die Alecs Kleidung, die mir noch immer wie ein Sack von dem Körper hing und meine breiten Kurven bedeckte. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich immer noch Alecs Geruch darauf verspüren.
„Bist du seine Freundin?", fragte sie weiter und irgendwie wunderte mich, dass sie sich so viele Gedanken darüber machte.
„Ja, aber nicht seine feste Freundin, sondern nur eine Freundin.", beantwortete ich ihre Frage schnell und fragte mich gleichzeitig, was Alec wohl an meiner Stelle sagen würde. Würde er uns ebenfalls als Freunde bezeichnen? Heute Nachmittag hätte ich ohne Umschweife zugestimmt, doch nun war ich mir nicht mehr sicher. Sein Blick sprach Bände und irgendwie wusste ich, dass er den heutigen Tag bereute.
„Woran erkennt man denn den Unterschied? Ist das nicht das gleiche?" Warum hatte ich so langsam das Gefühl, dass es gar nicht mehr um mich und Alec ging? Emma ging einfach weiter und starrte geradeaus ohne mich eines Blickes zu würdigen, doch sie knetete ihre Finger. Genau das gleiche tat auch Alec, wenn ihm Unbehagen war – eine Angewohnheit, die sie sich wohl bei ihrem großen Bruder abgeschaut hatte.
„Naja, ich denke, wenn man fest mit jemand zusammen ist, dann sollte diese Person einem mehr bedeuten, als alles andere. Man küsst sich und will jede freie Minute miteinander verbringen.", sagte ich und versuchte sicher zu klingen. Aber in Wahrheit hatte ich absolut keine Ahnung, von was ich hier sprach. Mein einziger Vergleich war die Sache mit Robin und die wollte ich so schnell wie möglich vergessen, außerdem zweifle ich daran, dass wir überhaupt jemals zusammen waren. Mir kamen wieder Bilder in den Sinn, in denen er anfing mich überall zu berühren und mir wurde schlecht.
„Also ist, bis auf das Küssen, alles genau wie mit einem besten Freund.", schlussfolgerte Emma leise und fing an ihre Finger noch stärker zu kneten. Sie war unheimlich unsicher und ich fragte mich, ob mehr zwischen ihr und Elias vorgefallen war. Offenbar beschäftigte die Kleine dieses Thema ziemlich stark, dabei war sie doch gerade einmal Zehn – ich wusste nicht, ob ich es süß oder übertrieben finden sollte. Aber irgendwas an ihren Worten ließ mich trotzdem in meine Gedanken abdriften.
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Wer nicht kämpft, hat schon verloren
Ficção AdolescenteSamantha kann eine Sache besonders gut: Ihre Gefühle verstecken. Wie soll sie auch sonst mit den Schikanen in der Schule fertig werden? Doch das ändert nichts daran, dass sie alleine ist und niemanden hat, an den sie sich wenden kann. Irgendwann tri...