Chapter 38

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Heute waren die Abschlussprüfungen. Die letzten Wochen hatte ich fast ausschließlich mit Trainieren und Lernen verbracht und ich hatte auch das Gefühl gut vorbereitet zu sein. Trotzdem war ich sehr aufgeregt und hatte so ein komisches Ziehen im Bauch, doch ich schenkte dem nicht weiter Beachtung und wiederholte alle möglichen Formeln, Gleichungen, Definitionen und so Zeug im Kopf.

Genau 15 Minuten vor acht Uhr wurden wir in den Prüfungsraum gelassen und uns wurden die Regeln und Sonstiges zu den schriftlichen Prüfungen erklärt. Um exakt acht Uhr durften wir die Prüfungsunterlagen öffnen und anfangen. Viele der Aufgaben konnte ich mit Leichtigkeit lösen und ich war gerade bei den Trigonometrieaufgaben angekommen, als plötzlich die Tür aufging und eine Person hereinkam. Sie flüsterte der Betreuungsperson etwas zu, was ich nicht verstehen konnte und ging dann wieder nach draußen. Schnell wandte ich mich wieder der Rechnung zu.

„Charlie. Bitte unterbreche deine Prüfung. Draußen wartet die Leiterin auf dich."

Verwirrt sah ich hoch, schloss aber meine Unterlagen und ging leise hinaus um die anderen nicht zu stören.

Vor der Tür wartete tatsächlich Josefine und sie kam sofort auf mich zu, sobald ich aus dem Raum draußen war.

„Charlie. Es tut mir wirklich sehr leid, dass wir dich jetzt bei deinen Abschlussprüfungen unterbrechen mussten, aber es gibt ein Problem. Mit Blair."

Sofort horchte ich auf. Was ist mit Blair?

„Ist ihr etwas passiert?", fragte ich leicht panisch.

„Ihr nicht direkt, aber anscheinend einem guten Freund von ihr. Tyler. Ich weiß nicht, ob du ihn kennen gelernt hast, während du dort warst. Auf jeden Fall ist sie vollkommen fertig, seit Wochen schon. Sie sagt kein Wort, außer dass sie dich sehen möchte. Wir hätten dich nicht geholt, wäre es nicht so ernst. Das Privatjet steht schon bereit."

Schnell packte ich meine wichtigsten Sachen in eine Tasche und lief dann zum Flugplatz.

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Den ganzen Flug über hatte ich mich auf Blair vorbereitet. Hatte mir überlegt was ich sagen könnte, war verschiedene Szenarios durchgegangen, aber niemals hätte ich erwartet, was ich erblickte als ich ihr Zimmer betrat. In dem großen Himmelbett lag eine vollkommen geisterhafte Erscheinung von Blair. Sie war blass, hatte dunkle Ringe unter den Augen und ihre Wangen waren eingefallen. Würde ich nicht ihre Brust sehen, die sich hob und senkte, würde ich glauben sie wäre tot. Sie bewegte nur leicht den Kopf, als sie bemerkte wie ich eingetreten war.

„Blair!", keuchte ich entsetzt und ging aufs Bett zu, „Was ist passiert?!"

„Tyler.", flüsterte sie fast kaum hörbar. Vorsichtig, strich ich ihr die Haare aus dem Gesicht.

„Erzähl mir was passiert ist", bat ich sie.

Ich krabbelte zu ihr ins Bett und setzte mich neben sie.

„Vor drei Tagen hatte er einen schweren Unfall. Der Wagen in dem er saß wurde von einem Zug gerammt. Der Fahrer hat die Bahngleise übersehen. Das Auto wurde mehrere Meter vom Zug mitgenommen, bis er endlich stehen blieb. Der Fahrer starb noch am Unfallort wegen zu schweren inneren Verletzungen. Tyler hat gerade noch überlebt, aber sein linker Arm war ziemlich zerfetzt. Die Ärzte haben versucht ihn so gut wie es geht zu flicken, haben ihm sogar einen Nerv eingesetzt. Aber keiner weiß ob er ihn jemals wieder benutzen kann. Außerdem hatte er auch ziemlich schwere Verletzungen und er wurde 9 Stunden lang operiert. Er lebt noch, allerdings ist unter der Operation sein Herz stehen geblieben und sein Gehirn war eine Zeit lang ohne Sauerstoffversorgung, deshalb liegt er liegt noch im Koma. Die Ärzte können noch nicht sagen ob er jemals wieder der Alte sein wird."

Erst als ich spürte wie Blair mit ihrer Hand meine Wange streichelte, merkte ich, dass ich weinte. Auch Blair hatte Tränen in den Augen. Plötzlich merkte ich wie knochig ihre Hand eigentlich war. Und auch ihr restlicher Körper. Die Schlüsselbeinknochen stachen stark hervor und die Jeans die sie anhatte hing nur noch an ihr. Blair hatte doch gesagt, der Unfall war nur wenige Tage her? Plötzlich erinnerte ich mich an das, was Josefine gesagt hatte, als sie mich aus den Prüfungen geholt hatte: 'Auf jeden Fall ist sie vollkommen fertig, seit Wochen schon.'

„Blair. Wie lange hast du schon nichts Vernünftiges mehr gegessen?"

Sie zuckte bloß die Schultern und doch konnte ich mir die Antwort schon denken. Ich musste mich zusammen reißen um nicht erschrocken aufzukeuchen.

„Komm steh auf."

Ich half meiner Freundin beim Aufstehen und stützte sie bis wir im Badezimmer waren. Sie wirkte unglaublich zerbrechlich. Sie setzte sich auf den Klodeckel und ich half ihr beim Ausziehen ihres Shirts und ihrer Hose. Mit Unterwäsche stelle ich sie unter die Dusche und wusch ihr die Haare und sonstigen Schmutz vom Körper. Als sie wieder sauber war legte ich ihr frische Unterwäsche und Klamotten hin und wartete dann, bis sie sich angezogen hatte. Ihr Körper war schrecklich abgemagert und sie bestand fast nur noch aus Haut und Knochen.

Während auf dem Weg zu ihrem Bett zurück stütze ich sie, weil ich Angst hatte sie könnte durch das Gewicht ihres eigenen Körpers zusammenbrechen. Vorsichtig deckte ich sie wieder zu und strich ihr übers Haar.

"Ich bin gleich wieder da", flüsterte ich, doch sie nickte nur und starrte auf irgendeinen Punkt an der Wand.

Ich ging hinunter in die Küche, beachtete keinen, ich war nur darauf fokussiert Blair einen Smoothie mit so vielen Vitaminen wie möglich herzurichten. Dazu nahm ich eine Packung Kekse mit zu ihr nach oben.

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"Komm Blair, iss!", redete ich ihr gut zu, doch sie schüttelte nur stur den Kopf und presste die Lippen aufeinander. Ich atmete einmal tief durch und versuchte es noch einmal. Und noch einmal und noch einmal und noch einmal. Als sie dann nach dem zwanzigstem Mal immer noch nicht ihren Mund öffnete, riss mir der Geduldsfaden. Ich stellte die Kekse und den Smoothie beiseite und stand vom Bett auf, ehe ich zischte: "So, Blair! Jetzt reicht es mir! Deine Mutter und alle anderen sagen vielleicht nichts dazu, aber ich sehe mir das nicht mehr länger an! Du schadest dir selbst! Du zerstörst dich selbst! Und für was?! Für Tyler? Meinst du Tyler wacht davon wieder auf? Meinst du es hilft ihm in irgendeiner Art und Weise?! Ich denke nicht! Und wenn er wieder aufwacht, und ja ich bin davon überzeugt dass er das tut, und dich so abgemagert sieht, wird es ihm nicht besser gehen! ALSO SEI EINMAL IN DEINEM LEBEN NICHT SO VERDAMMT STUR UND LASS DIR VON MIR HELFEN!"

Ich wollte nicht schreien, wirklich nicht, aber wenn ich mich einmal in Rage geredet hatte, konnte ich nicht mehr aufhören.

Ein paar Sekunden starrten wir uns einfach nur an und plötzlich streckte sie ihre Hand nach dem Smoothie und den Keksen aus. Schnell war ich wieder bei ihr und half ihr wo ich konnte. Aufmunternd lächelte ich sie an und beobachtete sie, wie Blair tapfer einen Schluck nach dem anderen tat.

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