{ 57. Kapitel }

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Ich würde lügen, wenn ich sagen müsste, dass es nicht merkwürdig war, Cyrion nach der vergangenen Nacht gegenüber zu treten, als sei nichts passiert.

Nachdem mich mein schlechtes Gewissen davon überzeugt hatte, dass es das einzig Richtige war, nach einem späten Frühstück ohne die Gesellschaft eines Layphen in meinem Zimmer zu bleiben und einen Lehrplan aufzustellen, hatte ich auch genau das getan.

Ich hatte die Fächer sortiert, mir eine Wochenstruktur aufgeschrieben und die Seiten der Bücher vermerkt, die ich an den jeweiligen Tagen durchgehen wollte – oder besser gesagt, durchgehen musste. Die ganze Arbeit hielt mich beinahe bis zum Nachmittag beschäftigt und am Ende dröhnten meine Schläfen. Langes, konzentriertes Arbeiten waren weder ich noch mein Körper gewohnt, dementsprechend verkrampft fühlte ich mich vom stillen, gekrümmten Sitzen.

Am Nachmittag sehnte ich mich regelrecht nach einer Ablenkung und war nur zu froh, als es an meiner Tür klopfte.

„Brax!", rief ich freudig, als ich den Layph mit dem flachsblonden Haarschopf im Gang erspähte.

Dieser musterte mich ein bisschen argwöhnisch. „Woher kommt diese plötzliche Begeisterung? Gestern konntest du mir nicht mal antworten." Er zog einen ganz kleinen Schmollmund, der davon kündete, dass er nicht mehr ganz so viel Verständnis für mich hatte wie am gestrigen Tag.

„Gestern, ja..." Ich verbat meinen Gedanken, mich schon wieder in besagte Nacht zu katapultieren – ich hatte sie den Tag lang erfolgreich mit trockenen Überlegungen ablenken können. „Mir ging es nicht so gut. Ich brauchte einfach ein wenig Ruhe. Du weißt schon – Neyinnen-Kram."

Ein merkwürdiger Ausdruck zwischen Faszination und Ekel erschien auf seinem Gesicht und unwillkürlich fragte ich mich, an was er wohl gerade dachte. „Ich habe von so etwas...gehört. Ich dachte eigentlich, dass nur Menschenfrauen darunter...leiden." Sein Blick glitt an mir herab und verharrte oberhalb meiner Oberschenkel. Als würde er mich scannen wollen, drehte er seinen Kopf leicht nach links und verengte die Augen.

Fragend hob ich eine Augenbraue. „An was zum Teufel denkst du?"

Als hätte ich ihn aus einer entfernten Gedankenwelt gerissen, ruckte sein Blick wieder nach oben. „Was? Äh...schon gut. Hauptsache, dir geht es heute wieder besser. Dir geht es doch besser, oder?"

„Jaaa...", antwortete ich gedehnt und fragte mich immer noch, an was er gedacht hatte.

„Gut", erwiderte der Layph und ein erleichtertes Lächeln brachte seine Grübchen zum Vorschein. „Dann lass uns gehen. Cyrion wartet unten auf uns."

Cyrion..., hallte es in meinen Gedanken nach und ein winziges Kribbeln stieg in mir empor, das jegliche andere Gedanken verscheuchte. Den ganzen Tag lang hatte ich es geschafft, mich abzulenken, doch nun stürzte sich mein Körper auf seinen Namen wie eine Horde Bienen auf einen Tropfen Honig. Nach wie vor schien mein Inneres dem Layphen unheimlich dankbar zu sein und ich fragte mich, wann sich diese Gefühle endlich verflüchtigen würden. Im Augenblick fühlte ich mich wie ein zweischneidiges Schwert – auf der einen Seite war mein Kopf, der nur zu gut wusste, dass Aryan meine Zukunft war. Auf der anderen Seite stand mein verräterischer Körper, der sich von meinen Gedanken nicht überzeugen ließ und jegliche Vernunft verschmähte.

Als ich den breitschultrigen Layphen vor dem Wohngebäude erblickte, und mein Herz prompt einen Takt aussetzte, nur, um dann doppelt so schnell weiter zu schlagen, wurde mir bewusst, dass dieses Ungleichgewicht wohl noch einige Zeit in meinem Inneren verweilen würde.

***

Wenig überraschend verlief das Training nicht allzu gut. Obwohl ich die meiste Zeit mit Brax trainierte, der fröhlich vor sich hin plapperte und es sogar schaffte, mich damit halbwegs abzulenken, war es spätestens dann vorbei, als der Layph mit dem flachsblonden Haar meinte, dass er noch zu Navarra müsse. Prompt hatte er die Lichtung hinter sich und Cyrion und mich somit allein gelassen, bevor ich auch nur einen Ton des Protestes von mir hatte geben können.

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