Kapitel 46: You've never cried

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Ambers Sicht

Inzwischen waren drei Wochen vergangen und mit diesen drei Wochen eine Menge mehr.

Nash hatte den Schuss überlebt.

Seine Blutungen und die Verletzung waren zwar stark gewesen, jedoch konnten die Notärzte so schnell handeln, dass sich sein Tod noch im letzten Moment verhindern ließ, da die Kugel nicht direkt in sein Herz traf. Glück im Unglück, meinte der Doktor. Er lag noch einanhalb Wochen im Krankenhaus und ich besuchte ihn jeden Tag.
Jedes Mal nach der Schule, lief ich zum Bäcker und brachte ihm zwei Croissants mit, weil er das Essen im Krankenhaus so unfassbar hasste. Kein Wunder. Außer das Eis, gab es da auch nichts wirklich Essbares.
Jedesmal, wenn ich das Zimmer betrat, er in seinem Krankenbett lag und aus dem Fenster starrte, versetzte es mir einen neuen Gewissensbiss im Magen. Er hatte für mich beinahe sein Leben geopfert. Sein verdammtes Leben! Welcher Volltrottel macht denn sowas?

Pablo wurde wegen Diebstahl, Versuch eines Mordes und einer Geiselnahme unmittelbar zu acht Jahren Haft verurteilt.
Ich mag auch garnicht mehr an ihn denken. Geschweige denn an irgendwas, dass mit diesem Vorfall zu tun hatte.
In der Schule wurde uns ein persönlicher Schulpsychologe freigestellt, der unser psychisches Trauma betreuen sollte. Was fürn Quatsch. Von uns hatte niemand ein Trauma oder sonstige Störungen bekommen!

Naja. Außer Lucy vielleicht. Die lief jetzt immer mit hochgeschlossenen Rollkragenpulli und Kreuzketten durch die Schule.
Das mit Nash war nämlich allein Gottes Werk, meinte sie immer.

Cameron verbrachte auch einige Nächte im Krankenhaus, jedoch kam er bis zu den Herbstferien nicht mehr zur Schule. Er ignorierte sämtliche Nachrichten und Anrufe, von mir. Anne sagte, er würde sich noch ein wenig von dem Schock erholen müssen.
Das war unter anderem auch ein Grund, weshalb die Reise nach Paris von unseren Familien auf die Winterferien verlegt wurde.

Keiner von uns hatte seit dem Vorfall mehr Kontakt zu Cameron gehabt, außer Carrie. Sie telefonierte oft mit Cameron und er erzählte ihr immer dasselbe:
"Ja, mir geht es gut."
"Nein, ich brauche keine Hilfe."
"Ich bin nur erschöpft."
"Nach den Ferien komme ich wieder."
"Tschüss."

Auch, wenn ich seine Sätze nur von Carries Erzählungen kannte, fehlte mir seine Stimme. Ich wusste nicht wieso, aber etwas sagte mir, dass es ihm ganz und garnicht gut ging...

***

Inzwischen war die zweite Woche der Herbstferien angebrochen und ich und Jake saßen in der Hollywoodschaukel seiner offenen Veranda. Es war nicht besonders kalt, jedoch auch nicht so warm, dass es möglich war, mit T-shirt und kurzer Hose herumzulaufen.
Ich wollte es fast nicht zugeben, doch ich hatte Californien tatsächlich vermisst. Kaum zu glauben, wenn man bedachte, dass ich diesen Ort zuvor verhasst hatte.

Jake hatte in der Zeit, in der ich nicht anwesend war, auch eine Feststellung gemacht: Er musste die Sache mit der Homosexualität seinen Eltern sagen.
Doch bevor er das tat, wollte er die Schule beenden.
Ich war zufrieden mit seiner Entscheidung und dem verständlichen Kompromiss mit seinem Gewissen. Bevor seine Gefühle zum anderen Geschlecht ihn nicht erdrücken sollten, war doch alles in Butter.

Ich ließ meinen Blick über den weißen Sandstrand vor uns streifen und schlürfte gedankenverloren an meinem heißen Tee, während Jake mich alle drei Minuten mit wilden Fragen bombardierte.

"...und was hast du dir gedacht, als Nash vor dir lag? So kurz vorm Sterben?"

Ich überlegte nicht lange.

"An... gar nichts." Beziehungsweise, ich konnte mich an nichts mehr von meinen Gedanken und Emotionen erinnern. Emotionale Verdrängung hatte Mrs Peach, meine Schulpsychologin, immer gesagt. Völlig normal in meinem Zustand.

California Boys (Magcon FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt