{ 26. Kapitel }

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Den zerknüllten Zettel fest in meiner Hand haltend, folgte ich dem Weg, der mich durch das kleine Wäldchen wieder zum Hauptgelände der Akademie bringen würde. Die Baumreihen zu beiden Seiten begannen sich bereits ein wenig zu lichten, als ich schließlich unwillkürlich stehen bleib und mich umsah. Skeptisch kniff ich meine Augen zusammen, doch hinter mir war weder etwas zu sehen, noch  zu hören. Lediglich das Vogelgezwitscher über meinem Kopf durchbrach die leicht rauschende, aber dennoch urtümliche Stille der mich umgebenden Bäume. Als ich mir sicher war, dass ich in Niemandes Sichtweite war, bog ich scharf nach rechts ab und sank mit meinen Füßen in dem leicht erdigen Laub des Waldes ein. Ich hörte die Blätter unter meinen Zehen leise knistern und lief weiter, bis ich hinter mir den Weg nur noch erahnen konnte, auf dem ich mich vorher befunden hatte.

Ich hockte mich hin und nahm den vermaledeiten Zettel aus meiner Hand. Ich schloss meine Augen und versuchte, mich zu konzentrieren. Es fiel mir nicht ganz leicht, da mir nach wie vor die Panik in den Knochen steckte und ich hin und wieder spürte, wie mein Herz einmal unruhig und neben dem Takt schlug.

Ich atmete tief durch, spürte mit all meinen Sinnen die beinahe heilend wirkende Natur die mich umgab und registrierte nur am Rande ein einzelnes, zu Boden segelndes Blatt, das meine langen Haare leicht streifte und sich dann zu seinen Freunden gesellte. In meinem Kopf stellte ich mir wie auf einer Leinwand bildlich vor, wie ich die Konzentration des Wasserdampfes in der Luft um mich herum verstärkte und sie auf meinem kleinen Blatt Papier bündelte. Es war nicht leicht, ich hatte dies zuvor noch nie versucht, aber da ich wusste, dass man Wasser schließlich auch von einem Körper entfernen konnte, sollte es prinzipiell auch gegenteilig funktionieren.

Und das tat es.

Als ich meine Augen wieder öffnete und das Schriftstück prüfend zwischen Daumen und Zeigefinger rieb, spürte ich bereits, wie sich kleine Fasern des Papieres lösten und die Feuchtigkeit, die sich ein wenig so anfühlte, als hätte es in einem Raum gelegen, während jemand geduscht hatte. Auch die Schrift wirkte an den Rändern leicht verschwommen und wurde bereits unleserlich.

Flink zerriss ich das Blatt mit geschickten Fingern in kleine Schnipsel und ließ sie schließlich zu Boden segeln. Mit meinen Füßen verscharrte ich diese etwas zwischen den Blättern und wandte mich danach zufrieden ab. Zum einen konnte man nun nicht mehr lesen, was auf dem Zettel gestanden hatte, und zum anderen würde die Feuchtigkeit dafür sorgen, dass das Papier noch schneller verrottete, als es dies eigentlich getan hätte. Normalerweise hätte ich es auch definitiv nicht in einem Wald entsorgt, aber ich wusste, dass es zersetzt werden würde und ohne Rückstände verschwinden würde, dafür hatte ich mit meiner manuellen Zerkleinerung und der hinzugefügten Feuchtigkeit gesorgt – außerdem erforderten besondere Umstände eben auch besondere Maßnahmen.

Ich warf einen letzten Blick auf das, was ich wenige Momente zuvor noch für meinen Untergang gehalten hatte, und lief dann, ohne von irgendwem aufgehalten zu werden, schnurstracks zu Lilyas und meinem Zimmer. Meine wirklich dreckigen Füße wurden von keinem merkwürdig gemustert, die meisten Dryaden liefen den lieben langen Tag so herum, außerdem war Erde für uns kein Schmutz, sondern etwas Naturgegebenes, Natürliches.

Als ich unser Zimmer betrat, war Lilya nirgends zu sehen, und ich nutzte die Zeit, um mir dennoch in der Dusche die Erde abzuwaschen. Auch wenn andere Neyen möglicherweise nicht so aufmerksam waren, meine Freundin würde dies definitiv bemerken und neugierige Fragen stellen, auf die ich eigentlich keine passende Antwort hatte.

Als ich fertig war, ließ ich mich auf mein Bett sinken und wippte etwas auf und ab. In mir machte sich so langsam eine leichte Nervosität breit, denn Lilya und ich hatten am Morgen ausgemacht, dass wir nach unseren beiden letzten Stunden mit Ayala reden und ihr klar machen würden, dass das mit Milo nicht gut für sie war, weil er sie nur benutzte. Ich war wirklich gespannt darauf, wie viel dieses Gespräch bringen würde, aber ich hoffte, dass wir Glück hatten und es uns gelang, Ayala davon zu überzeugen, dass wir die Wahrheit sagten und Milo derjenige war, der log.

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