„Was soll das heißen, er ist nicht mehr hier?"
Fassungslos bohrte sich mein Blick in die rot gesprenkelten, goldenen Augen Navarras.
„Beruhige dich", antwortete der hochrangige Layph vor mir und faltete seine Hände, die auf dem massiven Schreibtisch vor ihm ruhten, zusammen.
„Wieso sollte ich mich beruhigen? Ein Monster, das mich beinahe ausgesaugt hätte, ist von dieser verdammten Akademie verschwunden!" Meine Brust senkte sich hektisch auf und ab und ich stützte mich schwer auf die Ablagefläche vor mir.
„Ich verstehe deine Aufregung", bemühte er sich sichtlich um Beschwichtigung. „Glaube mir, auch ich habe mich heute Morgen gewundert, als Sakras nirgendwo aufzufinden war. Aber jetzt kennen wir wenigstens den Grund. Er wird von der Insel geflohen sein und sich hier nicht mehr blicken lassen."
„Woher wollen Sie das wissen?", hakte ich nach.
„Sakras wusste von der Strafe, die einem jeden Layphen drohte, wenn er sich an dir...vergreift. Verbannung. Nun, er hat sich offensichtlich dazu entschieden, sich selbst ins Exil zu schicken, ohne ein weiteres Zutun meinerseits." Navarra wandte seinen Blick von mir ab und ließ ihn gedankenverloren durch den Raum schweifen. „Er wird sich nicht trauen, noch einmal hier aufzutauchen. Er weiß, dass sich dann ein jeder an dieser Akademie gegen ihn stellen wird, und er nicht so einfach unbeschadet fliehen kann, wie in der letzten Nacht."
„Cyrion hat ihn den Balkon hinuntergeworfen!", entfuhr es mir entgeistert, bevor ich mich selbst stoppen konnte. „Wie kann er da unverletzt sein?"
Navarras Augen weiteten sich einen kurzen Moment. „Oh." Er blinzelte einmal und räusperte sich. „In Ordnung, also ich weiß nicht, inwiefern du mit unseren Fähigkeiten vertraut bist, aber sagen wir es so... Ihr Neyen seid nicht die einzigen Wesen, die über ungewöhnliche Talente verfügen." Ein kleines Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln.
„Welche Fähigkeiten denn beispielsweise?", erkundigte ich mich misstrauisch, aber auch mit einer gehörigen Portion Neugierde in meiner Stimme.
Navarra entfaltete seine Finger und legte die Handflächen aneinander, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt. „Da du nun einige Zeit mit uns verbringen wirst, denke ich, dass es angebracht ist, wenn du etwas mehr über uns erfährst. Also... Du sagtest, Sakras sei über den Balkon in dein Zimmer gelangt? Und dabei beinahe unsichtbar gewesen?"
Ich nickte und spürte einen Schauder über meinen Rücken kriechen, als ich mich daran zurück erinnerte.
„Nun, Zweiteres hast du bereits einmal gesehen." Er gab mir einen Moment Zeit, um über seine Worte nachzudenken, und eine klare Erinnerung huschte augenblicklich in meinen Kopf.
„Stimmt. Sie haben diese Fähigkeit genutzt, gestern im Speisesaal, richtig?" Nachdenklich blickte ich ihn an.
Navarra nickte. „Man nennt es auch das ‚Schattenwandern'. Nur Wenigen gelingt es, sie zu perfektionieren, sodass man auch bei Tageslicht beinahe gänzlich unsichtbar ist." Er zögerte, schien über etwas nachzudenken und ich machte mir diese Pause zunutze.
„Und was ist mit der ersten Fähigkeit? Wie ist er überhaupt auf den Balkon gelangt?"
Der Layph mir gegenüber richtete seinen Blick wieder auf mich. „Wir bezeichnen dies als ‚Schwingen der Nacht'. Und in der Tat ist dieser Name ganz passend, da es uns bei Tag nicht möglich ist, diese Besonderheit zu nutzen. Du kannst dir in etwa vorstellen, dass wir die Dunkelheit der Nacht verdichten. Und diese nutzen, um uns die Höhe tragen zu lassen. Je weiter wir uns jedoch vom Boden entfernen, desto schwieriger wird es, die feste Form beisammen zu halten. Wäre dein Zimmer zwei Stockwerke höher platziert gewesen, hätte er dich über diesen Weg nicht erreichen können."

DU LIEST GERADE
Nymphenkuss
Fantasy{ ABGESCHLOSSEN } Einige Momente lang durchdrang lediglich das Rascheln der Blätter um uns herum die Stille, dann untermalte ich sie mit leisen Worten. „Du, Aryan?" „Ja?" „Wie lange wird das Saphirherz eigentlich leuchten?" „Solange ich lebe und du...